Kunstdialog zwischen Stadt und Land
«The place to be», der Ort, wo man hin muss, das ist für die meisten die ferne Stadt: Berlin, Shanghai, zur Not Zürich. Es gab und gibt wohl auch noch die milde belächelte Gegenbewegung: ländliche Beschaulichkeit, Überschaubarkeit, Selbstversorgung, Rousseau. Die Stadt, glauben die Urbanen, sei aufgeklärt, links, liberal, fortschrittlich, tolerant, vielfältig, das Land hingegen eher dumpf.
Was daran stimmt: Auf dem Land wie in der Stadt hat man Sorgen. Aber nicht die gleichen. Und der Dialog ist schwierig.
Die Digitalisierung sorgt nun aber nach und nach für die Aufhebung dieser Zweiteilung der Welt, die schon immer auch ein bisschen fragwürdig war. Und die Kunst geht da voran. Aktuelles Beispiel: Die Ausstellung unter dem Titel «The Place to Be» der Künstlerinnen Naomi Tereza Salmon und Harlis Schweizer Hadjidj.
Variationen des Gemeinsamen
Wer sie sehen will, muss aufs Land fahren: nach Waldstatt, ins Otto-Bruderer-Haus. Es ist benannt nach dem hochbegabten Autodidakten Otto Bruderer (1911-1994), der da gewohnt, eine Papeterie betrieben und Kunst gemacht hatte, der dem Dorf treu blieb, obwohl er die Sehnsucht kannte. Seine Werke sind in den oberen Stockwerken präsent.
Im Parterre aber zeigen nun die beiden Künstlerinnen – weitgereiste, in Deutschland lebende und lehrende Israelin die eine, Schweizerin mit algerischer Familie die andere – ihre aufeinander bezogenen Arbeiten: Fotografien aus städtischem Umfeld, von diesen inspirierte gemalte Stadtbilder aus ländlichem Atelier.
Dokumentiert ist auch der Mailverkehr der beiden Frauen, das Entstehen der Bild-Konversation: «Da du viel unterwegs bist und ich sehr gebunden, könntest du mir Fotos von allem möglichen, was dich interessiert oder inspiriert senden, ev. mit kurzem Kommentar. Ich würde eine Auswahl treffen und Variationen davon malen. Das Resultat wäre gemeinsamer Besitz.» So lud Harlis ihre langjährige Freundin Naomi zur Mitarbeit ein. Und schon ist der Stadt-Land-Gegensatz überbrückt, werden Inspirationen aus den «places to be» elektronisch ins Dorf transferiert und hier künstlerisch transformiert.
«The Place to Be»
Otto-Bruderer-Haus Waldstatt, bis 5. November, Sa und So 14-17 Uhr
Sonntag, 22. Oktober, 15 Uhr: Führung durch die Ausstellung und das Otto-Bruderer-Haus mit Verena Schoch und Harlis Schweizer Hadjidj.
Und es scheint, als ob der Stadt-Land-Gegensatz sich im Otto-Bruderer-Haus in einer Synthese auflöst – so, wie es eine wohl von Bruderer stammende Inschrift über einer Tür in seinem Haus postuliert: «Nach Streit und Zank versöhnt man sich, sonst wär’ man ja kein rechter Christ.» Sehr veraltet, sehr ländlich, leicht zu belächeln, dieser Sinnspruch. Aber die städtischen Szenen, die fotografierten und erst recht die gemalten, wirken irgendwie entrückt, von Hitze gedämpft, scheinen der Hektik, der Konkurrenz, den politischen Konflikten zu trotzen, sind fokussiert auf den langsam fliessenden Fluss des Lebens. Eine Stadt, die sich verabschiedet hat von allen verpflichtenden Moden.
Aus der Zeit gefallen und höchst zeitgemäss
Die beiden Künstlerinnen kennen sich schon seit zwanzig oder mehr Jahren. Einen Anfang nahm ihre Beziehung auf einem Flohmarkt, wo beide ein Auge auf eine antike Seifenschale aus Porzellan geworfen hatten. Sie entschieden sich damals, dass sie gemeinsamer Besitz sein werde, und kauften sie.
Gemeinsamkeiten, so scheint es, sind auf dem Land leichter aufzuspüren als in fragmentierten städtischen Verhältnissen. Eine aus der Zeit gefallene Immobilie wie das Otto-Bruderer-Haus als Kulturobjekt, das ist fast nur auf dem Land möglich. Und eine Ausstellung wie jetzt ebenfalls: «Ist etwas Kleines, das uns nicht viel berühmter macht, aber ich denke, es kann schön sein», schrieb Harlis an Noemi. Und diese antwortete: «So, meine Liebe, ich sage zu!»