Kulturgeld: Jeder Franken zählt
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Eingeladen hatte der Dachverband visarte.ost; die von ihm lancierte Petition gegen den stadträtlichen Sparentscheid soll heute im Rathaus eingereicht werden und ist weiterhin online. Neben der Petition sollte es aber am Freitag im Nextex St.Gallen auch um Diskussion gehen.
Und so lautete der Tenor des Gesprächs: Wegen fehlenden 10’000 Franken (im Palace) und 15’000 Franken (im Sitterwerk) geht keine Welt unter – auch wenn dies das Bild zur Online-Petition zu sagen scheint: Es zeigt den Einsturz des Eingangsstollens beim Bau des Rosenbergtunnels 1909 – dort wo heute das Palace steht.
Aber, Einsicht Nummer zwei: Mit 25’000 eingesparten Franken ist auch kein städtischer Haushalt von jährlich gegen 600 Millionen Franken zu sanieren.
Die Folgerung der Anwesenden: Was der Stadtrat mit seinem kurz vor Weihnachten publik gemachten Nein zu den beiden beantragten Krediterhöhungen betreibt, ist reine Symbolpolitik.
Bloss: Symbol wofür?
Ein Indiz für die erst noch folgende Streichungswelle quer durch alle städtischen Ausgaben, wie jemand befürchtete und wie Stadtpräsident Thomas Scheitlin im SRF-Regionaljournal am Freitag auch bereits angedeutet hat?
Ein Symbol für die generelle Geringschätzung gegenüber der Kultur? Eher nicht, sagten selbst die Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Institutionen, die sich bisher von der Stadt ausreichend wertgeschätzt fühlten.
Eine Trotzreaktion gegenüber dem Parlament, das den Steuerfuss gesenkt hatte, aber die konkreten Spar-Folgen dem Stadtrat überlassen wollte? Manche der rund zwei Dutzend Anwesenden im Nextex sahen es so.
Dazu würde passen, dass ausgerechnet zwei Institutionen gewählt wurden, die einen ausgezeichneten Ruf haben und rundherum als einmalig und unverzichtbar für St.Gallen gelten. Bei Palace und Sitterwerk, so sagte es jemand, musste oder konnte der Stadtrat mit öffentlichem Protest rechnen – anders als bei einem Sparentscheid an weniger offensichtlichen Stellen, zum Beispiel im Sozialbereich.
Die Symbolpolitik ärgert auch den Dachverband visarte.ost. «Wir können nicht nachvollziehen, warum als erste Massnahme, ohne aufzuzeigen, wo die restlichen Franken eingespart werden sollen, ausgerechnet bei der Kultur, ausgerechnet bei diesen beiden Schwerpunkten, die die Stadt seit Jahren prägen, gespart wird», steht in der Petition.
Seit zwölf Jahren eingefroren
Tatsächlich haben die beiden Institutionen manches gemeinsam – was wiederum den Verdacht nährt, dass der Sparentscheid nicht naiv, sondern gezielt erfolgt ist. Beide sind seit zwölf Jahren tätig. Das Palace wurde 2006 als Zwischennutzung eröffnet und erhielt 2008 eine definitive Betriebsbewilligung. Die Stiftung Sitterwerk, die quasi das kulturelle Umfeld zur privatwirtschaftlichen und unsubventionierten Kunstgiesserei betreibt, wurde ihrerseits 2006 gegründet. Beide seien in den Jahren seither stark gewachsen, hiess es am Freitag – beide bekommen jedoch immer noch gleichviel Geld wie damals.
Der Kanton St.Gallen praktiziert seit zwei Jahren seine fatale Kulturplafonierung. Die Stadt St.Gallen hat dies, zumindest in den beiden Fällen, auch getan. Bloss sprach bisher niemand davon.
Palace wie Sitterwerk litten unter einer «strukturellen Unterfinanzierung», hiess es am Freitag. Was heisst das konkret?
Wohin das Steuergeld geht
Das Palace, erklärten seine Leiter Johannes Rickli und Fabian Mösch, erhält jährlich 200’000 Franken von der Stadt und gibt 60’000 Franken Miete sowie circa 12’000 Franken Nebenkosten an die Stadt zurück. Der Kanton steuert 60’000 Franken bei. Dieser «Sockelbetrag» muss für die Fixkosten reichen, dazu zählen unter anderem die Löhne der Festangestellten, Unterhaltskosten und Werbung. Die Veranstaltungen sowie die Entschädigungen für die insgesamt rund 50 Teilzeit-Mitarbeitendenden von Technik bis Bar müssen sich aus den Ticketeinnahmen und dem Barbetrieb finanzieren.
Eine permanente Gratwanderung – fallen wie im vorletzten Betriebsjahr ein paar Anlässe nicht so erfolgreich aus, resultiert ein Defizit. Dieses sei kompensiert worden durch teilweisen freiwilligen Lohnverzicht und die Streichung einzelner Konzerte. Mit dem um 10’000 Franken erhöhten Betriebsbeitrag wäre das Strukturproblem nicht behoben, aber etwas abgemildert worden, sagte Fabian Mösch. Circa 30’000 zusätzliche Franken wären pro Jahr nötig, um den Betrieb langfristig zu sichern.
Ähnlich beim Sitterwerk: Die Stadt mit 70’000 Franken und der Kanton mit 120’000 Franken leisten auch hier einen Sockelbeitrag: rund ein Drittel der Gesamtkosten für Bibliothek, Werkstoffarchiv, Atelierwohnungen und den Ausstellungsraum Kesselhaus Josephsohn. Die übrigen Gelder kommen vom Gönner/Donatorenkreis, von Eigenleistungen (Einnahmen aus Eintritten, Führungen etc.) sowie aus separaten Projektfinanzierungen von Stiftungen.
«Die Aufstockung des Betriebsbeitrags wäre einem Teuerungsausgleich gleichgekommen», sagte Ulrich Meinherz, Leiter des Kesselhauses Josephsohn. Dass er wegfalle, sei umso schmerzlicher, als die Höhe des Kantonsbeitrags an jenen der Stadt gekoppelt sei.
Lohnverzichte, Mehrarbeit
Hier beim Sitterwerk wie dort beim Palace gilt also: Das Geld der öffentlichen Hand ist nicht abstraktes «Geld für Kultur», sondern es finanziert Arbeitsstellen, nämlich Löhne der Angestellten, und Fixkosten mit. Es hat darüberhinaus, wie im Gespräch mehrfach betont wurde, zudem Gewicht als «Qualitätssiegel» für Publikum und andere Geldgeber.
Und wenn es ausbleibt?
Dann «versucht man irgendwie durchzukommen, wie so oft in der Kultur», wie es Angela Kuratli, Co-Präsidentin von visarte, ausdrückte: Weniger Leute leisten für weniger Geld gleichviel Arbeit. Man verzichtet auf einen Teil des Lohns. Man versucht das Angebot aufrechtzuerhalten, macht dort eine Ausstellung günstiger oder lässt hier eine Veranstaltung weg. Man sucht nach weiteren Geldgebern, kompensiert die knappen Mittel mit umso mehr Engagement. Man kämpft darum, das Niveau zu halten.
10’000 Franken oder 15’000 Franken: Peanuts? Für die städtische Rechnung ja, für die betroffenen Kulturinstitutionen jedoch nicht. Die kleinen Beträge zeigen vielmehr, dass hier, wie vielerorts im Kulturbetrieb, am Rand des Prekariats gearbeitet wird.
Zwei hohle Hände?
Wie ein Hohn tönt es daher, wenn sich die Betroffenen von der Online-Plattform «dieostschweiz.ch» belehren lassen müssen, Kultur sei «kein Selbstbedienungsladen, in dem man die Leistung hochfahren und dann einfach zwei hohle Hände statt einer ausstrecken kann. Offenbar erschöpft sich die Kreativität von Kulturbetreibern oft beim eigentlichen Produkt. Geht es um die Finanzierung, sind kreative Wege plötzlich ausgeschlossen. Da muss der Staat ran. Und damit die Steuerzahler.»
«Ostschweiz»-Redaktor Stefan Millius, selber als Romanautor kulturell tätig, müsste es eigentlich besser wissen. Für ihn ist die Petition gegen den Kultur-Sparbefehl aber sowieso eine «Lüge», weil in deren Titel von «Kulturkürzungen» die Rede ist. Die Ablehnung einer Erhöhung sei noch keine Kürzung. Tatsächlich aber ist im Parlament, das die Steuerfusssenkung beschlossen hat, das Budget 2019 oppositionslos gutgeheissen worden – inklusive der Beitragserhöhungen an Palace und Sitterwerk.
Auch wenn die einzelnen Ausgabenposten noch über den Tisch des Stadtrats müssen: «Selbstverständlich ist die Kürzung eines Betrages, den das Parlament beschlossen hat, eine Kürzung», schrieb Parlamentsmitglied Etrit Hasler auf Facebook.
Am Freitag ist die Petition analog unterzeichnet worden. Heute Montag geht sie an den Stadtrat, ergänzt um die über 700 Unterschriften (Stand Montagmittag) der Online-Petition. Diese fordert den Stadtrat auf, seinen Streichentscheid nochmal zu überdenken. Das wird er mit einiger Sicherheit nicht tun. Umso gespannter kann man darauf sein, wer die nächsten Sparopfer des Steuer-Fusstritts des Stadtparlaments sind.