, 14. Juni 2017
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Kultur lebt von Freiwilligenarbeit

Ohne Freiwilligenarbeit keine lebendige Kultur: Das war Ausgangspunkt und Fazit von Regierungsrat Martin Klöti an der Kulturkonferenz 2017 des Kantons St.Gallen. Diskutiert wurde aber auch über «Gratiskultur» vs. Professionalisierung und über neue Formen von Volunteering. von Kathrin Lettner

«Freiwilligenarbeit – Ideen und Perspektiven»: Zum Thema der Kulturkonferenz bot der Tagungsort, das Museum Rhein-Schauen in Lustenau vielfältigen Anschauungsunterricht – ein Erlebnis-Museum, das unter Mithilfe zahlreicher Freiwilliger aufgebaut worden ist. Ziel der Kulturkonferenz war es laut Kulturamtsleiterin Kathrin Meier, Reflexion und Austausch zu ermöglichen, um an der Weiterentwicklung der Freiwilligenarbeit im Kanton zu arbeiten – nicht nur am 5. Dezember, dem Tag der Freiwilligenarbeit, sondern permanent.

Nachstehend ein paar Erkenntnisse aus den Referaten und Workshops.

Volunteering als spontanes Tun

Freiwilligenarbeit (gemäss der Fachorganisaiton Benevol spaltet sich der Begriff in diverse Unterbereiche auf) hat grosse gesellschaftliche Bedeutung, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt von Teilhabe und Verantwortung für das Gemeinwohl. Der  Freiwilligenmonitor von 2016 zeigt, dass das klassische Freiwilligen-Engagement gesamthaft eher zurückgeht – wenn auch im kulturellen Bereich nicht so stark wie auf anderen Gebieten. Interessanterweise wächst aber das Segment des Onlinevolunteering, sei es eben Online- oder Cyber- oder Eventvolunteering, also neue Formen der informellen Freiwilligenarbeit. Anders gesagt: Der Aspekt des Helfens als Motivation für die Freiwilligenarbeit wird geringer, der Wunsch nach Community, und zwar gerne nach wechselnden Gemeinschaften, wird grösser.

In den Workshops wurden solche Phänomene, zum Beispiel das Microvolunteering, vorgestellt: Über eine App fragt ein Sehbehinderter, ob ihm jemand eine Packungsbeilage vorlesen könne. Irgendwer aus der Communitiy hat Zeit und springt ein und liest vor – eine gute Tat ist vollbracht, beide profitieren; aber bezeichnend und zeittypisch für solche Freiwilligeneinsätze ist, dass sie spontan, kurzzeitig und ohne längerdauernde Verbindlichkeit geleistet werden.

Die Klippen der Professionalisierung

Die Motivation für besoldetes oder unbesoldetes Engagement wurde als fast identisch eingestuft. In der Praxis diverser Kultur- und Sozialorganisationen arbeiten denn auch häufig Freiwillige mit (mehr oder weniger bezahlten) Profis zusammen. Alle möglichen Mischformen existieren, und als ein entscheidender Erfolgsfaktor wurde Transparenz und Klarheit genannt.

Heikel kann es werden, wenn sich Freiwilligenarbeit professionalisiert, wenn plötzlich bezahlt wird, was zuvor Gratisarbeit war, zum Beispiel «ungeliebte» Arbeiten wie Putzdienst oder Kassenführung. Solche Umstellungen können das System  als Ganzes verändern und bei Freiwilligen grosse Frustrationen auslösen.

Unter der Fragestellung, wie man Freiwilligenarbeit belohnen kann, wurden immer wieder die Eckpfeiler Dank, Anerkennung und Wertschätzung genannt.
Wie Organisationen profitieren

Gute Erfahrungen mit dem Zusammenspiel von Laien und Profis hat das Museum Lenzburg gemacht, das sich in einem der Workshops vorstellte. Der Einsatz von freiwilligen Helferinnen und Helfern ergebe gewissermassen eine «Win-win-win-Situation»: für das Publikum, für die Institution und für das Team. Zwar würde das Museum, sollten plötzlich alle Freiwilligen wegfallen, weiterhin funktionieren; Freiwilligenarbeit schaffe jedoch die unterschiedlichsten Zusatzangebote und darüber hinaus einen niederschwelligen Einstieg für die Besucherinnen und Besucher.

Die Freiwilligen bringen neue Ideen ein, erwerben Kompetenzen, werden vom Museum auch gecoacht, können etwas bewirken und knüpfen soziale Kontakte. Erfolgreich sind vor allem Modelle, in denen Freiwilligenarbeit aus Interesse an einem Thema (im Fall des Museums Lenzburg an der Welt des Mittelalters) geleistet wird – und weniger aus «abstraktem» Engagement für eine bestimmte Institution.

Die Kunst, die Jungen zu gewinnen

Das Segment der Altersgruppe 14 – 34 ist bei der Freiwilligenarbeit unterrepräsentiert. Das ist einerseits verständlich, ist man in diesem Alter doch mit anderen Themen beschäftigt und denkt eher an das Aufbauen als an das «Zurückgeben». Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass man die Jungen gewinnen kann, indem man ihnen zum einen Themen anbietet und zum andern einen grossen Mitgestaltungsfreiraum ermöglicht. Motivierend für Freiwilligenarbeit sei darüberhinaus, wenn man die Jugendlichen gut begleitet und ihnen eine Art individuellen Karriereweg anbietet, klassischerweise mit Möglichkeiten von Qualifikationen und Weiterbildungen.

Gratisarbeit, freiwillig und unfreiwillig

Im Bereich der Kultur wirft die Freiwilligenarbeit und deren Zusammenspiel mit dem professionellen Kulturschaffen einige Fragen auf. Zum einen ist in der nationalen Kulturgesetzgebung die Förderung der kulturellen Teilhabe verankert. Zum andern kennen viele Kulturschaffende den Spagat zwischen Selbstbestimmung bis zur Selbstausbeutung auf der einen Seite und Professionalisierung um den Preis der individuellen Freiheit auf der anderen Seite.

Im Raum stehen blieb auch die Frage, was von der Tatsache zu halten ist, dass viele Kulturschaffende unfreiwillig unbezahlte Arbeit leisten.

Die Diskussion über Lohn gleich Geld bzw. Lohn ungleich Geld müsse fortlaufend geführt werden – auch wenn auf der anderen Seite viele persönliche Beispiele für nicht-materielle Arten der Wertschätzung und Anerkennung genannt wurden.

Kathrin Lettner ist Abteilungsleiterin der Weiterbildung an der Schule für Gestaltung St.Gallen.

Bilder: Amt für Kultur

 

 

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