, 11. Januar 2024
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Küsse und Fäuste aus der Provinz

Projekt ET veröffentlichen ihr zweites Album: «Moralpanik» ist Battlerap mit ehrlicher Liebe zur Provinz und verspieltem Hass auf alles andere. Am Samstag ist die Taufe im Gare de Lion. von Mia Nägeli

Projekt ET tauft das neue Album am Samstag im Gare de Lion in Wil. (Bild: pd)

Projekt ET machen so viel Spass, wie man ihn eingekesselt von der Polizei überhaupt haben kann. Die Rap-Combo aus Wil ist so politisch explizit und so angriffig und witzig zugleich wie kaum andere Musiker:innen aus der Ostschweiz. Oder wie kaum jemand aus der restlichen Schweizer Hiphop-Welt. Am letzten SRF Cypher, dem Auflauf aller Lieblingsrapper:innen der SRF-Hiphopredaktion, machten Epik und Takle von Projekt ET ziemlich Lärm. Viele zählten ihre Parts zu einigen der besten des Cyphers. Und «Weltwoche», «Tagblatt» und «20 Minuten» titelten: «Rapper beileidigen Esther Friedli».

Rund ein halbes Jahr später ist die SVP-Hardlinerin Ständerätin des Kantons St.Gallen und Projekt ET sind wütender und besser als je zuvor. Moralpanik heisst das zweite Album des Trios. Die Gute-Laune-Partytracks, die auf dem letzten Album und den letzten beiden EPs gestreut waren, sind beinahe ganz verschwunden.

Jetzt heisst es: Battlerap. Ein linksrevolutionärer Rundumschlag, ACAB, all cops are bastards – und alle anderen Rapper:innen ebenfalls. Und das in einem wunderschön unverfälschten Ostschweizerdeutsch, wie man es nicht beim lokalen Privatradio, sondern nur in jenen Provinzkneipen hört, die bis vier Uhr morgens geöffnet haben und bei denen man nie ganz genau weiss, wo die Bar endet und das Bordell beginnt.

Punchlines über Punchlines

«Du bisch so cool / Wieso hesch du nöd chalt / Leg dis Shirt wieder aa / Du hesch doch so viel defür zahlt», heisst es in Libli. Oder in Drama: «Wieso i din Rap nöd wött lose / Du bisch anre Silent Disco und hebsch trotzdem nöd d Schnorre». Projekt ET haben ein ganzes Album voller Punchlines geschrieben, voller Tritte gegen oben und gegen rechts, gegen die Boulderhallen oder Wohltätigkeitsferien der oberen Mittelschicht. Und gegen Rapper:innen mit Eistee-Collabs und ohne Angewiesenheit auf 9-to-5-Jobs, mit pädagogischem Rap und ohne stabile linke Haltung – und gefühlt gegen die restliche Mundartrapwelt ebenfalls.

«Das klingt so, als ob wir die gesamte Szene total Scheisse finden würden», sagt Jan Räbsamen, der als Epik bei Projekt ET auf der Bühne steht. Aber mit Hass oder irgendwelchem Drama habe das nichts zu tun. «Das ist part of the game. Und die Competition im Rap macht ja auch Spass.» Und Spass machts auch deswegen, weil das gesamte Album sehr (wort)witzig getextet ist. «Wa wötsch i d Speiche / Chatzeauge oder Stecke / Reflektier di bim Texte», heisst es beispielsweise in Chatzeauge. Falls sich hier Verwirrtheit bei ÖV- oder Auto-Fahrenden spiegelt: Katzenaugen nennt man die Reflektoren, die laut Strassenverkehrsordnung Pflicht an Velos sind.

Projekt ET: Moralpanik, erschienen am 3. November

Plattentaufe: 13. Januar, 21:30 Uhr, Gare de Lion Wil, Support: Nik* und Yung Porno Büsi, garedelion.ch

Zwischen dem ganzen Anti-Alles gibts trotzdem noch den einen oder anderen Moment, in dem es nicht um Demos oder die «Szene, wo i mi nöd selte schäme» geht, sondern schlicht um das, was hinter allen Releases von Projekt ET steht: Die Freude an Rap, an «radikaler Kleinkunst», wie es bei früheren Releases hiess. Am spürbarsten wird das im stolz selbstreferenziellen Für Immer, in dessen Hook gleich alle letzten ET-Releases abgeklappert werden: «Für immer Projekt ET / Erdbeertörtli ufm Tischi / Weierwise Lowlife / Nur so am Strand / Baued Schlösser us Luft und Burge us Sand». Und: «Projekt ET / im Oste nüt Neus».

Von Coping bis Exotik

Nachdem im letzten Saiten-Text zu Projekt ET bereits viel Exotisierendes zur Provinz gesagt wurde, muss das hier nicht wiederholt werden. Das Exotisieren der Provinz ist als selbstreferenzielle Copingstrategie, wie es beispielsweise auch Saiten-Zeichnerin Julia Kubik nutzt, witzig und legitim. Als urbaner Chauvinismus nervt das Exotisieren aber nur, egal ob es von Zürich in die Ostschweiz oder von St. Gallen nach Wil gerichtet ist. Projekt ET machen das, was sie machen, eben da, wo sie es machen, «damit die Kids in Wil wissen, dass wir auch von da sind, dass es auch in Wil nice Projekte und Acts gibt», wie Epik sagt. Und ausserdem ist spätestens dieses zweite Album auch viel zu gut, um es vornehmlich lokal zu verordnen.

Trotzdem ist es eben wichtig, dass die Platte nicht in einem (anarchistischen) Space in St. Gallen, sondern im Gare de Lion (GdL) in Wil getauft wird –mit Nik* als Support, Yung Porno Büsi zur Afterparty und mit weiteren Freund:innen aus der Bubble auf der Bühne. Denn wie es in Für Immer heisst: «Vilicht mit de Hälfti vo de Szene verkackt / Doch wenn i gang, stoht min Name ufm GdL-Dach».

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