Krieg den Hütten!

Konsumkritik zum Weihnachtsgeschäft ist nichts Neues. Hier trotzdem nochmal, in Form eines Rundgangs durch St.Gallens diesjährige Hot Spots der Spass-und Zauberindustrie.
Von  Julia Kubik
Bilder: jk

Vor der Shoppingarena steht ein grosser leerer Hotdogstand. Mehrere Anzeichen von Fussball. Das Wetter ist leicht matschig, mässig kalt. Stünde man nur hier draussen und sähe nicht hinein, hätte man noch eine letzte Chance, sich in der Jahreszeit zu verschätzen. Geht man aber rein, ist alles vorbei resp. alles Vorweihnacht.

Der ganze Innenraum ist durchzogen von einem multidimensionalen Teppich aus Lichterketten. Dazwischen blitzen verschiedene Screens auf, die einem ein frohes Fest wünschen oder völlig zusammenhangslos Rezepte verbreiten («Tsatsiki: erfrischend Griechisch!»).

Ganz hinten im Erdgeschoss, eingebettet zwischen Claire’s, Zollibolli und Ikea-Zugang, steht die Rudolf-Bahn, ein Mini-Polarexpress für Kinder. In seinen Schlaufen leben Plüschpinguine und Stoffeisschollen, und es wird mehrfach darauf hingewiesen, die Deko bitte nicht zu betreten. Mütter empfangen ihre Polarrückkehrerinnen mit «Hallooooo, ischs eu nöd trümmlig wore?» und die Kinder schreien und lachen und taumeln und wollen nochmal. Die Ticketverkäuferin trägt eine rotweisse Zipfelmütze und sieht müde aus.

In den zwei darunterliegenden Arena-Etagen gibts keine Polarlandschaft mehr, dafür hängende Elche, riesige Geschenke und lächelnde Schneemänner. Alles mit Blinklichtern überzogen, vielleicht sogar fast ausschliesslich aus Leuchtmitteln gebaut.

Den meisten Shoppenden scheint das egal zu sein, es gibt kein grosses Raunen, Schauen und Stehenbleiben. So ist das halt vor Weihnachten, man kennts. Wichtiger ist jetzt, noch einigermassen gemütlich Geschenke kaufen zu können, bevor es alle gleichzeitig tun.

Ich nahm mir vor, heute alle Weihnachtsspecials der Stadt abzugehen. Jede mit Interaktions-Action ausgestattete Deko, jede Fonduebeiz-Blockhütte und jede neugelegte Eisbahn. Man muss sich mit seinen Ängsten und Abneigungen gezielt konfrontieren, sonst lernt man den guten Umgang nie.

Beim Verlassen der Gänge registrierte ich die saisonalen Schaufensterslogans der Modegeschäfte: SAY YES TO CHRISTMAS JOY, BELIEVE IN ANGELS THIS CHRISTMAS und ZAUBER. GENUSS. MOMENTE.

Zauberwald aus Hartplastik

Nach Kybun kommt Kreuzbleiche. Mitten auf die Wiese wurde ein Eisplatz mit zwei  Schlaufenausläufern hingefroren, neben dem Platz steht ein grosses Chalet für alle Spielarten von Käse-Event. Das ganze heisst Eiszauber (Slogan: «Lass dich verzaubern!») und findet dieses Jahr in St.Gallen zum ersten Mal statt.

Mein erster Gedanke beim Betreten des Areals: Es wäre schön, gäbe es einen bebilderten Inventarkatalog gratis dazu. 50 Rehe, 65 Füchse, 20 Eichhörnchen und 10 Eulen aus hohlem Hartplastik, 30 halbechte Tannen, 1 grosse und 4 kleine Logowände, 10 Schützengarten-Stehtische, 1 grosse Blockhütte geschlossen, 1 offener Glühwein- und Wurststand etc. Dazu eine Auflistung aller Kosten, Zustüpfe und Verbräuche als Infografik (die violette Kurve zeigt Flüssigstickstoff, die blaue Wasser, die graue Energie).

Die Kellnerinnen im Hütteninnern tragen Dirndl, als obs eine St.Galler Tradition wäre. Meine Begleitung sagt, immerhin sei die Hütte aus altem Holz gebaut. Wurmstichig und echt, keine gebeizten verklebten Pressspanbäume. «Wohrschindlich hetme die genau so irgendwo imne ukrainische Dorf abtreit und dohii brocht.»

Nach einem Glühwein plus Hotdog beschliesse ich, Schlittschuhe zu mieten, um vielleicht doch noch den Zauber zu fühlen. Was ich stattdessen vor allem fühle, sind Erinnerungen an kitschige Hollywood-Weihnachtskomödien, in denen immer früher oder später das verliebte Paar im Central Park Eislaufen geht. Dann fällt sie um, er zieht sie hoch, sie kichern verliebt und küssen sich.

Entlang der Eisbahn stehen zwei dreieckige Leinwände. Eine mit abstraktem Form-Licht-Gemenge, eine mit projiziertem Schneewald. Erstaunlich und irgendwie abseits der restlichen Ästhetik, aber schnell vorbei, man muss weiterfahren, um nicht zu stauen, vor allem, wenn man einen stützenden Seehund dabei hat.

Beim Weggehen ein letzter Blick zu den Wasserschläuchen, die aussehen wie riesige gefrorene Albinoschlangen.

Kapitulation

Es ist bereits dunkel und meine Ambitionen, jedes weitere Temporär-Chalet mit aufrichtiger Aufmerksamkeit zu besuchen, schmelzen dahin wie das Eis an den Schwachstellen der Eiszauberbahn. Der Fondue-Alp am Oberen Graben schaue ich nur noch von der anderen Strassenseite aus zu.

Beim «Glüäwii Wald mit Raclette» vor dem Süd stehe ich eine Weile und frage mich, was die ehrliche Freude, die manche all dem entgegenbringen, vom distanzierten Widerwillen, den ich fühle, unterschiedet. «Da isch neu, gäll?» – «Jo voll, mega läss!»

Die fragile Hütte wird von Wassertanks stabilisiert

Die restlichen Spots besuche ich nicht mehr, ich kann sie mir gut genug vorstellen und bin müde. Georg Büchner schrieb einmal den berühmt gewordenen Spruch: «Friede den Hütten! Krieg den Palästen!» Das hätte er präzisieren oder mit Fussnoten versehen müssen, hätte es die Vorweihnachtsblockhütten zu seiner Zeit schon gegeben.

Kompromissbereites Fazit: Trinkt Glühwein, seid verzaubert und stellt euch einen Kunsthandwerk-Elch mit Kerzenständergeweih in den Vorgarten, wenn es euch glücklicher macht. Aber hört auf, jede freie Fläche mit Blockhütten vollzustellen, sie im Retro-Alpenchic zu gestalten, Après-Ski-Schlager und Weihnachtspop zu pumpen und damit den ganzen Stadtraum zu verkäsen.