Kreuzfahrt zu den Pinguinen

2022 plant das «Tagblatt» eine Leser:innenreise «Expedition Antarktis». Sie gibt lesenden Klima-Arbeiter:innen zu denken. Die Antworten, welche die Veranstalter geben, werfen neue und im Hinblick auf den «Strike for Future» am 21. Mai aktuelle Fragen auf. Die Robben und Pinguine wurden erst gar nicht gefragt. von Anna Miotto (Klimajugend) und Hans Fässler (Klima-Alter)
Von  Hans Fässler
«Zu jedem Traum die passende Route» – so wirbt die Hapag-Lloyd-Umweltbroschüre.

Schon seit über einem Jahr lockt das «St.Galler Tagblatt» mit einem «unvergesslichen Abenteuer am Ende der Welt», einer Leser:innenreise in die Antarktis im Februar 2022, zu den «gewaltigen Gletschern» und den «majestätischen Eisbergen». Für die Kleinigkeit von Fr. 21’695.- (ohne Einzelzimmerzuschlag und ohne Trinkgelder an Bord) erwarten die Kreuzfahrer:innen «aufregende Tierbeobachtungen aus nächster Nähe»: Pinguine, Wale, Robben, See-Elefanten, Seebären und eine Vielzahl von Seevögeln. Im Preis inbegriffen sind vier Flüge (Schweiz – Buenos Aires retour und Buenos Aires – Ushuaia retour), Treibstoff und Bunkerzuschläge sowie die Vorträge der Experten.

Die Experten

Begleitet wird die Reise, welche von «Background Tours» in Bern organisiert wird, von vier natur- und welterklärenden weissen Männern: dem Extrembergsteiger und Abenteurer Reinhold «ohne Sauerstoff» Messner, dem TV- und Radiomoderator Nik «jeder Rappen zählt» Hartmann, dem Fotografen Rudolf Hug und dem Pinguin-Flüsterer Benno Lüthi. An diese vier Männer sowie an «St.Galler Tagblatt» und CH-Media haben wir anfangs Mai ein Mail geschickt mit dem Titel «Antarktis – Echt jetzt?».

Es drückte angesichts der geplanten Reise mit der MS Hanseatic nature (Platz für 230 Passagier:innen) unsere klimapolitische Erschütterung, Wut und Irritation aus und stellte Fragen: «Wir wissen (und auch die CH-Medien wissen und schreiben es), dass die Klimakrise die Antarktis und das dortige Leben bedroht: ‹Globale Erwärmung vertreibt Pinguine›, ‹Der Klimawandel hat das ‹Ende der Welt› erreicht›, ‹Robben unter Druck› – googeln Sie selber weiter! Wie kann man nun hingehen und eine (Leser:innen-)Reise organisieren und anpreisen, welche vier Flüge verursacht und eine ökologisch fragwürdige Schiffsreise? Ist das einfach gedankenlos oder evtl. schon zynisch: Die Antarktis anschauen, solange es sie noch gibt, wie sie jetzt ist? Nach uns die Sintflut oder modern gesagt: der Meeresspiegelanstieg und die Gletscher- und Eisschmelze?»

Und von den sozialen und ökologischen Folgen des Abwrackens von Kreuzfahrtschiffen hatten wir noch nicht einmal gesprochen.

Die Antworten

Erfreulicherweise reagierten die Angeschriebenen ziemlich rasch – oder sie liessen antworten. Der Fotograf Rudolf Hug beklagte sich zuerst über den unhöflichen Ton. Er räumte die CO2-Belastung der Umwelt durch solche Reisen ein, argumentierte aber wie folgt: Es gehe nicht um einen Shopping-Flug nach New York, sondern darum, eine wunderschöne Gegend und eine fantastische Tierwelt kennenzulernen. Es sei keine Lustreise, sondern das Ganze sei sorgfältig geplant und verbunden mit Wissensvermittlung. Und man dürfe nicht über Menschen urteilen, ohne ihre CO2-Bilanz zu kennen, ohne zu wissen, ob sie den CO2-Ausstoss kompensieren.

Gezieltes Reisen müsse und werde auch in der Zukunft möglich sein. Was sich ändern müsse, sei die Masse und die Qualität. Das Bedürfnis zu reisen zeige sich übrigens auch darin, dass selbst der Co-Autor dieses Artikels kürzlich eine Reise in die Karibik gemacht habe. Er selber versuche, so Rudolf Hug, privat einen Beitrag zu leisten und habe u.a. auf ein e-Mobil gewechselt.

Ob sich die Königspinguine über den Besuch freuen? (Bild: Wikimedia)

«Tagblatt»-Chefredaktor Stefan Schmid bedankte sich für die Zuschrift und teilte mit, er sei in diesem Unternehmen für vieles verantwortlich, nicht aber für Leser:innenreisen. Er leitete das Mail aber intern weiter, und die heisse Kartoffel landete bei seinem Namensvetter: Stefan Heini, Leiter Unternehmenskommunikation CH-Media. Auch dieser räumte zuerst ein, dass man solche Reisen kritisch hinterfragen könne, dass es aber bei vielen Menschen ein grosses Bedürfnis nach Reisen in solche Weltgegenden gebe, die halt nur per Schiff und/oder Flugzeug erreichbar seien.

CH-Media sei nur Medienpartner der Antarktis-Expeditionen, und ausserdem gelte bei den Hapag-Lloyd Cruises ein hoher Standard im Bezug auf umweltbewusstes und nachhaltiges Handeln. Es fehlte nicht der Verweis auf die Hapag-Lloyd-Umweltbroschüre «Die Welt befahren – die Natur bewahren», welche vom optimierten Rumpf über die Ballastwasserbehandlung bis zur Reduktion der Einweg-Cocktail-Rührer (noch vor der gesetzlichen Verpflichtung!) alles aufzählt, was irgendwie grün daherkommt. Nach wie vor gilt jedoch für die Firma, welche auch einen Privatjet im Angebot hat, das Motto «Zu jedem Traum die passende Route» (illustriert durch eine Weltkarte mit fast 50 Destinationen), und die Sprache ist auf der Höhe des Greenwashing: «für ein nachhaltiges Morgen», «Mensch und Natur respektieren», «Environmental Passport-Operation», «Ressourcen- und Nachhaltigkeitsmanagement», «saubere Exkursionen», «massvoller Tourismus», etc. Im Werbefilm über die neue «Hapag-Lloyd-Expeditionsklasse» heisst das dann «mit absolutem Respekt vor der Natur» und «inspired by nature».

Sarah Grünig, Senior Product Manager Background Tours, antwortete im Namen von Nik «bi de Lüt» Hartmann und Benno «bi de Pinguin» Lüthi. Auch sie wies auf die ökologischen Bemühungen von Hapag-Lloyd hin und argumentierte ausserdem ökologisch-didaktisch: Oft würden Erlebnisse auf einer Reise in die Antarktis ihre Kund:innen dazu bewegen, sich für den Erhalt dieser Wildnis zu engagieren. Man motiviere diese zudem, ihre Flüge via «myclimate» zu kompensieren, was wiederum Hirtenfamilien in der Mongolei zugutekomme. Und man könne gern via Zoom mal über die Sache reden.

Neue Fragen – und Forderungen

Zum Schluss kam noch die kurze Antwort von Reinhold Messner: Man könne über alles diskutieren, und auf dem Schiff werde alles selbstkritisch hinterfragt. Aber Fundamentalismus in Sachen Klimawandel, Schlagworte und Klischees würden nicht weiterhelfen.

Strike for Future in St.Gallen:
21. Mai, ab 9 Uhr, Waaghaus Bohl. Am Morgen Workshops und Infos, am Nachmittag Sitzstreik.

strikeforfuture.ch

So stellen wir denn halt zum Schluss allen Beteiligten hier medienöffentlich nochmals zwei klimafundamentale Fragen: Wie viele hundert Jahre wird es dauern, bis genug Menschen durch Antarktis-Kreuzfahrten ein ökologisches Bewusstsein entwickelt haben und so mit ihrem Handeln einen relevanten Beitrag gegen die Klimakatastrophe leisten? Und: Ist es so schwer zu verstehen, dass es nicht darum geht, viele Dinge (Flüge, Kreuzfahrten, Autofahrten, Herstellung von gewissen Produkten, Gebrauch von gewissen Geräten, usw.) etwas ökologischer zu tun, sondern sie wenn möglich nicht mehr zu tun?

Die Gesellschaft und mit ihr die Presse muss die Klimakrise als solche anerkennen. Dazu gehört nicht nur eine angemessene Berichterstattung, sondern auch, als Zeitung die Krise bestmöglich zu bekämpfen. Man könnte mehr über die Klimakrise und die Anliegen des Klimastreiks berichten und auch als Medium Veranstaltungen organisieren.

Man könnte sich ernsthaft überlegen, was man zum Klimaschutz beitragen kann. Statt klimaschädliche Reisen zu organisieren könnte man Veranstaltungen mit echten Experten beziehungsweise Expertinnen im Bereich Klimakrise durchführen. Es gibt tausend andere, bessere und klimafreundlichere Ansätze, um den Leser:innen die Ernsthaftigkeit der Klimakrise klarzumachen. Eigentlich alles ausser eine Antarktis-Leser:innenreise.