Kosowie? Kosowieso?

Mit «Kosovë is everywhere» hat das 10. Wortlaut-Literaturfestival mit der Eröffnung am Freitag im St.Galler Waaghaus deutlich markiert: Das Wort ist laut, welthaltig und vom Rhythmus getrieben. 

Von  Eva Bachmann

Natürlich kann man zuhause auf dem Sofa in aller Ruhe ein Buch lesen und sich damit die Welt ins Wohnzimmer holen. Das funktioniert, je ungestörter desto besser. Doch bei Literatur kommt es eben auch auf den Wortlaut an, wie Ulrike Landfester in ihrer Eröffnungsrede sagte. Das gesprochene Wort hat die Kraft, zu rühren und zu stören.

Landfester ist nicht nur bei Gottfried Keller fündig geworden, sondern auch – Google sei dank – bei Sigmund Freud. Der Wortlaut mache den Witz aus, weil er in direkter Spannung zum eigentlich Gemeinten stehe, sagt Freud. Als Warnung war das nicht gemeint, aber es hätte eine sein können. Denn was folgte, war eine geballte Ladung von Gesagtem, Gemeintem und Mitgemeintem. Ungeniert wurde hier alles ins Bewusstsein geholt, was sich an Vorurteilen über den Balkan im Zwielicht tummelt. Blutrache, Raser, Organhandel…? Das alles lieferte «Kosovë is everywhere» – aber noch viel mehr.

Wortmusiktiraden

«Bern ist überall» ist eine Truppe von Schweizer Spoken-Word-Autorinnen und -Autoren, die in wechselnder Zusammensetzung das Wort auf die Bühne bringen. Im Herbst 2017 reisten sie mit Unterstützung der Landis & Gyr-Stiftung in den Kosovo und suchten die Zusammenarbeit mit Musikern und Wortkünstlern dort. Entstanden ist das Programm «Kosovë is everywhere», das nach Auftritten in diversen kosovarischen Städten am Freitag nun zum ersten Mal in der Schweiz aufgeführt wurde.

Shpëtim Selmani in Aktion im Waaghaus. (Bild: Jurek Edel)

Soviel Welt war selten im Waaghaus! An dem Ort, wo sonst eher kleinlich über Parkplätze gezankt wird, wurde auf einmal englisch und deutsch, kosovarisch und schweizerdeutsch, italienisch, französisch Laut gegeben, unterlegt mit Beats von Drin Tashi und begleitet von Adi Blum am Akkordeon. Laurence Boissier, Guy Krneta, Gerhard Meister, Sibel Halimi, Jeton Naziraj und Shpëtim Selmani traten refrainartig als Chor, dazwischen allein oder in Wechselrede zu zweit auf.

Zu den Texten auf Kosovarisch gab es Übertitel, doch wenn Selmani zu einer seiner leidenschaftlichen Tiraden ansetzte, in Fahrt kam und die Worte rhythmisch vor sich her trieb, dann war Ende mit Lesen. Das war reine Wortmusik, die direkt in den Bauch fährt.

Real bis surreal

Die Texte waren zuweilen politisch, auch politisch unkorrekt, aber nie auf eine billige Pointe hingeschrieben. Die Schweizer Autorinnen und Autoren spiegelten bevorzugt Schweizer Mentalitäten und das gesammelte Unwissen über das fremde Land, das bei Boissier darin gipfeln kann, dass die Touristin mit einer Expeditionsausrüstung wie zur Erkundung eines neuen Erdteils an der Grenze hängenbleibt. Herrlich auch Krnetas Geschichte von Ruedi und Martina, die sich von Ismaili und seinen Cousins und den Cousins seiner Cousins ihre silberne Hochzeit im Kosovo ausrichten lassen – das Gegenprogramm zur Tristesse von zehn Schweizern im Säli.

Ungleich dringlicher waren die Beiträge des Teams Kosovo. Ein kosovarischer Gründungsmythos kann nicht erzählt werden ohne Ströme von Blut – «jeder Befreier ist ein Besatzer». Kritik prasselte nieder auf die sogenannte Hilfe der EU für den jungen Staat und ihre seltsamen Auswüchse bis hin zur höchsten Schwimmbaddichte auf dem Kontinent.

Jede Realität kann sich in diesen Texten auch in eine Surrealität wenden. Dazwischen steuerte insbesondere Sibel Halimi auch sehr Poetisches bei: Wenn sie einmal tot ist, dann wünscht sie sich ein Glas Wein und ein weisses Blatt für die Ewigkeit.

«Gegenwind»

Eine Reise in den Kosovo? «Stupidate!» – «Was für eine Dummheit!» ist die stereotype Reaktion aller Befragten in einem Text von Boissier. Einzig der Psychoanalytiker schweigt. Dieser Abend erwies sich tatsächlich als eine Reise ins Unbekannte, er hat herausgetrommelt, was irgendwo verborgen lag, hat Mitgemeintes zur Sprache gebracht.

«Das war Gegenwind», meinte Isuf Sherifi danach. Der Wittenbacher, der seit 15 Jahren für literarischen Austausch zwischen der Ostschweiz und Mazedonien sorgt, hat sich gefreut über die geballte Ladung Balkan im Waaghaus. Es sei das Gegenprogramm gewesen zu all den Klischees in den Köpfen. Und es war ein starker Auftritt für das Wort. Mehr kann man der Literatur, kann man einem Literaturfestival nicht wünschen.

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