Kompensieren kann das Klima gefährden
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Ablasshandel! Dieses Wort kommt in fast jedem Text vor, der das sogenannte Kompensieren von Treibhausgasen zum Thema hat. Und der Vergleich ist ja nicht falsch: Wie der Ablasshandel hat das Kompensieren etwas Heuchlerisches. Aber das ist nur ein Grund von vielen, warum Kompensieren problematisch ist – und bei weitem nicht der wichtigste.
Das Prinzip klingt einfach und logisch: Ich kaufe ein Zertifikat für eine technische Klimaschutzmassnahme, die genauso viele Treibhausgase vermeiden soll, wie ich ausstossen darf. Doch hier beginnt schon das Problem: Oft lässt sich diese Vermeidung nicht genau messen. Also wird geschätzt. Wer schätzt? Die Firma oder Organisation, die die Zertifikate verkaufen will?
Zweitens: Es muss sichergestellt sein, dass die Klimaschutzmassnahme nur dank des Kompensationsgeldes umgesetzt wird. Ein Beispiel: In einem Schwellenland ersetzt eine Firma ein Kohlekraftwerk durch ein Windkraftwerk. Aber vielleicht hätte sie diese Investition sowieso gemacht, weil das Kohlekraftwerk alt war und das neue Kraftwerk rentabel ist. In diesem Fall sind die Treibhausgase nicht dank der Kompensationsgelder vermieden worden – und damit ist der Effekt der Kompensation dahin.
Drittens: Die Reduktion darf nicht doppelt verbucht werden – diese Gefahr besteht besonders, wenn Staaten Emissionen kompensieren wollen. Die Reduktion darf nur dem Land angerechnet werden, das bezahlt. Das Verkäuferland muss die verkaufte Kompensation als Emission bilanzieren. Auch das ist nicht immer gewährleistet.
Zwei Studien, eine deutsche und eine schwedische, sind zum Schluss gekommen, dass fast drei Viertel der verkauften Zertifikate keine Emissionsreduktion bewirkt haben – oder weniger als deklariert. Die Kompensation fand also nicht statt – doch sie wurde als solche verbucht. Unter dem Strich trug das Kompensieren zur Erwärmung bei.
Kompensieren hat etwas von einem Planspiel. In einer Welt, in der alles messbar ist, alle ehrlich sind und der Sache, nicht dem Profit dienen, würde es vielleicht funktionieren. Die Wirklichkeit sieht anders aus.
Und mit welchen Projekten sollen überhaupt so viele Treibhausgase eingespart werden? Manches scheint genial einfach, ist es aber nicht. Bäume pflanzen zum Beispiel finden alle super – und es stimmt, Bäume pflanzen ist in vielen Regionen der Welt dringend nötig. Aber man sollte Bäume nicht zur Kompensation brauchen, weil damit ihr Beitrag zum Klimaschutz ja gleich wieder «neutralisiert» wird.
Oder schlimmer: Wenn sich das Klima weiter erhitzt, können Bäume und ganze Wälder absterben und zur CO2-Quelle werden. Und wer garantiert, dass wirklich naturnaher Wald gepflanzt wird und nicht eine mit Pestiziden behandelte Baumplantage, womöglich auf Land, das davor von Kleinbäuerinnen genutzt wurde? Wer garantiert, dass der Wald geschützt bleibt und nicht in wenigen Jahren wieder abgeholzt wird? Auch Bäume sind nicht so unschuldig, wie es auf den ersten Blick scheint.
Dazu kommt noch der sogenannte Rebound-Effekt: Wer kompensiert, hat ein gutes Gewissen und gönnt sich darum gern einen Flug oder ein anderes Konsumgut mehr. Sich als «klimaneutral» verkaufen zu können, ist beste Werbung für eine Firma, und sie kann mehr von ihren Produkten verkaufen, auch wenn diese ökologisch zweifelhaft oder unnötig sind.
Firmen kompensieren meistens genau aus diesem Grund – Staaten hingegen tun es, weil sie die Klimaschutzmassnahmen, zu denen sie sich verpflichtet haben, nicht in Angriff nehmen wollen. Bürgerliche Politikerinnen und Politiker betonen oft, das sei sinnvoll, weil Klimaschutz in ärmeren Ländern billiger sei, man also mehr Klimaschutz fürs Geld bekomme.
Das ist ein Trugschluss: Um eine katastrophale Klimaerhitzung zu vermeiden, müssen alle Länder ihre Emissionen aus fossilen Quellen bis spätestens 2050 auf Null bringen. Da gibt es kein Ausland mehr, in das man auslagern kann. Das Kompensieren verzögert bloss die notwendige Anpassung der Infrastrukturen in den reichen Ländern.
Und – um zurück zur Moral zu kommen, die am Anfang stand – es ist zynisch: Ausgerechnet jene Länder, die die grosse Hauptschuld tragen, insbesondere wenn man die historischen Emissionen dazuzählt, möchten so lange wie möglich weitermachen wie bisher.
Wenn Saiten klimafreundlicher werden soll, ist es sinnvoll, das hier und jetzt zu versuchen: mit 100 Prozent Recyclingpapier, einem weniger dicken Heft, einer Druckerei mit Solarstrom, einem gut isolierten Büro, das auf 18 statt 22 Grad geheizt wird. Das alles spricht nicht dagegen, in anderen Ländern sorgfältig ausgewählte Klimaschutzprojekte zu unterstützen. Aber bitte nicht mit dem Etikett, man sei jetzt klimaneutral.
Bettina Dyttrich, 1979, ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ. Ein längerer Text zum Thema findet sich hier: tinyurl.com/saitkomp.
Dieser Beitrag erschien im Dezemberheft von Saiten.