Knüsel, sein Maleficium und ein heiliger Abend
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«Jeder hat eine Meinung, aber niemand eine Ahnung.» Pius Knüsel und seine drei Mitautoren wussten, was auf sie zukam, als ihr Maleficium «Kulturinfarkt» gedruckt wurde. Es kassierte Feuilleton-Haue. «Wir haben provoziert, jetzt wird zurückgeschlagen.» Die Kulturgemeinde sei wie eine katholische Kongregation, die eines ihrer Mitglieder exkommuniziere. Ewige Verdammnis für Pius Knüsel?
Nach einer Zusammenfassung des «Kulturinfarktes» bezieht das Podium Aufstellung: Daniel Studer (Direktor des Historischen und Völkerkundemuseums St.Gallen), Pius Knüsel, Kathrin Hilber (Regierungsrätin) und Christoph Solenthaler (Unternehmer). Flankiert von den zwei Moderatoren Roger Tinner (Geschäftsführer der «Wirtschaft Region St.Gallen») und Philipp Landmark vom «St.Galler Tagblatt» sollen sie sich um ein Mikro prügeln. «Das könnte sich zu einer Performance auswachsen», hofft Landmark. Was folgt, sind dann jedoch Reden schön der Reihe nach.
Überraschenderweise spielt die Rolle des Advocatus Diaboli Daniel Studer; als Vertreter jener Kulturinstitutionen, die Knüsel um die Hälfte reduzieren möchte, schlägt er sich auf dessen Seite. Das Buch stelle die richtigen Fragen, immer mehr Kulturinstitutionen buhlten um dieselben Gelder. Hilber ist bald die einzige, die sich vehement für eine Weiterführung der Kulturpolitik und der Fördergeldverteilung, wie sie jetzt funktioniert, einsetzt.
Das Giesskannenprinzip der Geldverteilung berge die Gefahr, es allen recht machen zu wollen, schlägt Solenthaler eine Kerbe in Knüsels These. Beim Giesskannenprinzip brächten Sparmassnahmen am Ende alles zum Vertrocknen. Hilber kontert, dass dies für Deutschland gelten möge, aber in der Schweiz die Kultur föderal getragen werde. «In St.Gallen werden die Kulturgelder nach absolut demokratischen Entscheidungen verteilt.»
Statt Giesskanne Leuchttürme: Ob man nicht versuchen müsse, in der Ostschweiz einen Kultur-Leuchtturm zu schaffen, um international wahrgenommen zu werden, lautet eine nächste Frage – so wie dies unter den Unis die HSG nur dank Schwerpunktsetzung geschafft habe. Hilber verteidigt das breite Angebot und nennt das Textilmuseum als einen solchen geplanten Leuchtturm. Er sei daran gescheitert, dass die einmalige Investition von 25 Millionen nicht gesprochen werden konnte in einer Zeit, da Schulen und Spitäler auch dringend Gelder brauchten.
Peter Sonderegger, «ein kulturkonsumierender Pensionist», fragt, ob man sich denn auch überlege, was passiere, wenn fünfzig Prozent der Gelder wegfallen würden. Hilber nickt: das seien ihre schlaflosen Nächte. Beispiel Vadiana: Seit den siebziger Jahren brauche die Kantonsbibliothek eine neue Lösung. Aber die Bibliothek in der Hauptpost wurde vom Sparpaket gebodigt. Das seien schon «fünfzig Prozent», die fehlen.
Oliver Kühn vom «Theater Jetzt» fragt, ob hier wie zurzeit in Luzern überlegt werde, das Theater glattweg aufzulösen und der freien Szene zur Verfügung zu stellen. Hilber verteidigt das Theater als Flaggschiff, dass St.Gallen brauche.
Im Publikum sitzt mindestens eine aus der «Kulturgemeinde», die das Buch gelesen hat und mit einer Beige Zettel aufsteht: Brigitte Kemmann von der Kulturzentrale will wissen, warum Knüsel so despektierlich über die Künstler herziehe und warum er überhaupt an diesem Buch mitgeschrieben habe. «Es muss schmerzen, damit es gelesen wird.» Damit hat es sich mit den kritischen Fragen an den Pro-Helvetia Direktor, der das Buch als Privatperson geschrieben hat.
Exkommuniziert wurde Pius Knüsel an dem Abend nicht. Auch Kathrin Hilber nicht. Aber Fragen hat die «Kulturgemeinde» viele. Offensichtlich ist die Angst um fehlende finanzielle Unterstützung für die Kultur gross.