Knöppel in den Pfalzkeller

Faschismusvergleiche, die Rede von «Cancel Culture» und «Zensur» in den sozialen Medien und Kommentarspalten, die bedingungslose Heldenverehrung von Knöppel (bislang übrigens fast ausschliesslich von Männern), Kulturkampf-Kommentare im «Nebelspalter» und in «die Ostschweiz» – während die WoZ von Zürich her eine «fein geführte Kunstdebatte» attestierte: Der Entscheid der Grabenhalle, Knöppel auf ihrer nächsten Tour nicht bei sich zu veranstalten, hat so einige Gemüter erhitzt.
Öffentlich gemacht und als erster kommentiert hatte diesen Entscheid der Publizist Rolf Bossart in einem Essay auf saiten.ch. Er tat dies in einem intellektuellen Zweisatz, indem er zuerst erklärte, was es denn auf sich habe mit dieser Kunst, die letztlich immer ambivalent und uneindeutig bleiben und fernab moralischer Kategorien verhandelt werden müsse. Knöppel, so das erwartete Fazit danach, machten Kunst im besten Sinne, weil in ihrem Zelebrieren der Männlichkeit immer auch deren Auflösung stecke, weil sich im überbordenden Gestus der Grösse und Macht eigentlich erst die Schwäche und die Selbstzerstörung zeigen würden.
Kunst am Philosophentisch
Das klingt zwar nach einer in sich schlüssigen Logik, nur bleibt das dargelegte Kunstverständnis letztlich ziemlich beschränkt, klammert Bossart doch aus, dass Kunst und Kultur immer in sozialer Interaktion stattfinden. Kunst, möge sie noch so ambivalent, noch so konfliktgeladen sein, trifft zwangsläufig auf Menschen, die sich mit ihr auseinandersetzen. Die Grabenhalle stellt in diesem Sinne einen sozialen und öffentlichen Raum dar, in dem nicht die generelle Frage verhandelt wird, ob nun Knöppel Kunst sei oder nicht, sondern deren konkrete Wirkung. Eine Wirkung, die durchaus problematisch sein kann. So haben nach dem Konzert der letzten Knöppel-Tour zahlreiche Mitarbeitende sowie vereinzelte Gäste von einer sehr unangenehmen Stimmung und übergriffigem Verhalten berichtet.
Wenn wir Kunst als soziale Interaktion begreifen, so ist es auch offensichtlich, dass nicht alle Kunst gleich interpretieren und erleben. Natürlich unterscheidet sich eine feministische oder weibliche Sicht auf das Werk Stoikers von einer männlichen, natürlich können die Texte, kann die Stimmung bei Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinären-, Trans- oder Agender-Personen andere Reaktionen auslösen als bei Männern, deren Hoden gerade besungen werden. Eine eigentlich banale Erkenntnis, die in der Debatte jedoch meist komplett ignoriert wird – auch von Bossart.
Vielmehr wird in der Debatte, nicht nur bei Bossart, allzu oft FLINTA*-Personen erklärt, wie sie Kunst zu deuten hätten. Es wird einerseits davon ausgegangen, dass sie die Ironie nicht verstanden hätten und andererseits davon, dass man diese Ironie, Überzeichnung, Provokation ertragen müsse. Auch Bossart suggeriert, dass man aus der Feststellung, dass die Texte Knöppels ironisch gebrochen seien, logischerweise zur Haltung gelangen müsste, das Konzert zu veranstalten. Wir haben die Ironie imfall schon verstanden, aber es nervt halt trotzdem.
Natürlich wäre ein Kunstbegriff auch problematisch, der Betroffenheit und die Frage von Rezeption von Kunst absolut und an die erste Stelle setzt, doch Bossart macht genau das Gegenteil: Er setzt seine männliche Rezeption der Band, die Ironie, den «lyrischen Witz» («Tagesanzeiger») absolut. Er spricht auch lediglich aus seiner persönlichen (männlichen) Erfahrung, wenn er über das Publikum schreibt: «(…) ich wüsste nicht, dass je diese Art der Vermassung der Fall gewesen wäre.» Schön für ihn. Eine solche kunstphilosophische Gelassenheit und einen solchen Umgang mit Kunst muss man(n) sich leisten können.
Awareness, kennsch??
Durch die Fixierung auf einen solch abgehobenen Kunstbegriff und ohne Rücksicht auf die Betroffenenperspektive sagt Bossarts Text im Grunde Folgendes: Ihr fühlt euch nicht unwohl, ihr habt die Kunst/die Ironie einfach nicht verstanden. So werden nicht nur die Emotionen der Betroffenen, sondern auch tatsächliche Übergriffe und strukturelle Diskriminierungen zu einem intellektuellen Missverständnis degradiert, als würden durch das richtige Kunstverständnis Sexismus und übergriffiges Verhalten irgendwie erträglicher, oder sich gleich ganz in Luft auflösen. Dabei geht es bei diesem Entscheid bei weitem nicht nur um die subjektive Erfahrung einzelner Betroffener, sondern ist in eine weit grössere Entwicklung eingebettet.
Seit Jahren wird in Veranstaltungslokalen über Awareness diskutiert, also darüber, wie die Räume grundsätzlich sicherer und diskriminierungsärmer gemacht werden können. Als erster Schritt in diesem Prozess müssen Übergriffserfahrungen sowie strukturelle Diskriminierung ernstgenommen werden. Welche Konsequenz oder Handlung dann entsteht, ist situationsabhängig und muss kollektiv verhandelt werden. Und nein, Awareness hört eben nicht damit auf, ein paar Machos «die Türe zu zeigen», wie Bossart vorschlägt.
Ein Meinungstext zu diesem Thema, der sich weigert, sich mit der Perspektive Betroffener, mit einer feministischen Philosophie oder mit Awareness auseinanderzusetzen, schlägt in eine Kerbe, die uns schneller zum SVP-Parteiprogramm führt, als uns lieb ist. So ist es wenig überraschend, haben sich in der Kommentarspalte rechte Kampfbegriffe wie «superwoke» oder «hypersensibel» sowie direkte Nazi-Vergleiche («Entartete Kunst») angesammelt.
Während sich die Diskussion auf dem Saiten-Terrain verselbständigte, wurden diese Kommentare weder erwidert noch eingeordnet. Wer jedoch eine solche Debatte auslöst, sollte sich auch mit ihr beschäftigen. (Anm. d. Red.: Saiten hat reagiert auf der Facebook-Page, allerdings zu spät. Hier der Kommentar im Wortlaut: Liebe Leute, Nazi- und Faschovergleiche sind hier definitiv deplatziert. Wir bitten euch, in dieser wichtigen Debatte, in der bisher rechtskonservative Kräfte den Ton angeben, die Nettiquette zu wahren. Wir bemühen uns, diese Diskussion differenziert und ohne unnötige Kampfbegriffe wie «Wokenesswahn» etc. zu führen. Wir haben uns dagegen entschieden, bereits erschienene Kommentare zu löschen, um zu zeigen, wie die Debatte entgleisen kann. In Zukunft behalten wir uns aber vor, unangebrachte Kommentare zu entfernen.)
Doch auch im Nachfolgeartikel von Saitenredaktor David Gadze, «Knöppel akzeptieren Grabenhalle-Nein», folgt keine Einordnung. Mit der gezielt platzierten Formulierung des Grabenhalle-Grundsatzes «Kulturhalle für alle» impliziert er, dass dieser Grundsatz mit dem Entscheid, Knöppel das Konzert zu «verweigern», gebrochen worden sei. Dabei ist dieser Grundsatz sowieso viel komplexer, als er klingt. Wer die heutige Grabenhalle und ihre Vergangenheit etwas kennt, weiss, dass das Kollektiv immer mal wieder Veranstaltungen ablehnt – aus ganz unterschiedlichen Gründen – und die Halle also nie «für alle» da war. Zum Glück.
«Halle für alle»
Wenn wir aber über Grundsätze wie «Halle für alle» reden wollen, müssen wir sowieso zuerst etwas ganz anderes anerkennen: Die Schweizer Musikbranche ist männerdominiert. Laut einer von Pro Helvetia in Auftrag gegebenen Studie (2019–2021) liegt der Männeranteil bei Konzerten in den Bereichen Jazz, Pop und Rock bei 90 Prozent. Diese Zahlen sehen auch in den linken Veranstaltungshäusern kaum anders aus, so hat eine Untersuchung in Bern 2018 gezeigt, dass zum Beispiel das Rössli in jenem Jahr 92 Prozent Männer auf der Bühne hatte.
Dass die Frage «wer darf wo spielen?» erst dann gestellt wird, wenn eine Band mit ausschliesslich männlicher Besetzung, die seit Jahren landauf landab tourt, einmal ein Konzert weniger spielen können, respektive dieses an einem anderen Ort durchführen müssen, ist ein Zeichen dafür, dass der Status quo nie ernsthaft als solcher hinterfragt wurde. Wir alle haben diesen Status quo als eine Art Naturzustand kennengelernt und so ist eine aufgebrachte Reaktion auch nicht ungewöhnlich, wenn diese Normalität unerwartet gestört wird, indem einer privilegierten Position etwas verwehrt wird, was sie als selbstverständlich angenommen hat. Anzuerkennen, dass eine krasse strukturelle Ungleichheit herrscht, kann schmerzhaft sein – und zwar für alle Beteiligten.
In anderen Schweizer Städten gibt es übrigens Diversitätsklauseln bei subventionierten Häusern, um dieser strukturellen Diskriminierung entgegenzuwirken. Die Dampfzentrale in Bern zum Beispiel verpflichtet sich dazu maximal zwei Drittel Männer im Programm zu haben. Aber das Thema Subventionierung wird im Text nur als Triggerpunkt gesetzt, der unweigerlich zu einzelnen Stimmen führt, welche für die Streichung der Subventionierung plädieren. Was auch wieder gefährlich nah am SVP-Parteiprogramm landet.
Der Verweis auf die Subventionierung bleibt im Text nicht der einzige gefährliche Triggerpunkt: Am Schluss des Textes versteigt sich Bossart zur These, der Entscheid gegen das Knöppel-Konzert reduziere nicht den angeprangerten Sexismus, sondern verstärke diesen noch – eine Behauptung, die oft gebracht wird, um verschiedensten Formen von Aktivismus die Berechtigung abzusprechen. Das Argument wirkt umso deplatzierter, als Bossart in seinem Text weder die von der Grabenhalle beschriebene problematische Wirkung der Band anerkennt, noch – abgesehen vom Vorschlag, einzelne Typen rauszuschmeissen – Ansätze für eine kritische Auseinandersetzung damit liefert. Eine kritische Auseinandersetzung übrigens, der sich die Band seit jeher verweigert – mit zum Teil abstrusen Argumenten wie etwa jenem auf der Knöppel-Homepage, dass Sänger Midi nicht in der Stadt St.Gallen wohne und ihn die Debatte darum nichts angehe.
Der fragile Mann
Räume, in denen Männlichkeit spielerisch ausgelebt, dekonstruiert und vielleicht sogar transformiert werden kann, sind wünschenswert. Aber solche Räume zu kultivieren, bringt Verantwortung mit sich, denn Männlichkeit ist nicht nur fragil, männliche Sexualität nicht einfach prekär, wie von Bossart dargestellt. In Stoikers Texten, so Bossart, löse sich die Ironie, die Provokation immer in Schwäche auf.
Natürlich ist Männlichkeit eine Art des Souveränitätstheaters, weil sie Stärke vorgibt, wo auch viel Schwäche ist. Aber in ihrer realen Auswirkung ist Männlichkeit allzu oft genau das Gegenteil von Schwäche, vielmehr ist sie: übergriffig, gewalttätig, mächtig, herrschaftlich, rücksichtslos. Also genau so, wie Betroffene ihre Erfahrungen am Knöppel-Konzert von vor vier Jahren beschrieben haben, wo sich diese Ambivalenz in den Texten eben nicht in Schwäche aufgelöst hat, sondern in ihrem Gegenteil: in einer aufgepeitschten Männlichkeit, in Übergriffigkeit. Aus einer privilegierten Position heraus kann man sich easy erlauben diese dunkle, patriarchale Seite der Medaille nicht mitzudenken. Aber für alle, die keine weissen cis Männer sind, werden diese Räume allzu schnell zur Gefahrenzone.
Geniekult als Schutzschild
Über den Knöppel- und Bossart-Tellerrand hinausgeschaut: Es ist nicht neu, dass Männlichkeit (auf vulgäre Art) in Kunst und Popkultur verhandelt wird. Es wimmelt nur so von (aus männlicher Perspektive formulierten) Wichs/Ständer/Blowjob/Fick/Porno/Gewalt/Geilheitsfantasie-Texten in Musik, Kunst und Literatur. Figuren wie Bukowski, Boroughs, Houellebecq oder Lindemann wurden und werden als Genies verehrt, und die ganzen zwiespältigen, potenziell missbräuchlichen, abwertenden Frauengeschichten (ob im echten Leben oder als lyrische Figuren) um sie herum werden dann im Zuge von «genialer Kunst» und «lyrischem Ich» gerne einfach hingenommen und nicht weiter beleuchtet.
Schreiben hingegen Frauen derb, kompromisslos und ehrlich über Sex, Pornografie oder persönliche Abgründe, wird es in der öffentlichen Rezeption oft direkt in eine Ekel-Ecke gestellt oder skandalisiert. Stefanie Sargnagel zum Beispiel hatte wegen einer einzigen provokativen Zeile einen so überwältigenden Shitstorm am Hals, dass sie schliesslich einen Hörsturz erlitt. Oder Kim de L’Horizon ist enorm viel Hass ausgesetzt, einfach weil dey offen über queeren Sex schreibt und literarisch, aber auch nur schon durch die alleinige Existenz des eigenen nonbinären Körpers, Männlichkeiten herausfordert. Während cis Männer also für edgy Kunst tendenziell eher gefeiert werden und oft kein Skandal ihren Geniestatus zu beschädigen vermag, werden andere öffentlich dafür bestraft.
Ein weiteres entlarvendes Beispiel für die herrschende Doppelmoral sind die Reaktionen auf den Song cis männer der Schweizer Band ENL: Immer wieder wird über diesen Song gesagt, er sei diskriminierend, männerfeindlich, extrem daneben. Bei Männern, die ironisch frauenverachtende Texte singen, scheint allgemein viel mehr Bereitschaft da zu sein, provokative Ironie als Kunstform zu verteidigen, als es bei FLINTA*-Personen der Fall ist. Diese Doppelmoral sollte uns doch zumindest stutzig machen, nicht zuletzt, da es angesichts der Machtverhältnisse keine Diskriminierung gegen Männer gibt, während Diskriminierung gegen FLINTA*-Personen schmerzlich real ist, von alltäglich bis lebensbedrohlich. Mit Begriffen wie «Männerdiskriminierung» oder «Misandrie» sind wir auch abermals bei Vokabular gelandet, das ursprünglich aus rechten, antifeministischen Bewegungen stammt.
Wichs on
Am Ende wird das Patriarchat nur weiter aufrechterhalten, wenn die reflexartige Reaktion ist, dass das Einbeziehen einer Betroffenenperspektive gute Kunst verhindere, anstatt sich zuerst ernsthaft mit den Machtverhältnissen und der angebrachten Kritik auseinanderzusetzen. Eine Position zu Männlichkeit ohne kritische Auseinandersetzung mit den herrschenden Machtverhältnissen und ohne Rücksicht auf andere Perspektiven als die cis männliche, ist in den meisten Fällen eine antifeministische Position.
Bei Knöppel liesse sich ja durchaus fragen, warum denn diese fragile Männlichkeit zu ihrer Darstellung und Offenbarung und letztlich Dekonstruktion noch eine solche Betonung der eigenen Stärke und Texte (wie «i ha di immer no gern..au wennt di nüme figge losch») benötigt. Bei Bossart klingt es fast so, als ob die Würde des kleinen Mannes nicht auch anders besungen werden könnte. Provozieren oder Tabus brechen wird man mit diesen Texten schon lange nicht mehr. Und sowieso: Ist es überhaupt noch Punk, wenn Herrschaftsverhältnisse zementiert, anstatt gestört werden? Die Verweigerung der kritischen Auseinandersetzung mit diesen, ist jedenfalls ziemlich spiessig.
Vielleicht wäre ein Knöppelkonzert inzwischen im Pfalzkeller besser aufgehoben.
Anm. d. Red., 10. Juli: In einer ersten Version dieses Beitrag wurde auch die Stoiker-Textzeile «d’Fraue sind alles Schlampe..» zitiert. Dieser Song wird seit über 15 Jahren nicht mehr auf der Bühne gespielt – aus eben diesen Gründen.
Jessica Jurassica war einmal menstruierend an einem Knöppel-Konzert. Sie ist Musikerin, Autorin und Boybandexpertin. Als solche mischt sie sich auch mal aus den USA in lokale Debatten ein.
Matthias Fässler ist Historiker und mit der Grabenhalle nicht nur befreundet, sondern sitzt auch in der Betriebsgruppe, die sich gegen eine Veranstaltung mit Knöppel entschieden hat.
Julia Kubik ist Künstlerin, Provinzforscherin und viel im Internet. Der Knöppeldiskussion hat sie einen Comic gewidmet, in dem nur Penisse agieren. Ist das noch Ironie?