Klima: Ein dicker Stapel Forderungen
Wenn eine Bundesrätin oder ein Bundesrat nach St.Gallen kommt, ist ein volles Haus garantiert. Das lehrt die Erfahrung. Was aber am Montag abend in der Lokremise geschah, liess doch aufhorchen. An die 500 Leute drängten in den Saal. Einige Dutzend mussten gar draussen vor der Tür bleiben: kein Einlass mehr.
Das lag nicht nur am prominenten Gast, sondern auch am brisanten Thema. Bundesrätin Simonetta Sommaruga sprach über die Herausforderungen der Klimapolitik. Zum Anlass hatten die Umweltverbände WWF, VCS und Pro Natura sowie das Wahlkomitee Rechsteiner geladen. Das im wahrsten Sinn des Wortes brennende Thema (Amazonas!) vermochte überaus stark zu mobilisieren.
«Knapp, aber machbar»
Als Vorsteherin des Umwelt- und Energiedepartements UVEK ist Sommaruga verantwortlich fürs Klimadossier. Sie appellierte ans Vorwärtsmachen und unterlegte dies mit Fakten. «Für einen wirksamen Klimaschutz bleiben uns nur 30 Jahre», machte sie mit Blick auf die vom Pariser Abkommen gesetzten Klimaziele deutlich. «Eine knappe Zeit, aber es ist machbar.»
Von 1990 bis 2017 hat die Schweiz die CO2-Emissionen um 12 Prozent gesenkt. Doch es ist viel mehr nötig, um die gefährliche Erderwärmung durch Treibhausgase zu stoppen. Bei den Gebäuden, beim Verkehr, beim Fleischkonsum und ebenso in der Industrie. Am weitesten entfernt von den Zielen ist die Finanzindustrie. Banken, Versicherungen und Pensionskassen tun bei ihren Anlagen viel zu wenig, liess die Klima-Ministerin klar durchblicken. Sie sollen nun wenigstens zu mehr Transparenz angehalten werden.
Doch Sommaruga machte auch Mut. Etwa damit: Wenn man die Fotovoltaik voll ausnützen würde, könntem wir in der Schweiz doppelt so viel Strom wie alle AKWs zusammen produzieren. Für eine kohärente Klimapolitik seien Entscheidungen erforderlich, und zwar jetzt. Natürlich hatte die Bundesrätin nichts dagegen, dass die zuständige Ständeratskommission plötzlich auf die Überholspur geschwenkt ist und neuerdings eine Abgabe auf Flugtickets fordert. Es verstehe ja ohnehin kein Mensch, dass alle Treibstoffe besteuert werden, nur das Kerosen für Flugzeuge nicht, sagte sie.
Druck auf die Kantone
Dem Votum von Sommaruga schloss sich eine durchaus gesittete Podiumsdiskussion mit dem St.Galler Baudirektor Marc Mächler (FDP), dem WWF-CEO Thomas Vellacott und Juso-Nationalratskandidatin Miriam Rizvi vom Klimastreik-Kollektiv Ostschweiz an. Mächler kündigte einen neuen kantonalen Kredit für den Ersatz von Ölheizungen an. Ansonsten redete er dem politischen Kompromiss das Wort: Ohne diesen gehe es nicht.
Vellacott jedoch übte Kritik an den Kantonen, sie täten zu wenig für den Klimaschutz. Auch St.Gallen: Der Ostschweizer Kanton liegt in einem einschlägigen Ranking wie stets im unteren Mittelfeld. «Wir müssen uns nicht am Machbaren orientieren, sondern am Erforderlichen», forderte der WWF-Mann, der es sonst sehr toll findet, dass die junge Klimabewegung mit ihren Protesten der Politik gehörig Dampf aufsetzt.
Klimademos auf dem Land:
31. August
Degersheim: 14 Uhr, Steineggschulhaus,
Turnplatzweg 2a
Wattwil: 10:30 Uhr, Bräkerplatz
Teufen: 15 Uhr, Hechtplatz
Deren Sprecherin Miriam Rizvi sagte, gegen die träge Politik gerichtet: «Das Klima erträgt keine Kompromisse!» Es seien Sofortentscheidungen nötig. Sie kritisierte den Wachstumszwang, die Gier und den Profit auf Kosten der Natur. Da kam schon etwas Kapitalismuskritik auf. Die vorsichtige Formel der Bewegung in dieser Hinsicht lautet so: Wenn sich die Klimaforderungen im jetzigen System nicht realisieren lassen, brauche es «einen Systemwandel». Vor 50 Jahren hätte man «Revolution» gesagt.
Der Kluge reist mit Rechsteiner im Zuge
Ständerat Paul Rechsteiner sagte am Schluss der Veranstaltung, es sei das Verdienst der Klimajugend, das Thema der drohenden Klimakatastrophe mit dem nötigen Nachdruck auf die Agenda gebracht zu haben. Rechsteiner forderte eine «intelligente Realpolitik» und meinte mit Blick auf die Wahlen im Herbst, die nächsten vier Jahre seien für die Klimapolitik entscheidend. Ihm gelang das Bonmot, dass es bei den innereuropäischen Flügen wie beim Alkohol in der Beiz sein müsse: Der billigste Flug darf den Preis für den Zug nicht unterschreiten.
Unerwartet landete das Klimastreik-Kollektiv zuletzt einen Überraschungscoup: Zehn Leute betraten auf einmal die Bühne und überreichten Baudirektor Marc Mächler ein mehrseitiges Forderungspaket – zum Beweis dafür, dass die Jugendlichen nicht nur auf der Strasse fordern, sondern auch inhaltlich etwas liefern können. Mächler versprach, das Papier zu lesen. Inzwischen können das alle tun – das Kollektiv bediente am Dienstag auch die Medien damit.
Die Forderungen reichen vom Übergang zur Biolandwirtschaft und der Reduktion von Foodwaste sowie einem Verbot von Einwegplastik über die Einführung einer Klimasteuer, die kostenlose Benützung des öffentlichen Verkehrs, Verbote von Autos in den Städten und von Inlandflügen bis zum vollständigen Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energien, zur Installierung der 2000-Watt-Gesellschaft und zur Anerkennung der Klimakrise als Fluchtgrund in der Migration.
Im Papier heisst es: «Die Klimakrise ist kein Zukunftsszenario, sie findet jetzt statt. Es kann niemand behaupten, nicht davon gewusst zu haben.»