Vergeblicher zweiter Anlauf

In St.Fiden sollte ein neues Kulturhaus entstehen. Allerdings nicht an der Oststrasse 29, wie anfangs gedacht, sondern nebenan in den leerstehenden Hallen der Nummer 25. Jetzt hat der Stadtrat dem Projekt vorzeitig den Stecker gezogen.
Von  Corinne Riedener
Blick in den hinteren Teil des Hauptraumes, wo ein Gastrobereich entstehen könnte. (Bilder: co)

Der Wirbel unter den freien Bühnenschaffenden in der Region war gross, als vor den Sommerferien ein leerstehender Komplex in St.Fiden unvermittelt vor ihren Füssen lag. Die Raumsuche für die Freien in St.Gallen umfasst mehrere langatmige Staffeln, und am Ende war es mehr oder weniger ein Zufall, der das einstige Grossenbacher-Areal an der Oststrasse als mögliche temporäre Heimat für die Freien aufs Tapet brachte.

Dieser Text ist im Okotberheft von Saiten erschienen, das am 19. September in Druck gegangen ist. Er wurde für die Online-Version aktualisiert, siehe die letzten drei Absätze.

Erste Einschätzungen von Fachleuten hatten ergeben, dass sich ein Kulturbetrieb in den leerstehenden Werk- und Fertigungshallen mit verhältnismässigem Aufwand durchaus realisieren liesse. Hätte da nicht der Lärm das Happy End versaut: Eine vertiefte Abklärung hat nämlich ergeben, dass die grosse Halle an der Oststrasse 29 kaum je den Schallschutzbestimmungen genügen würde. Also hiess es: Cut! Neuer Versuch. Oder in diesem Fall: Vorhang auf für die nächste Halle.

Fast 2000 multifunktionale Quadratmeter

Die «neue» Halle gegenüber an der Oststrasse 25 gehört ebenfalls zum Grossenbacher-Hauptsitz, der in den 1960er-Jahren vom Architekten Ernest Brantschen geplant wurde. Anders als ihre grosse Schwester nebenan kommt sie allerdings nicht ganz ohne Stützen im Raum aus – kaum ein Wermutstropfen für den potenziellen Bühnenbetrieb, wenn man sie kreativ mitdenkt. Und es gibt nur Nasszellen im Keller.

Also ist auch diese ehemalige Werkhalle geeignet für ein Kulturhaus, wie es momentan angedacht ist: Sie umfasst zwei Stockwerke mit je 900 Quadratmetern nutzbarer Fläche, dazu kommen ein Zwischengeschoss und Kellerräume.

In der oberen Etage und im Dazwischen gibt es mehrere multifunktionale Räume in verschiedenen Grössen, die Ensembles und Vereinen, aber auch der Nachbarschaft als Ateliers, Probelokal, Arbeits- oder Rückzugsräume dienen könnten. In der grossen Halle im Erdgeschoss liessen sich je nach Bedürfnis variable Bühnensituationen mit einer oder mehreren Tribünen für das Publikum einrichten. Ein Lift sorgt für Barrierefreiheit und im hinteren Hallenteil könnte auch eine Gastroecke relativ pragmatisch realisiert werden.

Blick vom Zwischengeschoss in die grosse Halle.

Im Obergeschoss gibt es diverse grosse…

…und kleinere Räume.

Hier könnten Veranstaltungen für bis zu maximal 300 Personen stattfinden, erklärt Tubist und Stadtparlamentarier Karl Schimke im September an einer gutbesuchten Führung für Interessierte. Er ist Präsident des Vereins Gemischtes Doppel, welcher den Projekt- und Proberaum Pool im Lachen-Quartier betreibt.

Schimke und Pool-Betreiberin Ann Katrin Cooper arbeiten seit Monaten an einem Kulturhaus-Konzept für die Hallen an der Oststrasse, nicht zuletzt, weil der Pool demnächst umziehen muss und nach einer Anschlusslösung sucht. Aber nicht nur: Auch die Otmarmusik, die Stadtmusik und das Jugendsinfonieorchester sind auf der Suche nach neuen Lokalen.

Im Konzept ist von «einem professionell geführten Kulturhaus» für die darstellenden Künste mit regionaler und überregionaler Ausstrahlung die Rede. Aber auch Musikensembles und Vermittlungs- und Beteiligungsformate für die lokale Bevölkerung sollen darin Platz haben. Und es sieht nebst lokalen Projekten und übergreifenden Kooperationen auch Gastspiele von externen Veranstalter:innen und Kompanien vor. So könnten national und international tourende Ensembles auch Halt in St.Gallen machen.

Der Ball ist bei der Politik

Als klar wurde, dass es mit der 29 nix wird, haben Cooper und Schimke das Konzept unverzüglich überarbeitet und an die Begebenheiten der Halle 25 angepasst. Denn die Zeit drängt: Das ehemalige Grossenbacher-Areal ist nur zur Zwischennutzung ausgeschrieben. Es ist bereits ein grosses Überbauungsprojekt in der Pipeline. Stand heute wären dem Kulturhaus zwei Jahre garantiert – wobei daraus auch mehr werden könnten, je nachdem, wie das Baubewilligungsverfahren läuft. Projekt Interim, welches die Zwischennutzung betreut, ist dem Kulturhaus gegenüber jedenfalls wohlgesinnt und preislich bereits entgegengekommen.

Mehr zur langwierigen Raumsuche, dem Kulturhaus-Betriebskonzept und dem ehemaligen Grossenbacher-Areal ist im Sommerheft von Saiten oder hier nachzulesen.

Feuerpolizei und Baubewilligungsamt haben die neue Halle bereits in Augenschein genommen. Sie muss natürlich noch betriebsfit gemacht werden. Cooper und Schimke betonen am Rundgang, dass sie die Ästhetik der Halle möglichst erhalten und baulich nur das Nötigste machen wollen. Dazu gehören unter anderem Massnahmen für den Schallschutz, die Akustik, den Brandschutz und die Fluchtwege. Die Kosten für diesen sanften Umbau haben sie auch dieses Mal von Fachleuten abschätzen lassen. Derzeit gehen sie von plusminus 400’000 Franken aus.

Bei Drucklegung für dieses Heft lag das Projekt zur Beratung beim Stadtrat. Bei Investitionen über 150’000 Franken muss eine Vorlage ins Parlament, womit Schimke und Cooper gerechnet haben. Sie waren schon darauf vorbereitet und weibelten fleissig für ihr Projekt: Am 22. Oktober war ein Rundgang an der Oststrasse 25 für alle Parlamentarier:innen angesagt. Dann sollte sich zeigen, wie gross ihre Bereitschaft ist, das städtische Kulturkonzept umzusetzen. Ein spartenübergreifendes und professionell geführtes Haus für die freie Kulturszene ist darin nämlich explizit festgeschrieben.

Das sagt der Stadtrat

Nun, soweit ist es nicht gekommen. Der Stadtrat hat dem Projekt diese Woche vorzeitig den Stecker gezogen. «Der Stadtrat lehnt das Gesuch zur Umnutzung der leerstehenden Liegenschaft ab», schreiben Schimke und Pool am Freitagabend in einer Medienmitteilung. Er leite die Vorlage nicht ans Parlament weiter. Gründe dafür seien laut Stadtpräsidentin Maria Pappa die begrenzte Nutzungsdauer und die angespannten städtischen Finanzen.

Der Vorhang ist gefallen. Bei Cooper und Schimke ist die Enttäuschung gross. Für sie gibt es nur eine Schlussfolgerung: «Das Kulturkonzept der Stadt St.Gallen ist und bleibt ein Lippenbekenntnis.» Sie hätten sich gewünscht, dass die Vorlage trotz oder gerade aufgrund der finanziell herausfordernden Zeiten zumindest an das Stadtparlament weitergeleitet worden wäre, um diesen Entscheid breiter abzustützen. Das schreiben sie am Freitag in einem Brief an den Stadtrat.

Entweder sie schaffen es jetzt in kürzester Zeit, selber etwa 400’000 Franken aufzutreiben, oder der zweite Anlauf an der Oststrasse ist definitiv gescheitert. Ob sie diesen neuerlichen Effort nach all der Arbeit in den letzten Monaten nochmals leisten können und wollen, lassen Cooper und Schimke am Freitagabend offen. Verständlich, denn eine Geldsammelaktion von diesem Ausmass ist doch recht ambitioniert und muss professionell geplant werden. Und die potenzielle Zielgruppe leidet bekanntlich ebenfalls unter «angespannten Finanzen». Immerhin das haben die Kulturschaffenden noch mit der Stadt gemeinsam.