Kino an der frischen Luft

«Favoriten unter Sternen» heisst das diesjährige Motto des Openairs in der Lokremise. In den kommenden vier Wochen zeigt das Kinok St.Gallen Publikumslieblinge der vergangenen Jahre, ergänzt mit einigen Vorpremieren. Fünf Freiluft-Filmtipps haben wir herausgepickt.
Von  Corinne Riedener
Fatah und Jacqueline auf dem langen Weg nach Paris. (Bild: Pathé Films)

Das St.Galler Kinok hat eine lange Open Air-Tradition. Schon in den 80er-Jahren, als es gegründet wurde, waren die «Kinokis» immer wieder auf der Suche nach originellen Spots (mehr dazu von Geri Krebs im aktuellen Programmheft). So gab es Freilichtvorführungen in der Kehrichtverbrennungsanlage, im Volksbad oder in der Frauenbadi, auf Dorfplätzen, in Gärten und Beizen und einmal sogar eine winterliche Projektion auf die Schneedecke.

Ein Glück also, dass Freilichtvorführungen tendenziell coronaverträglich sind und das Kinok nach dem lästigen Lockdown doch noch an die frische Luft kann diesen Sommer. Allerdings ist das «Openair in der Lokremise» heuer etwas anders aufgegleist. Statt einem programmatischen Motto wie in den Vorjahren («Top Secret» 2019, «Liebe macht keine Ferien» 2018, «Männer, die ins Auge gehen» 2017 oder «Blond!» 2017) lautet das Motto 2020 schlicht «Favoriten unter Sternen».

Aus nachvollziehbaren finanziellen Gründen haben sich die Betreiberinnen – nebst einigen Vorpremieren – für den Griff ins Archiv entschieden und allerhand «Publikumslieblinge der vergangenen Jahre herausgepickt». Dazu gehören La Vache von Mohamed Hamidi (2016), Parasite von Joon-ho Bong (2019), The Party von Sally Potter (2017), The Wife von Björn Runge (2017) und Dark Waters von Todd Haynes (2020, Vorpremiere).

Der bessere Olma-Ersatz

La Vache ist ein geradezu idealer Sommerfilm. Leichtfüssig, aber trotzdem keine leichte Kost. Und insbesondere für die Ostschweiz eine bitter nötige Komödie, da manchen der Olma-Ausfall ja bekanntlich ganz schwer zu schaffen macht und sie dank Jacqueline, einer Tarenteser-Kuh, doch noch ein bisschen Viehschau-Flavour geniessen können – einfach in gut. Und wie an der Olma spielt auch im Film der Alkohol eine verhängnisvolle Rolle.

Jacqueline ist Fatahs ganzer Stolz. Der bescheidene Bauer aus Algerien (Stand-Up-Comedian Fatsah Bouyahmed in seiner ersten Hauptrolle) träumt davon, sie eines Tages auf der internationalen Landwirtschaftsmesse in Paris präsentieren zu dürfen – und wird zum Erstaunen aller tatsächlich dahin eingeladen.

 

Begeistert sammeln die Dorfbewohner Geld für die Reise der beiden und wenig später erreichen Aussenseiter Fatah und seine Jacqueline per Schiff Marseille. Dort läuft aber einiges schief und so müssen sie den Weg in die Hauptstadt allein unter die Füsse nehmen – was natürlich zu allerlei hin- und herzzerreissenden Situationen führt.

Von der Kellerwohnung ins Kellerverlies

Wer Parasite letztes Jahr verpasst hat, sollte sich den 31. Juli vormerken. Die südkoreanische Gesellschaftssatire über die soziale Ungleichheit wurde mit Preisen geradezu überhäuft und gewann 2019 als erste fremdsprachige Produktion in der Geschichte der Oscars die Trophäe für den besten Film. Angesichts der anhaltenden Koreanischen Welle (Hallyu) war das wohl auch längst überfällig.

Regisseur Joon-ho Bong erklärte in Cannes, sein Film sei eine Mischung aus realistischem Drama, Sozialkomödie und Horrorthriller. Alles fängt damit an, dass Ki-woo, der halbwüchsige Sohn der armen Familie Kim, einen Job als Privatlehrer bei der wohlhabenden Familie Park ergattert. Mit einigem Geschick schafft er es wenig später, auch den Rest seiner Familie bei den Parks unterzubringen; die Schwester als Kunsttherapeutin, den Vater als Chauffeur und die Mutter als Haushälterin.

 

Als die Parks eines Tages zu einem Campingausflug aufbrechen und kurz darauf deren ehemalige Haushälterin auftaucht, weil sie angeblich etwas vergessen hat, nimmt das Drama seinen Lauf… ein dunkles Geheimnis kommt zu Tage.

Entgleisende Cüpli-Sozis

The Party von Sally Potter ist ebenfalls bitterböse, spielt aber vorwiegend in einer gesellschaftlichen Klasse, der linksbürgerlichen Londoner Bourgeoisie, verkörpert von Schauspielgrössen wie Bruno Ganz, Kristin Scott Thomas, Emily Mortimer oder Timothy Spall. Ein schwarz-weisses Kammerspiel in Echtzeit, das an den Klassiker Who’s Afraid of Virginia Woolf erinnert.

 

Am Schluss liegt kein Stein mehr auf dem andern. Dabei fängt der Abend so gut an! Janet (Kristin Scott Thomas) feiert ihre Berufung zur Gesundheitsministerin, zusammen mit ihrem Mann Bill, der Uni-Dozent ist und seine eigenen Karrierepläne für sie jahrelang zurückgestellt hat, mit ihrer besten Freundin und deren esoterischem Partner sowie einem lesbischen Paar, das seinerseits den baldigen, langersehnten Nachwuchs zu feiern hat.

Openair in der Lokremise – «Favoriten unter Sternen»:
9. Juli bis 8. August, immer Donnerstag bis Samstag,
21:45 Uhr

09.7.: Lucky
10.7.: Wilde Maus
11.7.: The Wife
16.7.: The Party
17.7.: The Climb
18.7.: Der Trafikant
23.7.: La Vache
24.7.: Le Tout nouveau testament
25.7.: Paterson
30.7.: Aurore
31.7.: Parasite
01.8.: Criminales como nosotros
06.8.: Cittadini del mondo
07.8.: Dark Waters
08.8.: Undine

Bei schlechtem Wetter im Kinosaal. Weitere Informationen: kinok.ch

Eine illustre Intellektuellenrunde, zu der schliesslich auch Tom stösst, ein nervöser Koks-Banker und der Ehemann von Janets Assistentin Marianne, die an diesem Abend zwar fehlt, aber dennoch eine Schlüsselrolle spielt. Als Janets Mann Bill (Timothy Spall) zwei fette Bomben platzen lässt, ist es schlagartig vorbei mit der Sektlaune – und der achso zivilisierten Konversation.

Wie die Mutter, so der Sohn

Dass die Männer für die Karriere ihrer Frau zurückstecken wie Bill, ist auch in der heutigen Zeit noch eher selten. Meistens ist es umgekehrt – wie in The Wife von Björn Runge, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Meg Wolitzer. Wobei es in dieser Geschichte noch viel dicker kommt.

Gespielt wird die Wife von Glenn Close, in Bestform. Sie verkörpert die Rolle der Joan Castleman, einer liebevollen Ehefrau, Mutter und baldigen Grossmutter, die für die Karriere ihres Mannes stets im Schatten geschuftet hat. Ihr gegenüber steht Joe Castleman (Jonathan Pryce), ein knorziger, geltungssüchtiger Schriftsteller, der Mühe hat mit dem Älterwerden und dem gemeinsamen Sohn David, der in seines Vaters Fussstapfen treten will, nicht die erhoffte Anerkennung geben will.

 

Als Joe Castleman eines Morgens einen Anruf aus Schweden erhält, ist die Aufregung gross: Er soll mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet werden. Zusammen mit Joan und David macht er sich auf den Weg nach Europa, doch die gute Laune währt nicht lang, denn ihnen ist ein penetranter Journalist auf den Fersen – und auch das Familienidyll bekommt Risse. Nicht nur wegen des schwelenden Konflikts zwischen Vater und Sohn, auch die treusorgende Ehefrau hat einiges zu verbergen…

Vergiftete Wahrheit, vergifteter Kampf

Als einer der letzten Filme des diesjährigen Openairs in der Lokremise läuft Dark Waters von Todd Haynes. Er ist letztes Jahr in den USA angelaufen und sollte eigentlich im April in unsere Kinos kommen. Stattdessen ist Corona gekommen.

Das Drama beruht auf wahren Begebenheiten und erzählt die Geschichte von Rob Bilott (Mark Ruffalo), einem Unternehmensanwalt, der einen tödlichen Umweltskandal aufgedeckt hat: Die Firma DuPont pumpt seit Jahren giftige Chemikalien in den Ohio River. Er zerrt das Chemieunternehmen vor Gericht – es folgt eine jahrelange Odyssee für die Gerechtigkeit.

Der Film ist die Adaption eines Berichts im «New York Times Magazine» über das 19 Jahre andauernde juristische Hickhack zwischen Bilott und DuPont. Das Kinok zeigt ihn am 7. August als Vorpremiere.