Kinderfest im Museum: Verpasste Chance

Morgen soll St.Galler Kinderfest sein. «Weltweit verwebt» heisst das Festmotto. Während die Schulen das Thema ernst nehmen, bleibt die Kinderfest-Ausstellung im Textilmuseum an der Oberfläche.
Von  Peter Surber

Baumwolle aus Afghanistan, verarbeitet in Indien, hergestellt unter teils lebensgefährlichen Bedingungen, und am Ende in der St.Galler Multergasse für einen Spottpreis verkauft: Das ist die Realität der globalisierten Bekleidungsindustrie. Für «faire Mode» und bessere Arbeitsbedingungen setzen sich heute Organisationen und Einzelpersonen vielerorts ein­. Saiten hat das Thema mehrfach aufgegriffen, etwa hier und hier und hier.

Auch das St.Galler Kinderfest drückt sich nicht darum. Im Festmotto «Weltweit verwebt» kommt im Gegenteil zum Ausdruck, dass das traditionelle Fest der schönen Kleider in einem globalen Zusammenhang steht. Textilien: Das ist ein idealer Stoff, um spielerisch Informationen und Geschichten zu transportieren. So beschäftigt sich die Bühnenshow des Schulhauses St.Leonhard-Tschudiwies etwa mit Asien, im Halden kommen die fünf Kontinente in den Blick, im Schönenwegen wird der «Cotton Trail», der Weg der Baumwolle thematisiert. Was dabei herausgekommen ist, kann man am Freitag sehen – dann soll es endlich heissen: «S’isch!».

Stoffe ohne Geschichte

«S’isch – s’isch nöd»: Das ist der Titel der schon länger eröffneten Kinderfestausstellung im St.Galler Textilmuseum. Hier ist die weltweite «Verwebung» jedoch kein Thema; die Schau beschränkt sich auf die lokale Oberfläche und die ästhetische Schauseite des Fests.

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Kinderfestumzug um 1910. (Aus: St.Gallen in alten Ansichten)

Zahllose Fotos, Bild- und Tondokumente zeichnen die Geschichte des St.Galler «Jugendfests» seit 1824 nach. Gefeiert wird das Gemeinschaftserlebnis, gezeigt werden der Umzug und die Reigen, die Uniformen der Kadetten, die Stoffe und der Wandel der Geschmäcker und Dresscodes vom 19. Jahrhundert bis heute. «Square Neck Top in weissem Baumwoll-Popeline und Jupe in St.Galler Broderie Anglaise auf weissem Baumwoll-Popeline mit Superpaté-Stickerei. Akris»: So etwa ist die Stillage der Informationstafeln in der Ausstellung – Stoffe ohne Geschichte?

Dass das auch anders ginge, könnte man aktuell in Hamburg sehen. Das dortige Museum für Kunst und Gewerbe geht in einer grossangelegten Ausstellung mit dem Titel «Fast Fashion» den «Schattenseiten der Mode» nach. Der Katalog dokumentiert die ausbeuterischen Produktionsbedingungen in den Schwellenländern. Grafiken informieren über die globale «Textilkette», über Mindestlöhne oder die «Reise einer Jeans»: Design aus den Niederlanden, Baumwollanbau in Usbekistan, Spinnen und Weben in Indien, Färben in China, Nähen in Bangladesch, Sandstrahlen in der Türkei, Verkauf in Deutschland oder der Schweiz – und am Ende die Altkleiderentsorgung in Sambia.

Die Kinderfest-Ausstellung im Textilmuseum ist gewiss anders konzipiert – aber ein paar kritische Fragen an den Stoff, aus dem die Festträume sind,  hätte man sich dennoch gewünscht.

Am Schluss ein bisschen «Ethno-Look»

Einige Hintergründe bietet, zeitlich zufällig, das Magazin Obacht des Ausserrhoder Amts für Kultur. Seine jüngste Nummer ist dem Thema «textil» gewidmet, darin finden sich Porträts und historische Beiträge, aber auch ein Text der Direktorin des Bundesamts für Kultur, Isabelle Chassot.

Sie kritisiert einleitend ihrerseits das fehlende Bewusstsein beim Modekauf, wenn nicht gerade «eine Meldung über Kinderarbeit oder prekäre Zustände in ausländischen Textilfabriken durch die Medien geht». Chassot weiter: «In der Geschichte der Ostschweizer Industrialisierung finden wir ganz ähnliche Zeiten und Zustände. Die Schweiz war bis in das 19. Jahrhundert hinein ein Billiglohnland. Die Lage der meist weiblichen Lohnarbeiterinnen unterschied sich nicht wesentlich von den heutigen Arbeitsverhältnissen in den Tieflohnländern Asiens.»

Dann kommt die Rede auf das Textilmuseum – Chassot lobt die Innovationskraft der hiesigen Textilindustrie und besonders die «einzigartige» St.Galler Textilbibliothek.

Das Wort der Kulturamtsdirektorin hat Gewicht – nicht zuletzt, wenn es ab 2016 um mehr Geld aus Bern für regionale Kulturinstitutionen geht. Im Rennen dafür ist neben der Stiftsbibliothek und dem Volksmusikzentrum Roothus Gonten bekanntlich auch das St.Galler Textilmuseum, das sich als künftiges Kompetenzzentrum für die Schweizerische Textil-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte gern in der ersten nationalen Liga sähe.

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In der Kinderfest-Ausstellung. (Bild: Su.)

Das Kinderfestmotto «Weltweit verwebt» böte also ideale Anknüpfungspunkte. Das Textilmuseum bleibt jedoch offensichtlich lieber unverwebt. Der einzige Bezug findet sich in der hintersten Ecke der Ausstellung: Dort sind Entwürfe für irgendwelche Kleider im «Ethno-Look» an die Wand gepinnt. Kommentarlos.

 

S’isch – s’isch nöd, Textilmuseum St.Gallen, bis 9. August 2015

Infos hier