Kinderfest: Die Volksseele spricht

Der St.Galler Stadtrat will das St.Galler Kinderfest 2021 streichen. Zu teuer - und zu unsicher wegen Corona, sagt der St.Galler Schulvorstand. Unser! St.Galler! Kinderfest!
Von  Peter Surber

Kinder machen vieles gern. Aber wie wir wissen und wie uns die Kinderpsychologie seit langem bestätigt, machen Kinder vor allem drei Dinge besonders gern. Erstens: in einem Umzug in Reih und Glied mitlaufen. Zweitens: weisse Kleider und kostbare Stoffe tragen. Und drittens: dabei von den Erwachsenen beobachtet und gfötelet werden.

Drum muss das St.Galler Kinderfest im Jahr 2021 auf jeden Fall stattfinden. Die Kinder wollen es. Weil sie so gerne in Umzügen mitlaufen und auf einer Bühne Reigen tanzen. Weil sie es nicht erwarten können, durch die heissen Altstadtgassen kreuz und quer durch die Stadt zu marschieren. Weil sie sich nichts Schöneres vorstellen können, als der St.Galler Textilindustrie als lebende Modepuppen eine Plattform für ihre Kreationen zu bieten. Weil sie sich jetzt schon auf die Klänge der hiesigen Blasmusiken freuen. Und weil es schliesslich oben auf dem Kinderfestplatz eine Bratwurst gibt, diese Delikatesse, die sonst das ganze Jahr nie auf den Tisch kommt.

Die Kinder wollen es. Unbedingt. Das wissen alle, ausser dem St.Galler Stadtrat. Der hat ausgerechnet jetzt entschieden, dieses einmalige Fest zu streichen, diesen Leuchtturm, diese Identitätsschleuder für die Stadt. Aus schnöden Spargründen will er die lumpigen 1,4 Millionen, die das Fest kostet, sparen. Aus angeblicher Rücksicht auf die coronageplagten Lehrkräfte will er das Fest der Feste kippen. Will der Textilindustrie, dieser Stütze der Gesellschaft, ihren grossen Tag wegnehmen. Und den Grosseltern und Stieftanten und Göttis ihren Freudentag vermiesen.

Zum Glück hat die städtische Identitätspartei sofort protestiert und interpelliert und eine Petition gestartet. Unser Fest will man uns wegnehmen. Was heisst uns… –  unseren Kindern! Pfui.

Es soll zwar ein paar unverbesserliche Zeitgenossen geben, die sagen: Kinder wollten dieses Fest gar nicht. Für Kinder, aber auch für die Lehrerinnen und Eltern sei das Ganze bloss ein Stress. Kinder würden, wenn sie das Sagen hätten, ein ganz anderes Fest ausdenken. Ein Fest auf einem Bauplatz mit allem möglichen Material, mit Feuerstellen, mit Kletterzeug, mit Spielen, bei denen die Kleider dreckig werden dürfen, und danach eine Party mit eigenem Sound. Einen Tag ohne Programm – und ohne Erwachsene.

Sagen sie, die unverbesserlichen Zeitgenossen. Nestbeschmutzer! Sicher waren die selber nie am St.Galler Kinderfest mit dabei.

Kinderfest 1960. (Bild: kinderfest.ch)

 

Mehr zu den eigenen Kinderfest-Erinnerungen in den Sechzigerjahren, zwischen Vietnamkrieg, aufkommender Jugendbewegung und der damals militaristisch aufgeladenen Scheinidylle am Kinderfest ist zu lesen im Beitrag «Auf Kommando» im Buch S’isch – s’isch nöd, herausgegeben vom Textilmuseum im Verlag Hier & Jetzt 2015.

An anderer Stelle im Buch wird der frühere «Tagblatt»-Redaktor Josef Osterwalder zitiert: «Verständige Kinder spüren an diesem Tag, wie schwer das Leben der Erwachsenen sein muss, wenn sie sich solche Kinderfeste ausdenken.»

 

Dieser Beitrag erscheint auch im Sommerheft von Saiten.