, 15. April 2021
2 Kommentare

Keine Werbung für Analsex

Eine ganze Sexpraktik – eine genderneutrale noch dazu – darf nicht für Schwulenhass herhalten, sagt unsere Kolumnistin Anna Rosenwasser. Ihr Beitrag aus dem Aprilheft von Saiten.

Wir müssen über Analsex reden. Die Pornoseite PornHub bringt jedes Jahr Statistiken über die Vorlieben ihrer Benutzer*innen raus. Unter anderem über die Schweiz: Die Durchschnittsdauer des Internet-Besuchs beträgt 10 Minuten und 4 Sekunden; zwei Drittel sind Männer. Auf Platz zwei der beliebtesten Kategorien ist übrigens «Lesbian», und auf Platz eins: Anal.

Viele Schweizer*innen finden Analsex also heiss. Nur: Die Sache hat einen Haken. Wer beim Sex was machen darf, hat sehr viel mit Gender zu tun. Das wird dann problematisch, wenn ein Mensch etwas machen muss, obwohl er nicht will, oder eine Person etwas nicht machen darf, obwohl sie eigentlich Bock darauf hätte.

Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass Männer dominieren, Frauen passiv oder unterwürfig sind – also der Mann derjenige ist, der die Frau anal fickt. Alles andere ist Fetisch. Die Hetero-Norm besagt: Echte Männer werden nicht penetriert. Penetriert werden ist mega schwul.

Anna Rosenwasser, 1990 geboren und in Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Zürich. Sie arbeitet für die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und als freie Journalistin. (Illustration: Lukas Schneeberger)

Ich bin ja von Beruf homosexuell. Da begegnet mir Analsex vor allem in der Form von blankem Schwulenhass. Das Wort «Arschficker» wird so oft als Beleidigung verwendet, dass es schon im Duden steht.

Erstens: Sexuelle Orientierung passiert nicht nur im Schlafzimmer. Erst recht nicht, wenn wir dafür auch locker beim Warten auf den Zug, im Klassenzimmer oder auf dem Nachhauseweg von der Arbeit beleidigt werden. Was im Schlafzimmer passiert – oder auf dem Küchentisch oder auf dem schon lange nicht mehr gestaubsaugten Wohnzimmerboden –, ist nicht das einzige, was sexuelle Orientierung ausmacht.

Homosexuelle auf ihren Sex zu reduzieren, ist an sich schon homofeindlich. Und wird dem vielfältigen Kosmos der Anziehung schlicht nicht gerecht.

Zweitens: Analsex ist nicht nur schwul. Zum einen haben gar nicht alle schwulen Männer Analsex. Diese Annahme kommt von der Hetero-Norm, die davon ausgeht, dass nur Penetration richtiger Sex ist. Hinzu kommt, Achtung wichtig: So gut wie jeder Mensch kann Analsex haben. Egal welche sexuelle Orientierung und welches Geschlecht du hast. Die allermeisten Menschen haben einen Hintern. Wer will, darf etwas damit anfangen.

Viele tun das auch, Heteros haben ja auch Arschsex, denn klar, Frauen anal penetrieren, das geht, das wissen wir aus der hochgeachteten Kulturform des Gangsta-Rap. Aber gefickt werden, als Mann? Das droht man höchstens: «Dich fick ich so hart im nächsten Spiel» hat nichts mit konsensuellem Verkehr zu tun. Und sehr viel mit Macht.

Liebe Männer, die meisten von euch haben eine Prostata, ihr könntet also einen Orgasmus haben vom Penetriertwerden, das nur so als Nebenbemerkung. Aber: Ich schreib das alles eigentlich nicht, um Werbung zu machen für Analsex. Ich schreibe diesen Text, weil ich nicht akzeptiere, dass eine ganze Sexpraktik – eine genderneutrale noch dazu – herhalten muss für Schwulenhass.

Wenn heterosexuelle Schweizer sich Arschfick-Pornos reinziehen können, sollen sie auch respektieren, dass sich manche Männer gern anal penetrieren lassen. Und, pssst: Dass sie das auch dürften. Jeder Mensch darf Analsex haben. Bitte gerngeschehen.

2 Kommentare zu Keine Werbung für Analsex

  • Alain Vannod sagt:

    Dickes Kompliment für diesen Artikel, sehr geehrte Frau Rosenwasser! Ein so «heikles» Thema (aus welchen Gründen auch immer) recht kurz und bündig aus verschiedenen Perspektiven «auszuleuchten», und dies sprachlich klar, sachlich, nie beleidigend, womöglich auch aufklärend und mit einem Schuss Humor garniert: hohe journalistische Schule! Per Zufall einen Tag nach Erscheinen darauf gestossen, hatte ich im Sinn, spontan darauf zu reagieren. Bei solch «intimer Thematik» wollte ich dann aber doch anderen Kommentaren gerne den Vortritt lassen … und so ging es dann zwischenzeitlich vergessen.

  • Anna sagt:

    Sehr geehrte Frau Rosenwasser,
    Ich gratuliere zu diesem tollen Artikel. Wieviel darf denn Sex in der Schweiz kosten? Hier gehen die Meinungen auseinander. Sie haben es ausgezeichnet verstanden, ein heikles Thema prägnant aus verschiedenen Perspektiven auszuleuchten. Bravo!

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