Kein Parlament für Rapperswil-Jona: Stadtrat hat Angst vor Machtverlust
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Damit wird einmal mehr in der Ostschweiz über Sinn und Zweck eines Stadtparlaments diskutiert: Handelt es sich dabei nur um eine Schwatzbude oder ist ein Stadtparlament der Ort, wo an mehrheitsfähigen Entscheiden für das Allgemeinwohl gearbeitet wird?
Bürgerversammlung entscheidet am 10. Juni
Die Exekutive der 26’500 Einwohner zählenden Rosenstadt wird die Initiative ohne Gegenvorschlag der Bürgerversammlung vom 10. Juni zur Abstimmung vorlegen. Das Volksbegehren sei nicht ausgewogen, findet der Stadtrat. Das mit 36 Mitgliedern zu besetzende Parlament ist nach Ansicht der Exekutive «überdimensioniert».
Erfahrungen aus anderen Städten mit Parlamenten zeigten, dass es schwierig sei, genügend geeignete Kandidaten und Kandidatinnen zu finden. Ausser in Rorschach ist dieses Problem aber in den letzten Jahren in keinem anderen Ostschweizer Stadtparlament aufgetreten.
Ein weiterer Punkt, warum der Stadtrat von Rapperswil-Jona, der zweitgrössten Stadt im Kanton St.Gallen, den Parlamentsbetrieb ablehnt, ist die Befürchtung, dass dadurch seine finanzielle Handlungsfähigkeit eingeschränkt würde. Laut dem Initiativtext müssten dem Parlament unverhältnismässig viele Vorlagen unterbreitet werden, weil die Finanzkompetenzen des Stadtrats zu tief angesetzt sei.
Stadtforum anstatt Stadtparlament
Statt einen Parlamentsbetrieb einführen, will die Stadtregierung an der Bürgerversammlung und am Stadtforum in Rapperswil-Jona festhalten. Diese Institutionen hätten sich bewährt. Das Stadtforum wurde nach der Fusion von Rapperswil mit Jona im Jahr 2007 eingeführt. Es vertritt verschiedene Interessengruppen, die Parteien und die Quartiere. Das Forum hat aber weniger Kompetenzen als ein Parlament.
Der Stadtrat ist jedoch überzeugt, dass mit dieser Einrichtung für die Bevölkerung genügend Partizipationsmöglichkeiten geschaffen worden seien. Das Forum trage wesentlich zur Meinungsbildung und Entscheidungsfindung der Exekutive bei, heisst es seitens der Stadtregierung.
Das Initiativ-Komitee wirft dem Stadtrat «fehlenden Mut» zu einer echten Strukturreform vor. Wegen der Bedenken über die Grösse und die Kompetenz des vorgeschlagenen Stadtparlaments hätte der Stadtrat ja einen Gegenvorschlag ausarbeiten können, meinen die Initianten.
Nur Rorschach schaffte Stadtparlament ab
Ausschlaggebend für die Einführung eines kommunalen Parlaments ist die Entwicklung bei den Einwohnerzahlen. So wurde nach einem stetigen Wachstum in Gossau (17’500 Einwohner) 2001 das Parlament eingeführt. In Rorschach hingegen (8’600 Einwohner) wurde es nach anhaltendem Abwärtstrend 2004 nach 95 Jahren abgeschafft.
Die bürgerliche Mehrheit im Rorschacher Stadtparlament plädierte damsl selbst für die Aufhebung, um für die Hafenstadt mehr Dynamik und Handelsspielraum zu gewinnen. Zudem mussten alle Parteien eingestehen, dass wegen der gesunkenen Einwohnerzahl sich auch ein eklatanter Mangel an Kandidaten und Kandidatinnen für das Parlament breit machte. Trotzdem war die SP gegen die Aufhebung des Stadtparlaments, weil damit das Kontrollorgan in der Kommunalpolitik abgeschafft würde und der Stadt- und Schulpräsident zu viel Macht bekämen. Die Warnung hat sich bestätigt. SVP-Stadtpräsident und Nationalrat Thomas Müller gebärdet sich heute wie ein Autokrat.
In Wil (17’700 Einwohner) wurde die Aufhebung des Stadtparlaments anlässlich der Fusion mit Bronschhofen diskutiert. Es gab Stimmen, die dem Parlament Ineffizienz vorwarfen und für die Rückkehr zur Bürgerversammlung aufriefen, weil diese speditiver sei. Im thurgauischen Kreuzlingen (19’000 Einwohner) ist der Parlamentsbetrieb unumstritten. Mit dieser Einwohnerzahl wäre die Durchführung einer Bürgerversammlung, wenn alle Teilnahmeberechtigten erscheinen würden, schon aus Platzgründen nicht möglich. Ebenso unangefochten ist das Parlament im ausserrhodischen Herisau (15’500 Einwohner).
Es zeigt sich, dass Bevölkerungswachstum eine gute Messgrösse zur Einführung eines Parlamentsbetriebes ist. Ab einer gewissen Grösse einer Stadt können mit dem Parlament die politischen Entscheidungen gebündelt und die Handlungsfähigkeit der Kommune verbessert werden.