Kantengänger auf dem Verhörstuhl

Schwer festzunageln: Bernard Rambert. (Bild: Cineworx)

Bernard Rambert gilt als einer der umstrittensten Strafverteidiger der Schweiz. Christian Labharts Dokfilm Suspekt nähert sich der linken Koryphäe, ohne sie abzufeiern. Dank einer Frau.

Ber­nard Ram­bert will «nicht als Arsch­loch ster­ben». Viel mehr Pri­va­tes er­fährt man nicht im neu­en Film Su­spekt über den pro­mi­nen­ten Schwei­zer Straf­ver­tei­di­ger. Ak­tu­ell ver­tritt er Bri­an Kel­ler («den be­kann­tes­ten Häft­ling der Schweiz»). Frü­her hies­sen sei­ne Kli­ent:in­nen Pe­tra Krau­se («RAF-Waf­fen­schie­be­rin»), Wal­ter Stürm («Aus­bre­cher­kö­nig») oder Mar­co Ca­men­isch («Öko­ter­ro­rist»). Kein Wun­der, hat­ten die Me­di­en bald auch für Ram­bert pas­sen­de Bei­na­men pa­rat, «Ter­ro­ris­ten­an­walt» zum Bei­spiel. Er sel­ber sieht sich eher als «Kan­ten­gän­ger» und sagt: «Ich ha­be ei­ne ge­wis­se Af­fi­ni­tät zur Le­ga­li­tät, aber auch zur Il­le­ga­li­tät.»

Ram­bert gilt als Ko­ry­phäe der lin­ken Sze­ne in der Schweiz. Als jun­ger An­walt wur­de er auf­grund sei­ner Ver­bin­dun­gen zu re­vo­lu­tio­nä­ren und an­ti­fa­schis­ti­schen Krei­sen selbst jah­re­lang mas­sivst vom Staat über­wacht. Wenn Va­len­tin Land­mann («Hells-An­gels-An­walt») in die­sem Film der Bö­se­wicht wä­re, wä­re Ram­bert («der ro­te Be­ni») sein Ge­gen­spie­ler, der sich für das Gu­te ein­setzt. Na­ment­lich und ins­be­son­de­re auch im­mer wie­der für fai­re Pro­zes­se und Haft­be­din­gun­gen und ge­gen men­schen­rechts­wid­ri­ge Prak­ti­ken wie Iso­la­ti­ons­haft. Und das bis weit übers Pen­si­ons­al­ter hin­aus. 

Ge­mein­sam auf Zeit­rei­se

Doch wie macht man ei­nen Film über ei­nen sol­chen Mann, oh­ne Ge­fahr zu lau­fen, dass sich ein­mal mehr ein paar al­te lin­ke Män­ner ge­gen­sei­tig ab­fei­ern und ver­gan­ge­ne Zei­ten ver­klä­ren? Ge­nau, man holt sich ei­ne jün­ge­re Frau. Die wird das schon rich­ten. Re­gis­seur Chris­ti­an Lab­hart ist die­ser Kniff ei­ni­ger­mas­sen ge­glückt. Er konn­te als Prot­ago­nis­tin Ju­lia Klebs, Re­dak­to­rin des lin­ken Ma­ga­zins «Wi­der­spruch», ver­pflich­ten, die Ram­bert für den Film in­ter­viewt. Lab­hart do­ku­men­tiert die­ses Ge­spräch und kon­tex­tua­li­siert es mit his­to­ri­schen und ak­tu­el­len Auf­nah­men. 

Re­cher­che und Ge­sprächs­füh­rung la­gen voll­um­fäng­lich bei Klebs. Über 16 Stun­den Ma­te­ri­al wur­de ge­dreht. Im Film sind rund 40 Mi­nu­ten da­von zu se­hen. Klebs und Ram­bert ma­chen im­mer wie­der Rast auf ih­rer ge­mein­sa­men Zeit­rei­se. Sie spre­chen über Ram­berts Kind­heit und sei­ne Zeit als jun­ger An­walt, wo Frau­en ei­ne prä­gen­de Rol­le spiel­ten, über den Deut­schen Herbst in der Schweiz, über al­te und jün­ge­re Fäl­le wie et­wa je­nen um das Bas­ler Frau­en*streik­kol­lek­tiv und im­mer wie­der auch über die Sys­te­me Jus­tiz, Öf­fent­lich­keit und Ka­pi­ta­lis­mus. 

Klebs ist ei­ne auf­merk­sa­me und ge­nau vor­be­rei­te­te Zu­hö­re­rin, die auch kri­tisch nach­hakt, ihn manch­mal re­gel­recht ver­hört. Ob­wohl auch Fra­gen aus­ge­las­sen wer­den, zu­min­dest im Film. Bei­spiels­wei­se: Wie ist sein der­zei­ti­ges Ver­hält­nis zu An­drea Stauf­fa­cher vom Re­vo­lu­tio­nä­ren Auf­bau? War er wirk­lich einst Mit­glied der Car­los-Grup­pe? Der Film ist den­noch weit ent­fernt da­von, Ram­bert un­re­flek­tiert ab­zu­fei­ern. Da­bei hilft auch die­se ge­wis­se Be­schei­den­heit, die der An­walt aus­strahlt. Und die Tat­sa­che, dass er we­ni­ger ger­ne über Per­sön­li­ches spricht und statt­des­sen lie­ber über Prin­zi­pi­en und For­de­run­gen.

Die vie­len For­men der Ge­walt

Wie im­mer in po­li­ti­schen Krei­sen blei­ben ge­wis­se Wi­der­sprü­che ste­hen. Wenn es et­wa um die «äus­serst schwie­ri­ge» Ge­walt­fra­ge geht, ist Ram­bert zwar klar in der Ana­ly­se: «Der Ge­walt­be­griff kommt vor al­lem bei phy­si­scher Ge­walt zur An­wen­dung. Aber es gibt auch struk­tu­rel­le Ge­walt; Ras­sis­mus, öko­no­mi­sche Ge­walt, se­xis­ti­sche Ge­walt.» Bei der Fra­ge, was ge­gen Ge­walt und Un­gleich­heit ge­tan wer­den soll, gibt er sich hin­ge­gen di­plo­ma­tisch: «Frü­her hät­te ich ge­sagt ‹Re­vo­lu­ti­on›, heu­te bin ich ein Aus­lauf­mo­dell.» Dann Schnitt auf die Ak­ti­on zwei­er Kli­ma­ak­ti­vist:in­nen im KKL Lu­zern 2023, für de­ren Ak­tio­nen er ei­ni­ge Sym­pa­thie hegt. Die­se Dis­kus­si­on hät­ten Klebs und Ram­bert ger­ne noch ein we­nig wei­ter um­krei­sen dür­fen. Ge­ra­de in die­sen Zei­ten, in de­nen die fa­schis­ti­schen Ten­den­zen wie­der zu­neh­men und die Fra­gen zur Wahl der Mit­tel wie­der lau­ter wer­den. 

Re­gis­seur Lab­hart woll­te im Film die Ge­dan­ken des 1999 ver­stor­be­nen bra­si­lia­ni­schen Erz­bi­schofs und Be­frei­ungs­theo­lo­gen Don Hél­der Câ­ma­ra ein­streu­en. Die­ser be­schreibt drei For­men der Ge­walt. Die ers­te sei die Ge­walt des Sys­tems: Ar­mut, Un­gleich­heit, Ka­pi­ta­lis­mus. Die zwei­te sei die Ge­walt des Wi­der­stan­des, der die­se Ver­hält­nis­se be­kämpft. Und die drit­te Form der Ge­walt sei die Re­pres­si­on, die den Wi­der­stand nie­der­zu­schla­gen ver­sucht. Es ge­be kei­ne schlim­me­re Heu­che­lei, als nur die zwei­te Ge­walt zu nen­nen und da­bei so zu tun, als ver­ges­se man die ers­te, die ihr Le­ben gibt, und die drit­te, die sie tö­tet. 

Das Zi­tat ist im Schnitt wie­der raus­ge­flo­gen. Weil Lab­hart nicht zu di­dak­tisch sein woll­te, aber auch, weil er fürch­te­te, dass sei­ne Ko­ope­ra­ti­ons­part­ne­rin SRF – für Film­schaf­fen­de in der Schweiz ei­ne enorm wich­ti­ge In­sti­tu­ti­on – da­durch öf­fent­lich in Be­dräng­nis ge­ra­ten könn­te, so kurz vor der Hal­bie­rungs­in­itia­ti­ve. Das Zi­tat des ka­tho­li­schen Bi­schofs kön­ne als Le­gi­ti­ma­ti­on für Ge­walt ge­le­sen wer­den, sagt Lab­hart. An­de­re wür­den sa­gen: als Dis­kus­si­ons­grund­la­ge.

Su­spekt: ab 26. Fe­bru­ar im Ki­nok St.Gal­len. 18 Uhr: Pre­mie­re und Film­ge­spräch mit Re­gis­seur Chris­ti­an Lab­hart, An­walt Ber­nard Ram­bert und An­ar­chist*in Mi­ri­am Riz­vi

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