, 28. Juni 2024
keine Kommentare

KAFF wird 20

Das KAFF in Frauenfeld hat gleich doppelt Grund zum Feiern: das 20-Jahr-Jubiläum und die erste überstandene Saison am neuen Standort. Die Party steigt dieses Wochenende – politischer Gegenwind hin oder her.

Vor der neuen Holzhalle: Gino Rusch ist co-verantwortlich für Programm und Technik im neuen KAFF. (Bilder: hrt)

Gino Rusch ist derzeit zusammen mit Louis Keller verantwortlich für das Programm im KAFF. Gino sitzt in einen Laptop versunken unter einem Sonnenschirm im höckligen Raucherbereich hinter der neuen Holzhalle auf dem Unteren Mätteli. Dort hat die Stadt ein paar Parkfelder freigeräumt, um dem Projekt Kulturarbeit für Frauenfeld (eben: KAFF) Platz zu schaffen, nachdem der alte Standort an der Grabenstrasse in der Coronazeit definitiv ausgedient hattr.

Aus dem muffigen, aber charmanten Schlauch ist jetzt eine luftige, ebenso charmante Holzhalle mit neuer Soundanlage und Minergiestandard, grosszügig gestalteter Bar, einem kleinen Lager, einem halboffenen Zwischenbereich und einem gemütlichen Aussenbereich geworden.

Beständige Freude am Experiment

Gino gehört mit Jahrgang 2001 zur jungen Generation eines Projekts, das sich schon immer als «Kulturprojekt von Jungen für Junge» verstanden hat. Gino lebt seit drei Jahren in Frauenfeld, zuvor in Egnach. Für Gino hatte das KAFF schon in frühen Teenagertagen die Ausstrahlung eines «coolen, linken» Kulturorts ähnlich wie die Berner Reitschule, wie Freund:innen und Gino selber es sich in der Ostschweiz nie erträumt hätten. Grabenhalle, Gare de Lion und Palace lernten sie erst später kennen. Näher lag – und liegt noch immer! – der Horstklub in Kreuzlingen.

«Am Tag nach meinem 18. Geburtstag begann ich an der KAFF-Bar zu arbeiten», erzählt Gino. Damals gaben noch die Leute aus dem Umfeld des jüngst eingestellten DIY-Labels AuGeil-Records, mit denen man nach wie vor in gutem Kontakt steht, den Ton an im KAFF. Bands wie Obacht Obacht, Carve Up! oder Louis Keller alias Gamma Kite tauften hier ihre Platten. Auch Gino musiziert: als Billy Hill im Country-Wave-Punk-Duo Bingo Hall River Boys oder solo etwas experimenteller als Gino Loveresse a.k.a. Johnnyx Frauenfeld.

Indie, Punk, Folk, Elektronisches: Die Freude am Experiment, aber auch am Zugänglichen gehörte schon immer zum Selbstverständnis des KAFF. Das wird auch am neuen Ort, der wesentlich professioneller und erst noch komplett rollstuhlgängig daherkommt, noch gelebt. Das belegt ein Blick aufs Programm, zum Beispiel jenes zur langersehnten Eröffnungssause an Silvester 2023, wo an zwei Abenden 550 Gäste herbeiströmten. Es gibt also auch ein Publikum, und damit sollte eigentlich auch Existenzberechtigung für ein alternatives Kulturlokal in Frauenfeld, wo es nebst dem Eisenwerk kein allzu grosses Angebot gibt, unbestritten sein.

Liebes Geld und schlechte Politik

Sollte. Denn politisch bürgerlich-konservative Kreise torpedieren das Projekt mit verlässlicher Regelmässigkeit. Neuestes Schmankerl ist ein Vorstoss der SVP-Gemeinderätin Lisa Badertscher von Ende Mai. Die Politikerin, die vom Alter her noch bis vor Kurzem zum KAFF-Stammpublikum hätte zählen können, kritisiert unter anderem die finanzielle Unterstützung des Neubaus auf dem unteren Mätteli durch die Stadt respektive den Einnahmeausfall aufgrund der aufgelösten Parkplätze dort, wo das KAFF jetzt steht. Ein Argument, das nicht zähle, weil das KAFF gemäss Mietvertrag mit der Stadt die Ausfälle kompensiere, erklärt Gino Rusch.

Mit 300’000 Franken hat sich die Stadt am Neubau, der ab Oktober 2023 in kürzester Zeit und mit viel freiwilligem Engagement realsiert wurde, beteiligt. Der Kanton steuerte 250’000 Franken bei. Aus einem Crowdfunding kamen 100’000 Franken dazu, die übrigen 310’000 Franken bestehen aus Eigenleistungen sowie Sponsoring- und Stiftungsgeldern.

SVP-Frau Badertscher kritisiert nun unter anderem, dass die Bauarbeiten nicht öffentlich ausgeschrieben wurden, obwohl dies ihrer Ansicht nach hätte geschehen müssen, wenn das Projekt zu über 50 Prozent aus öffentlichen Geldern finanziert ist. Hinzu kommen nach ihrer Rechnung – aufgrund der Parkplatzauflösung – städtische Einnahmeausfälle von insgesamt 600’000 Franken über die nächsten zehn Jahre. So lange gilt vorerst die Bewilligung fürs KAFF auf dem Unteren Mätteli. Ausserdem will Badertscher wissen, wie die verlängerten Öffnungszeiten abgegolten werden und wie sichergestellt wird, dass das als gemeinnützige Organisation eingestufte KAFF gegenüber steuerpflichtigen Gastrobetrieben nicht bevorzugt behandelt wird.

Kein Vergleich zum alten KAFF-Schlauch: grosszügige Bar in geräumiger Halle auf dem Unteren Mätteli in Frauenfeld.

Ob solch kleinkarierter Politik bleibt man beim KAFF aber noch lange entspannt. Das Kulturlokal ist politisch mittlerweile relativ gut abgestützt. Etwas schwieriger ist es derzeit mit den jährlichen Betriebsbeiträgen von Stadt und Kanton. Früher gab es von der Stadt jeweils 35’000 Franken für 40 Veranstaltungen. Dieses Geld ist bisher nicht geflossen, da die FDP und mit ihr eine Parlamentsmehrheit das Budget zurückgewiesen hat. Aus Gründen, die nichts mit dem KAFF zu tun haben. Eine Klausel besagt nun aber, dass Kulturbeiträge zurückgehalten werden, solange das städtische Budget nicht genehmigt ist. Von der derzeitigen Blockade betroffen sind unter anderem auch das Eisenwerk und der Kunstraum.

Weil das KAFF pro Jahr mittlerweile über 90 Konzerte und andere Anlässe veranstaltet, will man mit der Stadt über einen «angemessenen jährlichen Beitrag» verhandeln. Der Kanton hat seinerseits für 2024 einen Betriebsbeitrag von 80’000 Franken gesprochen, gespeist – wie in den letzten Jahren – aus dem Lotteriefonds. Ein wiederkehrender Leistungsauftrag beim Kanton und damit ein gesicherter zusätzlicher Jahresbeitrag kann erst ab 2027 beantragt werden.

Bis dahin – und bis die Blockade des städtischen Budgets ausgestanden ist – muss sich das KAFF halt durchwursteln. «Das haben wir bis jetzt noch immer irgendwie geschafft», gibt sich Gino Rusch optimistisch. Zur Entspannung trägt sicher auch bei, dass die Kulturstiftung Thurgau experimentelle Veranstaltungen, die voraussichtlich nicht das grosse Publikum anlocken, ergänzend finanziert. Mit dem Neubau auf dem Unteren Mätteli ist ein erster grosser Lupf für die prosperierende KAFF-Zukunft geschafft.

Fit für weitere 20 Jahre

Im Innern, respektive programmatisch, ist alles noch etwas im Aufbau: Das Programm der kommenden Saison ab September ist noch in Arbeit. Dafür steht bereits ein dezent mit Plakaten kommuniziertes, aber deutlich gehaltenes Awareness-Konzept. Hervorragend angelaufen ist auch die anarchistische Aneignung der WC-Wände mit Tags und Stickern durch das Publikum. Man ist ausserdem dabei Party-Reihen zu etablieren, auch Motto-Partys, Fremdveranstaltungen, Soli-Events, Lesungen und Workshops sollen künftig vermehrt möglich sein.

Die Vielfalt spiegelt sich auch im Programm zum Saisonschluss und zum Jubiläumsfest zum 20-jährigen Vereinsbestehen dieses Wochenende: Nebst viel Musik – unter anderem mit Konzerten von Kolladderall, Prozpera, Karl Kave & Durian und diversen DJ-Sets – gibt es am Sonntag um 14:30 Uhr eine Kinderlesung mit Buchhändlerin Marianne Sax und am Samstag ab 15 Uhr ein Live-Painting, wo Leinwände und anderes von Künstler:innen bemalt, besprayt oder sonstwie verziert werden. Für die Aussenwandgestaltung des Holzneubaus ist das aber noch nicht gedacht, hierfür ist man mit dem Street-Art-Festival Frauenfeld in Kontakt. Denn künftig soll das Lokal auch von aussen noch schöner anzuschauen sein, aber natürlich «à la KAFF», mit Kunst, die von Jungen immer wieder übermalt werden kann. Alles bleibt im Fluss.

Bahnrampenromantik: Gemütlicher Aussenbereich hinter dem neuen KAFF.

Ein weiteres Credo des Langzeitprojekts Kulturarbeit für Frauenfeld: Vereinsvorstand und Belegschaft sollen sich regelmässig erneuern. Traditionellerweise geben Amtierende ihren Posten nach fünf Jahren ab. Das System hat sich – die harzigen Corona- und Bauplanungsjahre weggerechnet – bewährt.

Gino Rusch, seit 2019 an Bord, zählt zu ebendieser neuen KAFF-Generation. Die Frische, mit der Gino und das Kollektiv ans Werk gehen, ist inspirierend. Der neue Standort ist mit seiner Bahnhofsnähe bestens erschlossen. Und so ist denn auch die Hoffnung berechtigt, dass das KAFF auch nach Auslaufen der zehnjährigen Bewilligung auf dem Unteren Mätteli Bestand hat. Wegzudenken ist es aus Frauenfeld nach 20 Jahren ohnehin nicht mehr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!