Jazz ist: «Poesie, Geschichte, Leidenschaft»

Jazz ist…
…für mich eigentlich meine halbe Kindheit. Mein Vater war begeisterter Jazzhörer und Musiker, durch ihn hörte ich mich von Keith Jarrett bis John Coltrane, von Free Jazz bis Fusion. Eine Weile lang in den 90ern hatten wir beide dann, zusammen mit dem grandiosen Pianisten Urs «Kafi» Baumgartner und dem nicht weniger grossartigen Gitarristen Marcel Bächtiger sowie Jurij Meile am Waldhorn und David Hensel an der Querflöte eine kleine, aber feine Jazz-Band mit dem sprechenden Namen «Mhmmmm …» Unvergesslich für mich bleibt vor allem die Waldhornvariante von Autumn Leaves.
Milo Rau, 1977, Autor und Regisseur, zurzeit in Köln
Jazz ist…
… eine Sprache der Musik. In diesem Sinn könnte man wohl die Notenschrift als die gemeinsame Schriftsprache aller Musiker bezeichnen. Dazu gibt es sehr viele Dialekte (wie in der Schweiz ). Jazz ist einer davon – neben Klassik, Volksmusik, Pop, Rock, etc … Innerhalb des Jazz spricht natürlich auch fast jeder Musiker nochmals seine eigene Sprache! Dies ist sogar ein bisschen unser Ziel und Ehrgeiz: eigenständig zu sein – und trotzdem verstanden zu werden … Allen Jazzmusikern ist bestimmt die Freude am Improvisieren gemein. Die Lust, spontan im Moment etwas Neues zu schaffen. Es mag ein bisschen widersprüchlich sein, dass man diese Momente oft festzuhalten versucht, indem man sie auf eine CD brennt oder auf eine Platte presst. Dennoch gibt es sehr viele hörwürdige Aufnahmen, und es ist schön, dass man diese Momente immer wieder miterleben kann.
Michael Neff, 1975, Trompeter in St.Gallen, empfiehlt DelightfulLee von Lee Morgan, Stan Getz‘ Voyage und Peter Rosendals Old Man’s Kitchen.
Jazz ist…
… Poesie … Geschichte … Leidenschaft …wärmend, ehrlich, politisch, verwirrend. Und doch, wenn man genau hinhört, sich dafür Zeit nimmt und sich gehen lässt: unglaublich eingängig und nicht, wie sehr viele Menschen das Gefühl haben, kompliziert oder schwer zu verstehen bzw. zu hören. Man muss sich einfach drauf einlassen, Kopf und Herz leeren und sich von all dem kommerziellen Müll, den wir im Radio tagtäglich hören, befreien. Jazz verbindet, früher wie heute: Hört Euch Hiatus Kayote an oder Erykah Badu, Jill Scott oder D’Angelo. Beispiele, wie man Jazz ins Heute integriert, gibt es unzählige.
Mariel Zambellis, 1987, Singer/Songwriter und Music-Lover aus St.Gallen
Jazz ist…
…Struktur. A Love Supreme von John Coltrane besteht aus vier Tracks, von denen jeder eine bestimmte Rolle zu spielen scheint. Hört man sie einzeln sind sie gut, erscheinen aber kontextlos. Hört man sie am Stück, und in der richtigen Reihenfolge, erzählen sie eine musikalische Geschichte. Für Produzenten elektronischer Musik, welche sich mit verändernden Strukturen in Tracks beschäftigen, hat Jazz also definitiv eine Relevanz.
Max Frischknecht, 1989, ist Grafiker und produziert Bassmusik in St.Gallen. Er empfiehlt A Love Supreme von John Coltrane und Bending New Corners von Erik Truffaz.
Jazz ist…
…mannigfaltiges… ich finde, man sollte aufhören den jazz klar definieren zu wollen. das zwestört den grundgedanken von freiheit, improvisation und zusammenspiel. wo dies hinführt ist ungewiss!
Niklaus Hürny, Trompeter aus Bern und St.Gallen.
Mehr zum Thema Jazz gibt’s im Oktoberheft von Saiten. Übrigens: Wer nicht lesen will, kann hören.
Titelbild: Peter Hummel, Gambrinus Jazz Plus