Ist die Politik auf der Achse des Bösen?
Verschwörungstheorie #1: Politische Wahlen werden immer mehr durch mediale Panikmache beeinflusst. Terrorängste, Flüchtlingskrise, Staatsverschuldung und Wertezerfall heissen die Reizwörter. Organisierte Hysterie bestimmt die Wahlen und nicht sachbezogene Vernunft.
Silvano Moeckli: Meiner Meinung nach ist es falsch, in diesem Zusammenhang von Panikmache zu sprechen. Sicher können Medienhypes den Meinungsbildungsprozess bei den Wählerinnen und Wählern merklich beeinflussen. Das kann aber nicht mit organisierter Hysterie verglichen werden. In einer funktionierenden Demokratie sind solche Vorgänge nicht möglich. Man kann aber durchaus die Frage stellen: Wer macht die medialen Hypes? Es gibt keine Hinweise, dass eine zentrale Schaltstelle dahinter steckt. Natürlich ist es aber in einzelnen Fällen möglich, dass eine Person oder eine Personengruppe ein politisches Thema in der Öffentlichkeit besetzt und letztlich dominiert. Das kann sich durchaus auf das Wahlergebnis auswirken.
Verschwörungstheorie #2: Immer mehr Kommunikationsfachleute mischen bei den Wahlen mit und entwickeln für die Kandidierenden ein eigentliches Produktemarketing. Gewählt werden nicht die wirklich fähigen Kandidierenden, sondern jene mit der besseren Verkaufsstrategie.
Silvano Moeckli: Es ist richtig, dass die Kommunikationsbranche bei politischen Wahlen immer stärker mitmischt und bei den sogenannten Public Affairs auch Geld eine immer grössere Rolle spielt. Aber Wahlen lassen sich nicht einfach mit der besseren Verkaufsstrategie entscheiden. Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen schon auch Fähigkeiten vorweisen, die sie für das angestrebte Amt wählbar machen.
Verschwörungstheorie #3: In der Politik gibt es praktisch nur Quereinsteiger. So gesehen sind Wahlen das grosse Jekami für das Volkswohl.
Utopie: Um das zu ändern, müsste für die Ausübung eines Mandats in Regierung und Parlament ein Fähigkeitsausweis eingeführt werden und politische Tätigkeit künftig nur mit der entsprechenden geschützten Berufsbezeichnung möglich sein.
Silvano Moeckli: Das kann ich nicht unterschreiben, dass es in der Politik nur Quereinsteiger gibt. Ohne die Ochsentour schaffen nur sehr wenige den Einstieg in eine politische Karriere.
Die Einführung eines Fähigkeitsausweises für die Ausübung eines politischen Mandates finde ich absurd. Das wirkliche Problem bei unseren Politikerinnen und Politikern ist die fehlende Transparenz. Es müssten wie in den USA die Vermögensverhältnisse und die Wahlkampfspenden offengelegt werden. Es wäre wichtig zu wissen, wer hinter den Mandatsausübenden steht und über wie viel Geld diese verfügen.
Verschwörungstheorie #4: Die Mitglieder des Parlaments üben ein freies Mandat aus. Daher sind sie entsprechend anfällig für die Umsetzung egoistischer Interessen oder stellen sich in den Dienst von Lobbyisten.
Utopie: Für Parlamentsmitglieder bräuchte es ein imperatives Mandat. Die Ausübung sollte durch einen festgelegten Rahmen bestimmt werden, den die Wählenden vorgeben würden.
Silvano Moeckli: Alle Parlamentsmitglieder sind Lobbyisten. Unterprivilegierte wie beispielsweise Leute, die von der Sozialhilfe unterstützt werden, sind in den Parlamenten nicht zu finden. Sie haben keine Lobby, die ihnen ein politisches Mandat ermöglichen würde.
Zur Einführung eines imperativen Mandats: Das würde in unseren Parlamenten nicht funktionieren, weil in diesen Institutionen ständig Kompromisse unter den verschiedenen politischen Gruppen ausgehandelt werden müssen. Das geht nur, wenn das Mandat frei ausgeübt werden kann. Parlamentarierinnen und Parlamentarier werden an der Einhaltung ihrer Wahlversprechen gemessen. Die Wählenden können so die Ausübung des Mandats kontrollieren. In diesem Sinn hat das Internet eine besondere Bedeutung erlangt, weil es einen sehr guten Überblick über das politische Engagement gibt und auch für Transparenz der Mandatsausübenden sorgt.
Verschwörungstheorie #5: Die Stimmberechtigten können bei Sachvorlagen nur Ja oder Nein sagen. Dadurch kommt der Volkswille nicht voll zur Geltung.
Utopie: In vielen Fällen wollen die Bürgerinnen und Bürger ein differenzierteres Votum abgeben. Für Sachvorlagen sollte es deshalb künftig ein Abstimmungsmodell geben, das Elemente der Meinungsforschung berücksichtigt, um den Volkswillen authentischer eruieren zu können. Es sollten mehrere aufeinander abgestimmte Fragen gestellt werden, um bei der Auswertung der Antworten möglichst präzise die Einsichten und Einstellungen der Stimmberechtigten zu einem bestimmten Sachthema erfassen zu können.
Silvano Moeckli: Ich sehe keinen Grund für eine Änderung des Ja- oder Nein-Votums bei der Stimmabgabe für Sachvorlagen. Die Eindeutigkeit der Fragen bestimmt schliesslich das Ergebnis.
Anders ist es bei der Meinungsforschung, wo mehrere Fragen beantwortet werden müssen. Da kann die Eindeutigkeit schnell untergehen, und das ist gefährlich. Zudem hat die Frageformulierung einen starken Einfluss auf das Umfrageergebnis.