Integration, die der Staat nicht will

Seit fünf Jahren bietet die Integra-Schule des Solidaritätsnetzes Flüchtlingen gratis Deutschunterricht. Sie ist in dieser Zeit ständig gewachsen – und muss nun zum Jubiläum Lernwillige ablehnen. von Sarah Schmalz
Von  Gastbeitrag

Am Jubiläumsfest der Integra-Schule liegen Gutscheine auf. Wer einen kauft, finanziert damit Fahrten nach St.Gallen: Die Schülerinnen und Schüler, die im alten Schulhaus St.Fiden Deutsch lernen, reisen aus über 60 Ortschaften in drei Kantonen in die Stadt an. Für die Integra sind also nicht Miete oder Schulmaterial der grösste finanzielle Aufwand, sondern die Zug- und Bustickets. «Würden wir unseren Schülern die Fahrten nicht bezahlen, könnten nur wenige den Unterricht besuchen», sagt Stephanie Sierra am Samstag in der zum fünfjährigen Jubiläum mit Ballonen geschmückten Schule. Die pensionierte Kanti-Lehrerin arbeitet seit vier Jahren als Freiwillige für das vom Solidaritätsnetz Ostschweiz ins Leben gerufene Projekt. Und hat viel dazu beigetragen, dass in fünf Jahren aus einem Herzensanliegen ein professionalisierter Betrieb geworden ist.

Deutsch lernen ist das Wichtigste

Am Anfang des Schulprojektes stand der Wunsch von Flüchtlingen, ihre viele Zeit sinnvoll zu nutzen – und eine grosse Euphorie: Jeder der wollte, sollte sich in der Integra einbringen können. Nebst Deutsch sollte auch Französisch, Arabisch, Amharisch und Tibetisch sowie Tanz und Gesang vermittelt werden. Ein basisdemokratisches Chaos, aus dem sich mit der Zeit das eigentliche Bedürfnis der Flüchtlinge herauskristallisiert hat.

«Wir konzentrieren uns heute auf den Deutschunterricht», sagt Sierra, die auch nach ihrer Pensionierung ganz die autoritäre Kanti-Lehrerin geblieben ist. Sie hat Schulregeln formuliert und für klarere Strukturen gesorgt. Heute wird das Schulprojekt von Integra-Mitbegründin Myrta Strub, den Lehrerinnen Marianne Stuber und Stephanie Sierra und der Schülervertreterin Buddai Enkhbat geleitet. Auch den Unterricht hat Sierra professionalisiert: Seit 2012 könne sich die begabten Schüler auf ein Sprachdiplom der Niveaus A2 oder B1 vorbereiten

Staat zahlt nichts an die Schule

Mit 23 Schülerinnen und Schülern ist die Integra damals gestartet, heute sind es über 230, die von rund 40 Freiwilligen unterrichtet werden. Es gibt Erfolgsgeschichten wie die der Afghanin Mariam Rahmany, die am Jubiläumsfest als eine von drei Schülerinnen eine Kurzlektion in ihrer Landessprache gibt. Seit 14 Jahren ist die Mutter von fünf Kindern in der Schweiz. Erst als sie vor einigen Monaten von der Integra hörte, bot sich ihr die Chance, intensiv Deutsch zu lernen. Im Januar hat sie das B1-Sprachdiplom abgelegt.

Am anderen Ende der Skala finden sich Schüler, die nur langsam Fortschritte machen. Weil sie noch nie eine Schule besucht haben, weil ihre Traumata zu schwer wiegen oder weil die unsichere Zukunft den Kopf zu sehr besetzt. Für sie ist die Integra vor allem als sozialer Treffpunkt wichtig. «Sie kommen gerne, weil hier alle in der selben Situation sind», sagt Sierra. In der Flüchtlingsschule wird dort praktische Integrationsarbeit geleistet, wo sie der Staat verwehrt.

Nebst einigen vorläufig aufgenommenen oder anerkannten Flüchtlingen besteht die grosse Mehrheit der Integra-Schüler aus Migranten, über deren Asylgesuch noch nicht entschieden ist. In der drei bis fünf Jahre dauernden Wartezeit sollen sie hier nicht ankommen, sondern möglichst leicht abschiebbar bleiben. «Mit staatlicher Unterstützung wird die Integra deshalb auch in Zukunft nicht rechnen können», hält der städtische Integrationsbeauftragte Peter Tobler am gut besuchten Jubiläumsfest ohne Umschweife fest.

Aufnahmestopp vor Weihnachten

Die Bekanntheit der St.Galler Institution wächst derweil weiter: Vor Weihnachten musste die Integra erstmals einen Aufnahmestopp verhängen. Anfang Februar folgte der zweite. «Wir gelangen an unsere Kapazitätsgrenze», sagt Sierra. Es fehlen der Platz und die Lehrkräfte, um das Angebot weiter auszubauen. Und auch nach fünf Jahren ist das Geld ständig knapp. Die Devise der Schule lautet deshalb: Eine Hürde nach der anderen nehmen. Man sei permanent auf der Suche nach Gönnern, sagt Sierra. Vieles läuft dabei über persönliche Beziehungen. So verfügt die Schule etwa über zwei Hellraumprojektoren und einen Kopierer von der Kantonsschule am Burggraben. Als vor fünf Jahren alles begann, hatten die Integra-Schulräume noch nicht einmal eine Heizung, geschweige denn Wandtafeln.