, 5. Juni 2024
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In Stein gehauen

Als letzte grosse Schauspielpremiere der Spielzeit bringt das Theater St.Gallen Hedda Gabler heraus. Regisseurin Heike M. Goetze hämmert Ibsens Klassiker allzu vordergründig auf die Bühne im grossen Haus.

Ausweglos: Hedda Gabler (Marie Bonnet) und Richter Brack (Simon Brusis). (Bilder: Jos Schmid)

Zwei Felsen links und rechts, klobig, alles versperrend bis auf einen schmalen Durchgang. Wäre man in den Bergen, hiesse ein solcher Ort «Klus» oder «Klamm». Die Viamala kommt einem in den Sinn, die Schöllenenschlucht oder der Hirschensprung. Hier ist die Bühnen-Klus Sinnbild für Hedda Gablers eingezwängtes Leben. Zwischen den Felsen bleibt gerade noch knapp Platz für ein Sofa. Und am Schluss für das Totenbett.

Das Bild ist so überdeutlich, wie den ganzen Abend lang gesprochen und gespielt wird. Sprechen heisst zumeist schreien, gespielt wird fast konsequent frontal zum Publikum hin, also aneinander vorbei. Die Doppel-Botschaft ist unverrückbar wie die zwei Felsen. Inhaltlich lautet sie: Im Zwangssystem der bürgerlichen Gesellschaft sind Hedda und alle anderen Gefangene. Und formal heisst die Botschaft ans Publikum: Hallo, habt ihrs alle gehört und kapiert?

Sie reden und leben aneinander vorbei: Hedda (Marie Bonnet), Tesman (Martin Weigel), Tante Julle (Diana Dengler).

Das «Hallo», mit dem das Stück beginnt, heisst «Huhu». «Huhu, ich bin wieder da», schreit Jörgen Tesman und rennt mit einem Koffer nach dem anderen über die Bühne und die Zuschauerränge hoch und runter. Tesman und Hedda sind zurück von ihrer mehrmonatigen Hochzeitsreise; sein nicht endenwollendes «Huhu» gilt aber nicht der Ehefrau, sondern der geliebten Tante Julle.

Dann setzen sich Tante und Neffe aufs Sofa und versuchen rasende Sätze und schweigen peinlich. Mit Hedda wird es dann noch peinlicher.

Der Text maschinenknattert

Das ist präzis inszeniert, das Rennen und Stoppen, das Reden, Schreien und abrupte Schweigen. Regisseurin Heike M. Goetze, die auch die ganze Ausstattung samt Felsenbühne selber verantwortet, startet mit einem sicheren Gespür für Rhythmus und für das Unausgesprochene zwischen dem lautstark Gesprochenen in den Abend.

Nur fransen die markanten Setzungen und Pausen im Lauf des Stücks zunehmend aus, der Text gewittert und maschinenknattert bald nur noch. Regisseurin Goetze nennt ihre Figuren im Programmheft selber «Geschosse». Sie knallt dem Stück noch den Rest an Geheimnis zwischen den Personen weg – alles ist hier Vorderbühne, Vordergrund, Rampe, Kampfplatz.

Hedda (hinten), Lövborg (Manuel Herwig) und Tesman mit dem Manuskript von Lövborgs Buch.

Dabei ist das zur Hälfte hauseigene, mit Gästen verstärkte Ensemble spannend besetzt. Martin Weigel spielt Jörgen Tesman als grossen, fürs tägliche Leben untauglichen Bub, der selbst der verklemmten Tante Julle (Diana Dengler) nicht gewachsen ist. Erst recht nicht dem intriganten, verlebten Richter Brack (Simon Brusis) oder Heddas Ex-Liebhaber Ejlert Lövborg, den Manuel Herwig nicht als skandalumwitterten Frauenhelden spielt, sondern als gequälte und getriebene Existenz. Annabel Hertweck, künftig fest im St.Galler Ensemble, ist die unterwürfige Thea, die mit Lövborg auch sich selber an Hedda zu verlieren droht.

Auftritt Hedda: Marie Bonnet, löchriger Pullover unter dem eleganten Überwurf, Löwenmähne und unsteter Blick, fährt ihre Raubtierkrallen aus, kanzelt Ehemann und Tante ab, küsst Thea an die Wand, spielt mit den Männern wie mit Messern, doch hinter all dem blitzt nackte Verzweiflung auf. Diese bricht sich Bahn in hysterischen Schrei- und Wälz-Anfällen, die Dr. Freud interessiert hätten.

Hedda, im Hintergrund das Sterbebett von Tante Rina (Heidy Bosshard) mit Julle und Jörgen.

Bonnets Hedda ist ausser sich, und dies weit über die äusseren Umstände hinaus. Die sind zwar unerspriesslich, Tesman hat sich verschuldet, die erhoffte Professur droht ihm Kollege Lövborg dank seinem Buch-Bestseller wegzuschnappen, nichts mit grossbürgerlichem Salon, schon gar nichts mit Liebe. Aber auf der St.Galler Bühne wütet eine Frau, die exemplarisch das Opfer jenes bürgerlichen Ehekonstrukts ist, das Frauen zu Gattinnen degradiert und Männer zwischen verquerem Heldentum und «Jörgilein»-Lächerlichkeit aufreibt.

Starr wie eh und je

Dieses Konstrukt, auf Schein statt Wahrhaftigkeit gebaut, sah schon Ibsen am Ende, übrigens auch Fontane in seinem Roman Effi Briest, unlängst in Vaduz dramatisiert, und andere gesellschaftskritische Geister. Sein Stück reisst alle in den Abgrund, eine neue Geschlechterordnung ist nicht in Sicht. Der einzige Ausweg sind die Pistolen von General Gabbler. Zwei sind es, passend für Mann und Frau.

Nächste Vorstellungen: 7. und  9. Juni, Theater St.Gallen, wir in der nächsten Spielzeit wieder aufgenommen

konzertundtheater.ch

Bei der Uraufführung 1891 im Münchner Residenztheater hatten sich Ibsen-Gegner und -Befürworter noch einen «nicht sehr geschmackvollen Kampf im Zuschauerraum» geliefert. Heike M. Goetzes St.Galler Fassung fand 130 Jahre später, an der St.Galler Premiere vom letzten Freitag, ziemlich einhelligen Beifall. Aber eine Perspektive über die verzweifelten Machtfantasien und den Suizid der Titelheldin hinaus bietet sie nicht.

Im Programmheft fragt die Regisseurin kritisch, ob sich die Situation  der Frauen in der Schweiz von heute wirklich verbessert habe. Ihre Hedda scheint zu sagen: Hallo, nein. Die Felsen stehen starr wie eh und je.

Frauen ohne Perspektive: Hedda, Thea (Annabel Hertweck).

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