In Egnach gärt die Kultur

Kalt ist es in den Gemäuern. Das muss so sein: Hier wurden früher Apfelsaft und Halbfabrikate hergestellt. Überall in den Kellern stehen und liegen noch riesige Tanks, einige sind einbetoniert, andere gelb oder rot angemalt. Die alte Mosterei in Egnach, gleich hinter dem Bahnhof, wo zuerst die Thurella AG und danach bis 2015 Möhl Obst verarbeitet haben, hat sich jetzt in eine Spielwiese für Musik und Kunst verwandelt.
«Kultur im Tankkeller» heisst die Zwischennutzung des Vereins «Kerngehäuse», die bis Ende Mai mit einem reichhaltigen Programm aufwartet. Musiker und Veranstaltungschef Andrin Uetz und Projektleiter Pascal Leuthold führen durch die 2500 Quadratmeter grosse, unterirdische Kunstland-chaft, die beim Besuch Mitte Februar erst am Entstehen ist. An der hohen Wand gegenüber der Einstiegstreppe sind bereits die Umrisse eines riesigen Tiers oder Ungeheuers zu erkennen, frisch gepinselt vom Zürcher Künstlerduo Bošković-Scarth.
Geballte Ladung Kunst und Musik
Ebenfalls im «sterilen Arbeitskeller» eingerichtet hat sich Co Gründler mit ihren grossen farbigen Tüchern. Im nächsten Raum, dem zwölf Meter hohen «Steriltank», hat Gründler provisorisch weitere Tücher zur Bemalung, Farbtuben und Museumspantoffeln bereitgelegt. Im kleineren Raum nebenan, wo einst die komplizierte elektronische Steuerungsanlage untergebracht war, führen nur noch ein paar Kabel der Decke entlang. Auf dem Boden frisch aufgemalt: eine überfahrene Kuh, die aber noch unfertig ist. Es fehlt noch das Rot.
Viele weitere Künstler:innen aus allen Landesgegenden sind angekündigt, die die Kellergewölbe hier bespielen mit Klanginstallationen, Performances und anderen Interventionen: darunter Olga Titus, Jan Kaeser, Max Bottini, Susanne Hefti, Simone Kappeler. Andy Guhl wird die alten Tanks in einem Raum scheppern lassen, das «Konzentratlager» wird durch Stephan Philippi zum künstlichen Klang- und Lichtwald. Andrea Vogel hat eine Videoperformance aufgezeichnet, die den Spuren körperlicher Arbeit und industrieller Entwicklung folgt, und wird wohl an der Vernissage am 5. März zusätzlich live performen. Im «Gärkeller» leuchten bereits Urs Burgers Kreationen. Der Cheftechniker des Kunstmuseums St.Gallen schafft mit seiner Neonröhren-Kunst eine retrofuturistische Atmosphäre.
Kultur im Tankkeller: Zwischennutzung in der alten Mosterei in Egnach vom 5. März bis 28. Mai.
Bistro und Ausstellung jeweils freitags 17 bis 23 Uhr, samstags 13 bis 23 Uhr und sonntags 13 bis 17 Uhr.
Am meisten Zeit wird man nach den Besichtigungen wohl im oberirdischen und vor allem beheizten Bistro verbringen, das im denkmalgeschützten Hauptgebäude eingerichtet wurde und mit eigens für die Zwischennutzung hergestellten Teppichen mit 70er-Jahre-Mostwerbesujets auftrumpft. Hier steht auch die Bühne für die Musiker:innen. Der St.Galler Musiker und DJ Bit Tuner wird im grossen Saal, im «Sterilkeller», raven, und wenns vom Klang her passt eventuell die Thurgauer Thrash-Metal-Band Corpus Delicti. Auch das Sinfonische Orchester Arbon ist angekündigt.
Ein musikalisches Highlight wird sicherlich der Auftritt von Ankathie Koi, die in Wien längst als Pop-Diva oder auch als Anti-Diva gefeiert wird, hierzulande aber immer noch als Geheimtipp gilt. Zu Besuch in Egnach wird auch Julian Sartorius sein, einer der umtriebigsten Schlagzeuger der jungen Schweizer Musikszene. Er wird auf einem Untergrundspaziergang die Kellerwände und Tanks betrommeln.
Es geht auch um Egnachs Zukunft
Das ehemalige Thurella-Areal gehört der Metter2Invest und soll überbaut werden (Saiten berichtete). Einzig das Hauptgebäude bleibt. Über 150 neue Wohneinheiten sollen hier entstehen. Auch auf der anderen Seite des Gleises sind 300 Wohneinheiten geplant. «Die Bevölkerung Egnachs wird
in den nächsten zehn Jahren um rund 2000 Personen wachsen», sagt Tankkeller-Projektleiter Pascal Leuthold. «Und hier auf dem Thurella-Areal entsteht ein komplett neues Dorfzentrum.» In Egnach machen sich mittlerweile verschiedene Gruppen Gedanken dazu, wie das Dorf einmal aussehen soll. Man hat im Nachbardorf Neukirch gesehen, wie eine Zentrumsgestaltung auch misslingen kann. Dort stehen heute etliche neugebaute Gewerberäume leer.
Tankkeller-Veranstalter Andrin Uetz erklärt den Antrieb für die Zwischennutzung in der alten Mosterei: «Wir wollen zeigen, was hier, im künftigen Dorfzentrum alles möglich wäre. Wir hoffen, dass vielleicht zumindest das Bistro auch nach der Zwischennutzung weiterbestehen kann.»
Das Interesse in der Bevölkerung, an der Dorfentwicklung ebenso wie an der Zwischennutzung, ist riesig. Das zeigt sich auch beim lokalen Gewerbe, das tatkräftig mitanpackt bei den baulichen Massnahmen für den «Tankkeller». Auch die Politik ist dem Projekt gewogen. Die umliegenden Gemeinden haben allesamt bei der Finanzierung mitgeholfen. So wird das Dorf im Dreieck zwischen Arbon, Romanshorn und Amriswil plötzlich zum kulturellen Zentrum – zumindest diesen Frühling. Und vielleicht, so die Hoffnung des Vereins, auch darüber hinaus.