Im Mai: Saiten im Blockierquartier
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Für die Ratten vom St.Galler Kornhausplatz nahm der Frühling Mitte April ein jähes Ende. Nicht wegen des Winters, der sich kurzzeitig zurückmeldete, sondern weil die Stadt endlich durchgriff, nachdem sich die Nager:innen in den Baumgruben rund ums Nastuch-Monument häuslich eingerichtet hatten. Im März gab man sich noch gelassen und versicherte, die Situation im Auge behalten zu wollen, im April wurden dann Massnahmen ergriffen. Denn wegweisen wie die Menschen lässt sich das Kleingetier nicht einfach so per Gesetz.
Ratten können Krankheiten verbreiten, was vor allem andere Tiere gefährdet. Also muss jetzt offenbar Gift her. Meienberg, der sich einst so herrlich über die Massen herumschmutzender Hunde (und deren Halter:innen) in Paris enervierte, hätte seine Freude. Die Ratten gehören aber nur sich selbst – und können also weg, so die Haltung der Stadt. Die Meinungen darüber sind geteilt, auch in der Redaktion. Einige haben Mitleid, andere sind erleichtert.
Dabei könnten Ratten dem Menschen auch dienen, wie das mutmasslich auch der in Staad lebende ehemalige Gemeindepräsident von Eggersriet bewies. Der streitbare Ex-Politiker, der auch als Asylsuchenden-Schreck gilt, soll auf einem Fussweg, der über sein Grundstück zur Badi Speck führt, Futter gestreut und damit eine Rattenplage mitverursacht haben. Dies, weil es ihm auf behördlichem Weg nicht gelungen sei, den Durchgang zum Seebad für die Öffentlichkeit sperren zu lassen. So zumindest die kolportierten Verdächtigungen aus der Nachbarschaft, die über die Nagetierplage wenig erfreut war.
Soweit wir informiert sind, haben die St.Galler Ratten noch niemandem den Weg versperrt. Hier wird das (stadtentwicklerische) Vorankommen noch wie in guten alten Zeiten durch Einsprachen blockiert. Zum Beispiel beim Güterbahnofareal, wo diverse Projekte ausgebremst und verhindert sind, weil prozesswütige Einzelfiguren immer wieder aufs Neue Dinge entdecken, die ihnen nicht in den Privatkram passen. Corinne Riedener hat Akten gewälzt, mit Betroffenen und Behörden gesprochen und versucht, mit den notorischen Einsprechern zu reden, aber ausser einer zehnminütigen Telefon-Schimpftirade keine Auskünfte erhalten. Alles zum Nachlesen ab Seite 14.
Ausserdem im schuppenschwänzigen Mai: Das Zeug:innenprotokoll zum millionenschweren und nie aufgeklärten Einbruchdiebstahl in die St.Galler Hauptpost im April 1994; Neuigkeiten aus dem Toggenburg, wo der neue Klangweg eingeweiht wird; das Interview mit Pia Hollenstein von den siegreichen Klimaseniorinnen; die Flaschenpost aus Lampedusa; Protestarchitektur in Teufen und neue Platten von Martina Berther und Plankton.
Zudem verabschiedet sich mit ihrem 20. Beitrag unsere Kolumnistin Sangmo. Sie übergibt die Stimmrecht-Spalte ab Juni an die Ukrainerin Liliia Matviiv. Treue Saitenleser:innen kennen sie bereits aus dem Februarheft. Vielen Dank, liebe Sangmo, herzlich willkommen an Bord, Lili. (Roman Hertler)
Der Inhalt:
Reaktionen/Positionen
Redeplatz mit Pia Hollenstein
Stimmrecht von Sangmo
24/7 Traumacore von Mia Nägeli
Perspektiven
Im Blockierquartier
Einsprachen blockieren die Entwicklung im St.Galler Güterbahnhofquartier. Die Fälle Konigs und Hektor sind mittlerweile beim Bundesgericht, dem Lattich droht eine Teilräumung. Was ist da los? von Corinne Riedener
Ungeklärter Millionen-Coup
Am 27. April jährt sich der Einbruch in die St.Galler Hauptpost zum 30. Mal. Die Einbrecher stiegen an jenem Mittwochabend unbehelligt ein, stahlen 27 Säcke voll Bargeld und flüchteten zu Fuss. Das Protokoll der Tatnacht aus Sicht der Zeug:innen. von Roman Hertler
Einst war hier Pangäa: Die Flaschenpost aus Lampedusa von Marguerite Meyer
Kultur
Neue Klänge für den Klangweg
Zum 20-Jahr-Jubiläum erhält der Klangweg im Toggenburg eine Auffrischung. 13 neue Klanginstallationen warten auf die Besucher:innen. Bis zur Eröffnung wird es jedoch ein Wettlauf gegen die Zeit. von David Gadze
Irdische Mächte
Der Spielfilm Terrestrial Verses von Ali Asgari und Alireza Khatami ermahnt uns, Machtstrukturen immer zu hinterfragen – egal, wo wir leben. von Corinne Riedener
Erst wird besetzt, geräumt wird zuletzt
Die Ausstellung «Protest/Architektur» im Zeughaus Teufen zeigt die Infrastrukturen des Aufbegehrens. von Kristin Schmidt
Vier Saiten, tausend Experimente
Die Churer Bassistin und Experimentalmusikerin Martina Berther veröffentlicht ihr erstes Soloalbum. Weghören? Unmöglich! von Philipp Bürkler
Aus dem Tiefschlaf erwacht
Der Winterthurer Band Plankton gelingt mit Boule musikalisch wie inhaltlich eine überzeugende Rückkehr. von David Gadze
Kulturparcours: NŒISE, Aufgetischt, Morger, Maiblüten, Mediale, Echo, Sufo und Tanzfest
Plattentipps: Analog im Mai
Gutes Bauen Ostschweiz: Gewagt, gewagter, s’Wagi
Boulevard: Betonklötze und andere Preise
Abgesang
Kellers Geschichten: Elf Uhr
Comic von Julia Kubik: Muttertag