Im Januar: Saiten schwingt die Standortfahne
Alle reden vom Standort – wir auch. Ausserdem: Ein Comic zum Saiten-Jubiläum, der Report aus dem Knast und das Serbeln der Musikbranche. Und ein Loch. Und natürlich: ä guäts Neus!
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Es war einmal ein Königreich, nennen wir es Popo, das sich mit sich selbst langweilte. Es begann sich zu vergleichen mit seinem Nachbarkönigreich, nennen wir es Pipi, und anderen Königreichen rundherum. Weil die Königreiche voll auf der Höhe der Zeit sein wollten, nannten sie das Ganze nicht Vergleich, sondern Rating. Sie betrieben Standortrating, Steuerrating, Fachhochschulrating, Parkplatzrating, Altersheimrating, Borkenkäferrating, Kulturförderrating und schliesslich: Sparrating. Sie sparten und verglichen sich um die Wette, und wenn sie sich nicht totgeratet haben, raten sie munter weiter bis in alle Ewigkeit.
Man kann bloss (wie in Georg Büchners Königreich Popo, wo wir den Namen entlehnt haben) darauf hoffen, dass irgendwann ein Prinz Leonce und eine Prinzessin Lena auftauchen, die das Land vom Fluch befreien. Bei Büchner, dem vor 200 Jahren geborenen Autor und Gegenwartsdiagnostiker, schlägt Leonce am Ende vor: «Wir lassen alle Uhren zerschlagen und alle Kalender verbieten». Hier und heute müsste die Losung heissen: Weg mit allen Benchmarks und Nutzwertanalysen und Zielvereinbarungen, Organigrammen, Triangulationsmatrixen, Positionierungen und Returns on Investment!
Und reden wir wieder mal von den Inhalten.
Dieses Saitenheft analysiert den Standortvirus, der die Ostschweizer Gemeinwesen befallen hat. Wir gehen unter dem Titel «Wenn die PwC regiert» dem Einfluss der Wirtschaftsberater hinter den Kulissen nach, reden mit den «Standortfucktor»-Rebellen in Winterthur und analysieren an Beispielen aus der Region, was man die Ökonomisierung des Politischen nennen könnte. Einen literarischen Blick auf das Thema wirft die in Berlin lebende Autorin Sabine Wang.
Und schliesslich soll Kritik ja konstruktiv sein: Deshalb schwingt Saiten die Fahne für jene Orte, die zwar dieses Prädikat nicht tragen und nie in einer Standorthochglanzbroschüre auftauchen – die jedoch umso mehr zur Lebens- und Wohn- und Arbeitsqualität einer Region beitragen.
Saiten ist kein Standortfaktor… aber immerhin seit zwanzig Jahren an allen möglichen Ecken zu finden und entsprechend in Jubiläumslaune. Wir feiern unter anderem mit einem monatlichen Comic, immer in der Mitte des Hefts, gezeichnet von wechselnden Künstlerinnen und Künstlern. Den Auftakt macht die frühere Saiten-Zeichnerin Lika Nüssli mit einem Alptraumtrip zwischen Pussy Riot und Schule für Gestaltung.
Auf ein marketingfreies 2014 im Königreich Popo!
Peter Surber, Corinne Riedener
DER INHALT:
Reaktionen
Positionen
Blickwinkel. von Daniel Ammann
Redeplatz. mit Adrian Riklin
Einspruch. von Roman Riklin
Stadtlärm. von Andreas Kneubühler
Vergangenheitsbewältigung: mit Tucholsky, ohne Merz
Alle sprechen vom Standort. Wir auch.
Wenn die PwC regiert.
Beratungsfirmen machen Politik – nicht nur beim St.Galler Sparpaket.
von Ralph Hug
Die fünf anderen Faktoren.
Saiten zeigt Alternativen zu Glasfaser, Geothermie, IT und Co.
von Corinne Riedener
Steiniger Boden, wenig Humus.
Kultur wird an Benchmarks gemessen.
von Andreas Kneubühler
Wirtschaft umarmt Kunst.
Ein Foulard für die Sternenstadt.
von Peter Surber
Eine Stadt ist auch eine Firma.
Warum sich in Winterthur der «Standortfucktor» wehrt.
von Katharina Flieger
Blühende Wände.
Quartierwandel – eine Erzählung aus Moabit.
von Sabine Wen-Ching Wang
Perspektiven
Flaschenpost aus Saint-Laurent-du-Maroni. von Hans Fässler
Winterthur
Appenzell
Rheintal
Toggenburg
Stimmrecht. von Gyatso Drongpatsang
Kultur
Willkommen im Webshop.
Zum Untergang von Musik Hug in St.Gallen.
von Peter Surber
Es geht um Haltung Berthold Seligers Kritik am Monopol-Musikbusiness.
von Chrigel Fisch
Lika Nüssli zeichnet den Januar-Comic.
Film: Die St.Petersburger «Glückspilze».
von Corinne Riedener
Geschichte: Ralph Hugs neues Spanienbuch.
von Richard Butz
Kunst: Der Schaukasten Herisau hört auf.
von Christina Genova
Musik: In Rorschach klingt das «Treppenhaus».
von Corinne Riedener
Weiss auf Schwarz.
Report
Wenn ich hier raus bin … Eine Fotoreportage aus der Strafanstalt Gmünden.
von Franziska Messner-Rast (Bild) und Johannes Stieger (Text)
Kalender
Abgesang
Kellers Geschichten
Bureau Elmiger
Charles Pfahlbauer jr.
Boulevard