Im Januar: Saiten korrigiert
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Januar, neues Jahr, neues Team, gute Vorsätze – das Titelthema dieser Ausgabe hat einen freudigen, optimistischen Grund und Hintergrund. Man nimmt sich vor, ein paar Dinge besser zu machen, dieses anzupacken und jenes endlich bleiben zu lassen. Wir tun das bei Saiten auch («und zwar permanent, nicht bloss zu Beginn des neuen Jahrs», wirft meine Kollegin gerade korrigierend ein, natürlich hat sie recht) – zum Beispiel also lautet einer unserer Vorsätze, im Saiten-Heftabschluss künftig um Mitternacht fertig zu sein und nicht bis in den halben Morgen hinein noch Korrekturen anzubringen, obwohl sich natürlich immer noch etwas verbessern lässt. Oder, anderes, wichtigeres Beispiel: Wir nehmen uns vor, künftig noch fundierter zur Verbesserung der kulturellen und politischen Entwicklung unserer Region beizutragen. («Und den Mächtigen auf die Finger zu schauen und auch mal auf die Finger zu hauen», ergänzt mich der Kollege, natürlich zurecht).
Kurzum, wo man hinschaut: Korrigierbedarf, Verbesserungsmöglichkeiten, Wandlungslust, Vorwärtsdrang. Drum widmet sich dieses Heft dem Korrigieren. Zum einen unserem Handwerkszeug, der Sprache selber: Corinne Riedener denkt über Gender Correctness nach, die junge Ostschweizer Schriftstellerin Laura Vogt reflektiert ihre Korrigier-Arbeit am Text und am Leben. Und auch das mathematische Korrigieren hat seinen Platz (und seine Tücken). Zum andern gesellschaftlich und geschichtlich: Richard Butz schlägt notwendige Korrekturen an der hiesigen Geschichtsschreibung vor, Rolf Bossart sinniert grundsätzlich über das «Mängelwesen » Mensch und den Zwang zur Selbstoptimierung im durchökonomisierten 21. Jahrhundert.
An solchen Stellen…(«unpräziser Ausdruck», kritisiert die Grafikerin – also noch einmal:) Bei solchen Stichworten wird man gewahr («schönes altes Wort», grummelt der Korrektor), dass die löbliche Arbeit an sich selber und das meist harmlose Spiel mit guten Vorsätzen schnell einmal ins Bedrohliche kippen kann. Wer nicht mittrainiert, kommt irgendwann nicht mehr mit – der Report erzählt davon, und im Kulturteil geht es unter anderem um die Psychiatrie und ihre Versuche, den Menschen künstlerisch und medikamentös zu «bessern».
Am Ende wird sich eine Gesellschaft, die den imperfekten Menschen nicht mehr akzeptiert, genetisch einen neuen, perfekten schaffen. Das ist vorderhand noch, zum Glück, bloss eine Horrorvision – bildnerisch haben die Saiten-Grafiker aber schonmal ins Volle gegriffen. Die Bildstrecke zeigt Maria, 32, im Original und nach dem Facelifting per Photoshop – urteilen Sie selber, wie das vorläufig nur digitale Korrektur-Abenteuer ausgeht.
In diesem Sinn: Auf ein gutes Jahr 2015! Und wenn es besser wird: umso besser.
Peter Surber
DER INHALT:
Reaktionen
Positionen
Blickwinkel von Katalin Déer
Redeplatz mit Niklaus Reichle
Einspruch von Myshelle Baeriswyl
Stadtpunkt von Dani Fels
Medienrevolution I und II
Korrigieren
Wortzement.
Gendersprachliche Correctness ist so nötig wie sperrig. Was tun?
von Corinne Riedener
Wahr oder falsch.
Bericht von einem, der ein Lehrerleben lang Matheklausuren korrigiert hat.
von Heinz Surber
Arbeit am Text.
Das schwierig schöne Schreiben – ein Werkstattbericht.
von Laura Vogt
Wissen wir genug?
Die Geschichtsschreibung über Rassenwahn in der Ostschweiz braucht Korrekturen.
von Richard Butz
Wir Selbstoptimierer.
Es gibt das Recht, schlauer zu werden, aber auch den Zwang zur Selbstkorrektur.
Ein Gespräch mit Rolf Bossart. von Peter Surber
Grafik zum Titelthema:
Maria Guță, Ladina Bischof, Tudor Guță, KasperFlorio
Perspektiven
RapperswilJona
Schaffhausen
Vorarlberg
Thurgau
Stimmrecht von Leyla Kanyare
Flaschenpost
Mit Roman Signer in China.
von Corinne Schatz
Report
«Hey, ich bin gsund, huere siech»
Eine Foto-Reportage über Menschen auf der Gasse.
von Oliver Baer
Kultur
Ausstellung: Im Kopf auch nicht immer ganz Rein.
Neu entdeckte Kunstwerke aus der psychiatrischen Klinik Münsterlingen.
von Wolfgang Steiger
Kunst: Marlies Pekareks Buch Time Shifts, Pattern Stay the Same.
von Christina Genova
Tanz: Gisa Franks Wildwechsel mit Tanz und Musik.
von Bettina Kugler
Theater: Das Theater St.Gallen inszeniert den Schweizer Bestseller zur Finanzkrise.
von Peter Surber
Film: Satirisch, dadaistisch, chaotisch: Lara Stoll lanciert ihre Sendung «Bild mit Ton» neu.
von Luca Ghiselli
Musik: Das Doppelalbum Lyrical Psycho II vereint wütenden Rap und düsteren Dub.
von Corinne Riedener
Literatur: Adrian Riklins Erzählung über den glühenden Jahrhundertsommer in Rom.
von Peter Surber
Weiss auf schwarz
Abgesang
Kellers Geschichten
Bureau Elmiger
Charles Pfahlbauer jr. feiert Comeback
Boulevard