«Ich habe eine Stunde zur Ewigkeit gemacht»
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Misanthropisch, zurückgezogen, verbittert, von sicht- und unsichtbaren Mauern umgeben. Alleine mit ihren Katzen. So ist die Schriftstellerin Patricia Highsmith öffentlich in Erinnerung. Doch das ist nur eine Seite. Die andere ist: begehrlich, schwärmerisch, voller Leidenschaft und Hingabe, aber auch fragil und verletzlich. Highsmith hatte ein bewegtes Liebesleben – und schrieb auch darüber, füllte mit ihren Gefühlen unzählige Notiz- und Tagebücher. Gefunden wurden sie erst nach ihrem Tod 1995, in einem Wäscheschrank in ihrem Haus im Tessin.
Der allererste Eintrag: «Hier ist mein Tagebuch, das den Leib enthält. Das schmerzlichste Gefühl ist das deiner eigenen Schwäche.»
Was will ein Mensch, der fast sein Leben lang Tagebuch führt, sein Innerstes auseinandernimmt und jeden Abend wieder in der Schublade verschliesst? Sich sortieren? Mit seinen widersprüchlichen und ausufernden Gefühlen klarkommen? Schlicht eine Chronik führen? Oder hat dieser Mensch die Hoffnung, dass seine Gedanken, Krämpfe und Einsichten eines Tages gefunden werden und so das Bild, das andere von ihm oder ihr haben, vervollständigen, ja geraderücken? Oder geht es am Ende um beides, alles?
Niedergeschriebene Ambivalenz
Welche Intentionen Highsmith hatte, lässt sich nicht mehr klären. Mit dem Tod endet die Verfügnis über das eigene Leben. Ob sie es wollte oder nicht: Ihr Innerstes liegt nun brach vor uns, weit ausgefaltet und wiederum verpackt als Dokumentarfilm – und es rüttelt am Bild. Die Schweizer Regisseurin Eva Vitija hat sich reingewühlt in Highsmiths unveröffentlichte Schriften, die im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern liegen. Sechs Jahre und unzählige Lese-, Recherche- und Interviewstunden hat sie in ihren Film Loving Highsmith gesteckt, der im Januar an den Solothurner Filmtagen Premiere gefeiert hat.
Aus rein voyeuristischer Perspektive muss man sagen: Danke dafür. Selbst wenn man sich beim Schauen teils ein wenig übergriffig fühlt, sind diese 83 Minuten eine Wohltat. Weil sie das Bild von Highsmith, die vielfach nur als zwar griesgrämige, aber brillante «Thriller-Autorin» wahrgenommen wurde, umkrempeln. Weil Loving Highsmith eine leidenschaftliche Frau voller Zerwürfnisse zeigt, die ebenso freizügig wie verkappt mit ihrer Homosexualität und ihrer Identität umgegangen ist. Und weil diese Ambivalenz so verdammt gut in die heutige Zeit, in die polarisierte Gesellschaft passt.
Die ersten Jahre verbrachte Highsmith im konservativen Fort Worth, Texas, wo Rodeo und Rassentrennung an der Tagesordnung waren. Ihre Mutter, eine Grafikerin, liess sich noch während der Schwangerschaft scheiden und zog bald nach der Geburt nach New York, wo sie wieder heiratete. Erst als Patricia sechs war, holte sie sie nach. Das Verhältnis war von Anfang an schwierig. Marijane Meaker, die offiziell letzte Partnerin Highsmiths, bezeichnet die Mutter im Film einmal als «Bitch» – was noch nett formuliert ist in Anbetracht dessen, was man von ihr erfährt.
Loving Highsmith: im März im Kinok St.Gallen und im Kino Cameo Winterthur
Kinok-Premiere mit Regisseurin Eva Vitija: 10. März, 20 Uhr
Cameo-Premiere mit Regisseurin Eva Vitija: 11. März, 20.15 Uhr
Das Kinok zeigt im März eine Reihe von Highsmith-Verfilmungen: Strangers on a Train, Plein Soleil, Der amerikanische Freund, Ediths Tagebuch, Le cri du Hibou, The Talented Mr. Ripley, The Two Faces Of January sowie Carol.
Eva Vitija arbeitet diese traumatischen Episoden feinfühlig und ohne allzu fest zu psychologisieren auf. Und sie zeigt uns auch die lebensfreudige, ausufernde Highsmith. So begleiten wir sie – «Pat» – in jungen Jahren durch die New Yorker und Berliner Gay-Bars, wo sie sich relativ offen lesbisch gezeigt und entsprechend ausgetobt hat, «ihr eigenes Frauenfestival» feierte und auch gerne mal als «kesser Vater» unterwegs war. Es sind schöne, amüsante Einblicke in die lesbische Subkultur der 50er-Jahre, zum Leben erweckt dank der Gespräche mit Highsmiths ehemaligen Weggefährtinnen Monique Buffet und Tabea Blumenschein.
Lesbisches Happyend? Nur im Roman.
Mit dieser Offenheit war es jedoch nicht weit her, Highsmith führte später nur noch ein verstecktes Liebesleben, auch wenn dieses durchaus reich war. «Wenn meine Erfahrung jetzt abrupt gekappt würde, sexuell, emotional, weiss ich, dass ich genug hatte. Ich habe eine Stunde zur Ewigkeit gemacht», schreibt sie. Es sind Sätze wie diese, die sich im Lauf des Films einbrennen und Highsmith so nahbar machen. Auch im Wissen, dass sie vor allem eines wollte: kein Versteckspiel wegen ihrer Homosexualität, keine Schuldgefühle.
«Schreiben ist natürlich ein Ersatz für das Leben, das ich nicht leben kann, das mir verwehrt ist», heisst es in einem ihrer Tagebücher. Der deutlichste Ausdruck davon ist vermutlich Carol – The Price Of Salt, eine lesbische Liebesgeschichte, die sie 1953 unter dem Pseudonym Claire Morgan veröffentlicht hat. Erst 1990 hat sie sich zu diesem Werk bekannt. Es blieb ihr einziger «Mädels-Roman».
Dass Highsmith die erste Literatin war, die mit Carol eine lesbische Liebesgeschichte mit Happyend verfasst hat, wie es gerne transportiert wird, stimmt so allerdings nicht ganz. Diese Ehre gebührt, wenn schon, Annemarie Schwarzenbach. In Eine Frau zu sehen (1930) sind die Ich-Erzählerin und ihre Protagonistin Ena Bernstein am Ende in St.Moritz vereint. Um aber fair zu bleiben: Schwarzenbachs berührender Coming-Out-Schatz, den sie mit gerade mal 21 Jahren schrieb, lag lange nur als «Fragment ohne Titel» im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern und wurde erst 2007 von ihrem Grossneffen Alexis Schwarzenbach gehoben.