Die Armen werden immer ärmer und die Reichen werden immer reicher, aber sonst wird im Allgemeinen alles immer gleicher. Mein neues Bücherregal zum Beispiel, ich habe es von Ikea und die Fächer sind alle gleich gross und gleich weiss und die meisten haben nicht mal einen Einsatz oder eine Tür. Ich bin umgezogen und habe dringend eines benötigt und gedacht, dass ich mich dann schon noch daran gewöhne. Ein Kallax ist es, what else, der Name klingt verfänglich, nach einem ruhigen Fischerdorf mit hundert Menschen irgendwo am Wasser.
Aber mein Bücherregal ist das Gegenteil davon. Ich habe ein Abteil für Bücher über Traumafolgestörungen, eines für Gender Theory und Transfeminismus, eines für sonstige Theorie, eines für trans Romane und eines für die restliche Prosa. Und zwischen all den meistens strengen Büchern steht hie und da ein vereinzelter Fantasyroman, ein Spielzeug fürs innere Kind, ein Plastikdinosaurier auf dem geteerten Platz der Traumatheorie.
Wie illusorisch es war, solch klare Kategorien zu schaffen, wie nutzlos die Anhaltspunkte sind, ist meinem inneren Erwachsenen-Ich aufgefallen, als ich den zehnten autofiktionalen trans Roman gelesen habe. Kaum eine Coming-of-Gender-Geschichte lässt sich ohne Trauma erzählen. Auch meine nicht, meine literarischen Texte sind durchzogen von Queer Theory und Traumata und meine journalistischen Texte von meinen eigenen Erfahrungen. Und wenn ich versuche, das eine vom anderen zu trennen, dann erzähle ich meistens nur die halbe Geschichte und komme nicht bis zu einem Happy End.
Also habe ich beschlossen, all meine Bücher nach Farben zu sortieren, in der Reihenfolge des Regenbogens. Weil ich mich dann hoffentlich nicht mehr in den einzelnen Kategorien verliere, weil so vielleicht all die Bücher zu einem kohärenteren Ganzen werden und, so wie aussen, so auch innen, vielleicht auch ich zu einem kohärenteren Ganzen werde. Und auch, weil ich lesbisch und trans und queer bin und we do fuck with rainbows.
Aus Distanz sieht mein Bücherregal jetzt total spektakulär aus, aber in der Nacht, im schummrigen Licht, in der verschobenen Wahrnehmung eines Breakdowns, kann ich doch nichts voneinander unterscheiden, und wenn ich meine Notfallbücher suche, die für Panikattacken oder Meltdowns, dann finde ich sie nicht mehr und ich hab keine Hilfe, keinen Kapitän, der mich leiten würde.
Aber weil der Regenbogen so schön aussieht und weil draussen der Regenbogenkapitalismus zerbricht, bleibt der Regenbogen bei mir drinnen erst recht. Ein Überleben aus Trotz, eine fast schon internalisierte Strategie von trans Menschen, von Queers und also auch von meinem Regenbogen, vielleicht ohne Goldtopf am Ende, aber dafür mit einem liberalen Leprechaun-Arschloch oder so, dem wir ins Gesicht spucken können: We made it, und wenn auch nur aus reinem Trotz.
Also versuche ich, ruhig zu bleiben, Krisen zu vermeiden, jetzt noch mehr als zuvor, mache keine grossen Pläne mehr, bleibe so oft, wie es geht, zuhause. Und wenn ich mich in mein Bett lege, dann höre ich durch die Abflussrohre meine Nachbarn und durch die Stromkabel in der Decke ebenfalls und manchmal erschrecke ich, neben meinem Regenbogenregal, in der Regenbogensiedlung.
Mia Nägeli, 1991, arbeitet nach einer Journalismusausbildung und ein paar Jahren bei verschiedenen Medien heute in der Musikbranche in der Kommunikation, als Tontechnikerin und als Musikerin. Seit Herbst 2024 studiert sie Kunst in Wien.