, 24. Juni 2024
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I go hard in my Ed Hardy

Wie die Marke Ed Hardy für Saiten-Kolumnistin Mia Nägeli zum Symbol eines sozialen und kulturellen Aufstiegs wurde – und so auch zum Symbol der Heilung.

Internetmusik wurde am 31. August 2011 von einem 15-jährigen Buben vor dem MoMA PS1 in New York erfunden. Der Kurator des Events sagte später zu CBS News, bis zum Booking habe er nicht gewusst, ob der auftretende Künstler wirklich ein Teenager sei, so wie er sich auf Twitter präsentiert habe. Gebucht habe er ihn trotzdem. Also stand der Teen-Rapper Glass Popcorn gemeinsam mit dem Pornostar Spicee Cajun auf einer winzigen Bühne vor einer der wichtigsten Institutionen für zeitgenössische Kunst. Er trug eine Ed-Hardy-Brille und einen Fubu-Trainer und rappte drei Minuten lang monoton ins Mikrofon: «I go hard in my Ed Hardy».

Zu dem Zeitpunkt galt die Marke bereits als uncool, weil auf Tumblr ein Foto eines langweiligen Reality-TV-Promis in einem Ed-Hardy-Shirt kursierte. Ich war damals auch uncool und so landeten Ed Hardy und ich zur selben Zeit am selben Ort: in Thurgauer Rockerbars, die «Ölfleck» oder «Musicbar» hiessen. Da war die Musik immer ein bisschen zu laut, um auf sich selbst zu hören, also soff ich und hörte mir Heartbreak-Geschichten von dreimal so alten Barkeeperinnen an, die meistens Ed-Hardy-Shirts trugen, auf denen in glitzernden Fake-Diamanten «Love kills slowly» stand.

Jahre später trugen schwedische Kids rund um Yung Lean den Cloudrap von Glass Popcorn in den Mainstream, wo er bis heute genauso aussieht wie 2011 vor dem MoMA PS1. Ich fand meine neue Nische. Statt in Kneipen hing ich nun in Ateliers von Kunststudent:innen rum, statt Guns N’ Roses lief Bladee und statt auf Schnaps zielte meine Suchtkrankheit auf Pillen. Und all das, was ich in den Rockerkneipen bereits geliebt hatte, fand ich hier wieder: eine Punk- und DIY-Attitüde, ein gemeinschaftliches Gefühl von Gegenkultur – und Ed Hardy.

Statt Barkeeperinnen der Thurgauer Provinz trug nun also die globale Pop-Avantgarde Ed Hardy. Ein inspirierender Aufstieg, besonders für depressive und gemobbte Kids aus der Provinz, wie ich eins war. Die Marke wurde für mich zum Symbol eines sozialen und kulturellen Aufstiegs – und so auch zum Symbol der Heilung.

Jahre später kriegte ich meine Suchtkrankheit in den Griff, und als ich das erste Mal haarscharf an einem Rückfall vorbeischlitterte, kaufte ich mir ein Crop Top von Ed Hardy. Nach einer schweren suizidalen Episode kam ein Strickpullover dazu. Während ich den Text schreibe, hangle ich mich aus einer obsessiven Borderline-Episode heraus. Und als Belohnung fürs Überleben, als Beweis dafür, dass ich es aus dem Provinzkneipen-Alkoholismus herausgeschafft habe, werde ich die Hälfte dieses Kolumnenhonorars für einen Fake-Leder-Minirock von Ed Hardy verballern. I go hard in my Ed Hardy – vielleicht nicht bis in die Pop-Avantgarde, aber immerhin bis zum morgigen Tag. Und das muss reichen.

Mia Nägeli, 1991, arbeitet nach einer Journalismusausbildung und ein paar Jahren bei verschiedenen Medien heute in der Musikbranche in der Kommunikation, als Tontechnikerin und als Musikerin.

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