«I enjoy inventing things out of fun. After all, life is a game, not a career»
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Brion Gysin war ein Mann, der gerne Sachen aus Spass erfand. Künstlerischer Tausendsassa, Kollaborateur von William S. Burroughs, wichtige Figur der (Pop-) Kultur des 20. Jahrhunderts, heute weitgehend vergessen. Das Palace St.Gallen widmet dem schillernden Visionär einen Abend ihrer «Revisited»-Reihe.
Ein Gastbeitrag von Pablo Haller
Bei einem Bericht über die William S. Burroughs-Ausstellung im ZKM Karlsruhe ging ein TTT-Beitrag so weit, dass behauptet wurde, Burroughs hätte die Dreamachine – das einzige Kunstwerk, das man mit geschlossenen Augen betrachtet – erfunden, nicht Gysin.
Ein typisches Beispiel dafür, wie mit Gysin verfahren wird: Der Mann am Rande, der immensen Einfluss auf die (Pop-) Kultur des 20. Jahrhunderts hatte, wird gern übergangen. Er, der Multimediakünstler, über den Burroughs einst sagte: «The only man I have ever respected». Gysin, dieses unersättlich experimentierfreudige Fluidum, das bereits bei den Surrealisten zur Stelle war und später Künstler wie David Bowie, Laurie Anderson und Genesis P-Orridge nachhaltig prägte. Gysin, der kalligraphiebesessene Maler, der Wortpermutator, der Erfinder und Tüftler.
Brion Gysin wurde 1916 in England als Sohn eines Schweizer Vaters und einer kanadischen Mutter geboren. Der Vater fiel im Ersten Weltkrieg, die Mutter zog mit dem Jungen zu Verwandten in die USA. Als Student zog es ihn zurück nach Europa, an die Pariser Sorbonne Universität. Dort kam er in Kontakt den Surrealisten und erhielt 1935 sogar die Einladung, sich an einer Ausstellung zu beteiligen. Seine Bilder wurden jedoch auf Geheiss André Bretons (a.k.a. der Papst) wieder entfernt.
Nach einer Episode Marokko, wo er mit dem Maler Hamri das Restaurant «1001 Nights» geführt hatte und sich die Master Musicians of Jajouka als Hausband holte, zog es Gysin Ende der 1950er Jahre wieder nach Paris, diesmal ins so genannte «Beat Hotel» an der Rue-git-le-Coeur 9.
Während Gysin da eines Tages ein Bild zurechtschneiden wollte, erwischte er versehentlich auch die Zeitungen darunter. Die Artikel verschoben sich zu einem neuen Artikel, der lautete: «Lardeo/Texas (UPI) Präsident Eisenhower, der seinen Genesungsaufenthalt in Camp David unterbrochen hat, ist in der vergangenen Nacht von Einheiten der 43. Luftlandedivision nahe der mexikanischen Grenze in einem völlig verwahrlosten Zustand aufgegriffen worden. Er wird beschuldigt, die Prostituierte Gloria Baines vergewaltigt und anschliessend auf bestialische Weise ermordet zu haben. Wie der Präsident gegenüber Reportern erklärte, sei ihm in seiner ‹ganzen Karriere als professioneller Transvestit noch nie eine derartige Sauerei vorgekommen.› Er beabsichtige, seine Amtsgeschäfte in wenigen Tagen wieder aufzunehmen.» Der Text verursachte bei ihm einen derartigen Lachkrampf, dass sein Nachbar, William S. Burroughs rüberkam, um nachzuschauen, ob er seinen Verstand nun endgültig verloren hatte. Dem war nicht so. Burroughs adaptierte die Schnittechnik – bekannt geworden als Cut-Up-Methode – für grosse Teile seines Werks und feilte dazu eine umfassende Theorie des Zufalls aus.
Das wohl versierteste Werk in deutscher Sprache zur Cut-up-Methode ist Jürgen Ploogs «Strassen des Zufalls». Der Übersetzer und Autor Carl Weissner meinte dazu: «Mit Burroughs hat sich seit der deutschen Erstausgabe von Naked Lunch (1962) keiner so kontinuierlich damit beschäftigt wie Jürgen Ploog, und kein anderer deutschsprachiger Autor hat sich die Sehweise und Schreibmethode des damals noch verfemten Amerikaners so entschlossen zu eigen gemacht.»
Im Verlauf früher Cut-up Experimente von Burroughs und Gysin (zusammen mit Gregory Corso und Sinclair Beiles), verbunden mit ersten Publikationen, kamen Vorwürfe auf, das Zerschneiden von Fremdtexten sei Diebstahl an geistigem Eigentum. Wach, clever und selbstbewusst reagierte Gysin auf solche Voten: «Writers don’t own their words. Since when do words belong to anybody? ‹Your very own words,› indeed! And who are you?». Was zeigt, dass Diskussionen über die «Eigenleistung des Autors» wie vor einigen Jahren bei Helene Hegemanns «Axolotl Roadkill» bereits ein alter Zopf sind.
In seinen späteren Jahren arbeitete er mit Musikern wie dem Jazzsaxophonisten Steve Lacy oder dem französischen Musiker Ramuntcho Matta, schrieb ein Haschisch-Rezept für Alice B. Toklas, Gertrude Steins Partnerin, und beendete seinen Roman «The Last Museum». 1986 starb Gysin an Lungenkrebs. In einem Nachruf der «New York Times» heisst es über ihn, er sei ein Mann gewesen, «der nur so von Ideen sprühte, die gewöhnliche Künstler ein Leben lang ausgeschlachtet hätten, grosse Ideenklumpen, die er so beiläufig versprühte wie Lokomotiven Funken.»
Palace St.Gallen. Mittwoch, 24. Oktober, 20.30 Uhr
Lesung aus und zu Brion Gysins Werk
Mit: DJ Augenwasser, Florian Vetsch, Pablo Haller
Eintritt frei
Brion Gysin-Fanpage
Zwei Texte von Brion Gysin als PDF – Einer über die Dreamachine und ein Auszug aus seinem Roman «Der Prozess»