«Huiiiiiiiiiiiiiiiii!»
Ich habe mich schon immer dafür interessiert, was in den Köpfen meiner Mitmenschen so vor sich geht. Wahrscheinlich wäre es aber bei den meisten von uns im Alltag nicht mal annähernd spannend, was wir denken. Denn wie oft habe ich mich schon dabei erwischt, wie ich einfach nur dachte: «Bompodompompom. POM! Bompodompompom. POM! Bompodom pompom. POM!» Und das minutenlang.
Viel spannender wäre es zu wissen, was Menschen in Extremsituationen denken. Was denkt zum Beispiel Simon Ammann direkt vor dem Absprung? Vielleicht so was wie: «Ist es die Olympiade? Nein? Dann ist es ja egal!» Oder was denkt Roger Schawinski vor einem Interview? Wahrscheinlich: «Habe ich mich genug vorbereitet? Weiss ich genug über mich?»
Das ist natürlich alles nur geraten, denn ich kenne mich mit Extremsituationen kaum aus. Also naja… ich war schon mal am Samstag in Konstanz einkaufen. Und ich trete regelmässig vor Menschen auf, was anscheinend die Phobie überhaupt ist: Public Speaking. Ich habe mal in einer Zeitung gelesen: «In einer Studie stellte sich heraus, dass von Lampenfieber betroffene Menschen perfektionistische Persönlichkeiten mit starkem Ehrgeiz und extremer Leistungsorientierung sind.» Seit ich das weiss, habe ich auch Lampenfieber.
Und jedes Mal frage ich mich: Warum? Warum haben wir Menschen Lampenfieber? Schliesslich gilt es nicht, einen Säbelzahntiger zu bezwingen oder noch schlimmer: im Restaurant das Essen zurückzuschicken. Nein, es geht nur darum, Worte in einer bestimmten Reihenfolge von sich zu geben, während andere Menschen dabei zuhören. Und das machen wir doch alle tagtäglich!
Blöderweise helfen die meisten Tipps gegen Lampenfieber kein bisschen. Wie zum Beispiel das berühmte «Fake it till you make it!» Aber was hilft das bei Public Speaking? Wie soll man «Ruhe» glaubhaft vorspielen, wenn dir der eigene Körper mit Schweissausbrüchen in den Rücken fällt? Ich habe mal im Geschichtsunterricht so sehr gezittert, dass ich auf dem Hellraumprojektor auf drei Lösungen gleichzeitig gezeigt habe. Und ich wünschte, ich hätte ein Pokerface, aber nein, ich habe nur ein Memoryface. Damit meine ich: Selbst wenn man mich schon mal gesehen hat, erinnert man sich nicht mehr wo.
Ein Artikel der «Salzburger Nachrichten» erwähnte gegen Lampenfieber Glücksbringer. Ein kleines Plüschtier oder halt klassisch einen Hasenfuss. Obwohl ich mich schon frage, warum ein Hasenfuss überhaupt als Glücksbringer gilt? Ich meine, dem Hasen hat es nicht geholfen… und der hatte vier davon! Aber wenn ich ständig vom Lampenfieber gebeutelt werde, warum tue ich mir dann das Auftreten immer wieder an? Ganz einfach: Weil ich nur vor der Show nervös bin. Während dem Auftritt denke ich wahrscheinlich das Gleiche, wie Simon Ammann in der Luft.
Und zwar: «Huiiiiiiiiiiiiiiiii!»
Jan Rutishauser, 1987 im Thurgau geboren, schreibt seit April hauptberuflich Kolumnen für Saiten und verbringt seine Freizeit damit, als Kabarettist aufzutreten, um sich seinen Hauptberuf quer zu finanzieren.