Himmelwärts mit Stampfbeton
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Durch das Kornfeld und die Baumkronen streicht der Wind. Lange ruhige Einstellung – dann wendet sich die Kamera zur Mitte des Felds. Ein Monolith taucht auf, ein fensterloses turmartiges Gebilde, grau im gelben Feld, streng und einsam. Es ist die Bruder-Klaus-Feldkapelle im deutschen Wachendorf, 2005 bis 2007 gebaut von Peter Zumthor, ein Pilgerort nicht nur für Gläubige, sondern auch für Architekturtouristen.
Die Kamera begleitet das Stifterpaar Scheidtweiler auf seinem täglichen Gang zur Kapelle, führt auf dem Spiralweg ins Innere, geht ganz nah heran an den groben Stampfbeton, die Glaspfropfen in den Wänden und die Bruder-Klaus-Bronze von Hans Josephsohn, und führt dann hoch zur offenen Decke und hinaus in den Himmel.
Ramòn Giger, der in Ausserrhoden aufgewachsene Filmemacher (Karma Shadub, Eine ruhige Jacke) und Kameramann, geht mit Langsamkeit, manchmal in Zeitlupe, und mit genauem Blick für Licht- und Materialdetails ans Werk.
Alvaro Sizas Lichtfestung
Kirchen, sagt Regisseur Christoph Schaub einleitend in seinem persönlichen Kommentar, hätten ihn seit jeher fasziniert, obwohl er als Agnostiker mit der Kirche als Institution nichts zu tun habe. Drum, nach einer ganzen Reihe von Architekturfilmen, unter anderem über Santiago Calatrava oder Peter Zumthor, jetzt seine Suche nach der Architektur der Unendlichkeit.
Zu Wort und ins Bild kommen neben Peter Zumthor (mit seiner Kapelle und dem Museum Kolumba in Köln) Peter Märkli, Alvaro Siza Viero, der Künstler James Turrell und als einzige Frau die spanische Künstlerin Cristina Iglesias. All ihren Bauten und Kunstinstallationen gemeinsam ist eine vehemente, meist radikal reduzierte Formensprache und eine meditative Haltung.
Das grandiose Beispiel dafür ist Alvaro Sizas Kirche Santa Maria im portugiesischen Marco de Canaveses. Aussen eine festungsartige Skulptur, innen eine Sturzflut von Weiss, in der sich die Konturen des Raums auflösen. Als sich am Ende der Messe das himmelhohe Portal öffnet, will der Strom der Gottesdienstbesucher nicht mehr enden. Alvaro Siza, 85-jährig, hält es dabei mit der Religion eher pragmatisch. Angst vor dem Tod zu haben, nütze nichts und schade dem Leben, sagt er, zündet sich noch eine Zigarette an und übermalt die Todeswarnungen auf den Schachteln mit fröhlichen Porträts.
Keine Kirche, auch kein Museum ist Peter Märklis und Stefan Bellwalders Bau in Giornico TI für die Skulpturen von Hans Josephsohn. Märkli erzählt und die Kamera zeigt, wie die romanischen Kapellen in der westfranzösischen Provinz Saintonge seinen Sinn für die Freiheit der Form und für «unreine», mit dem Lauf der Zeit sich verändernde Gebäude geschult hätten. In der Leventina zeigt der Beton von Märklis 1992 gebauter Kunst-«Kapelle» aussen seinerseits Zeichen der Verwitterung – im Innern nehmen die rohen Wände den radikalen Ernst der Josephsohn-Skulpturen kongenial auf.
Die Rundreise führt weiter zu den mächtigen Nachkriegs- Kirchen von Rudolf Schwarz in Essen und Düren, ins Kloster Mariastein bei Solothurn oder in die gotischen Kathedralen von Metz und Köln. Woher die gewählten Bauten ihre spirituelle Ausstrahlung haben, was das «Handwerk» des Bauens für Zwecke der Kontemplation und Meditation ausmacht, bleibt im Film allerdings vage. Und mit fortschreitender Dauer treiben Filmemacher Christoph Schaub Fragen der Unendlichkeit und des Sterbens immer stärker um als die Architektur selber.
Abheben ins Universum
Einen schönen Satz dazu gebe es vom Philosophen Nikolaus von Kues aus dem 15. Jahrhundert, sagt Architekt Peter Märkli. Dieser habe das Universum einmal so definiert: Der Mittelpunkt sei überall – und die Grenzen nirgends. Schaub erweitert entsprechend die Grenzen, er besucht einen Waldfriedhof in Stockholm oder lässt den Künstler James Turrell über das Universum sprechen, wie es sich in seinen Bauten spiegelt, dem Roden Crater in Arizona oder einem seiner Skyspaces, dem Piz Uter in Zuoz von 2005.
Filmpremiere in Anwesenheit von Regisseur Christoph Schaub: 5. Februar, 20 Uhr, Kinok St.Gallen
In die entgegengesetzte Richtung forscht Cristina Iglesias: nicht himmelwärts, sondern unterirdisch, mit Unterwasserwelten (Submerged Rooms in Mexiko) und Brunnenanlagen (Tres Aguas in Toledo). Die Aufnahmen ihrer Werke sind betörend, der Zusammenhang erschliesst sich eher assoziativ.
Andere Bildspuren – ins Spiel versunkene Kinder, die Halle des Hauptbahnhofs Zürich, Flughafenszenarien oder ein Konzert – wirken dagegen willkürlich, ausser man will ihnen entnehmen, dass unter «universalen» Gesichtspunkten alles mit allem zusammenhängt.
Der schönste Satz im Film kommt vom Bauern-Ehepaar Scheidtweiler. Am Montag sei ihre viel besuchte Kapelle im einsamen Feld von Wachendorf in der Eifel jeweils geschlossen. Denn auch die Kapelle brauche einmal Ruhe.
Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.