«Hier können wir alles machen!»

Mit seinem Projekt «Zeltainer» mischte Martin Sailer vor über 20 Jahren ein kleines Dorf im Toggenburg auf. Nun bricht er sein Zelt ab und baut mit einem neugegründeten Verein die festinstallierte Zukunft des Zeltainers in Wildhaus.

Mar­tin Sai­ler hat­te ein­fach Lust. Lust, Gast­ge­ber zu sein, Lust auf Kul­tur und Lust, mit ei­nem viel­sei­ti­gen Büh­nen­pro­gramm an­de­re glück­lich zu ma­chen. Dar­um kauf­te er sich vor über 20 Jah­ren das Zelt, das fort­hin als «Zel­tai­ner» ne­ben der Tal­sta­ti­on der Ch­ä­ser­rugg-Bahn in Un­ter­was­ser Künst­ler:in­nen aus al­len Spar­ten ei­ne Büh­ne bot. Da­mit be­geis­ter­te er wäh­rend 21 Sai­sons zahl­rei­che Be­su­cher:in­nen und sein Zelt wur­de zu ei­nem fes­ten Be­stand­teil der Ost­schwei­zer Kul­tur­sze­ne.

«Die Leu­te kom­men, weil al­les sehr per­sön­lich ist, ich bin im­mer da», sagt Mar­tin Sai­ler. «Man kann mir ein­fach ei­ne Nach­richt schrei­ben, ‹häsch no Platz?›, und vor­bei­bei­kom­men.» Nun soll das al­te Zelt wei­chen, es wird ver­kauft und durch ei­nen dem Zelt nach­emp­fun­de­nen Neu­bau aus Holz ein paar hun­dert Me­ter wei­ter öst­lich, in Wild­haus, er­setzt.

Martin Sailer. (Bild: Ladina Bischof)

Die Grün­de für den Neu­bau sind vor al­lem kli­ma­ti­scher Na­tur: Ge­mäss Sai­ler ist die Sai­son sehr kurz – der Win­ter ziem­lich kalt für Aus­sen­toi­let­ten, der Schnee zu schwer für das Zelt­dach, der Som­mer zu heiss für lan­ges Sit­zen im Zelt­in­nern – und der da­mit be­ding­te Auf- und Ab­bau des Zelts mit­samt vier Con­tai­nern ein enor­mer Auf­wand. Im Neu­bau kön­ne er wäh­rend zwölf Mo­na­ten Ver­an­stal­tun­gen durch­füh­ren und nicht bloss wäh­rend sechs. Der 53-Jäh­ri­ge freut sich auf den Neu­bau, die Un­ab­hän­gig­keit vom Wet­ter, mehr Platz, De­si­gner-Toi­let­ten und ei­ne Te­le­s­kop­tri­bü­ne: «Hier kön­nen wir al­les ma­chen!»

Kul­tur ist Wert­schöp­fung

Als Sai­ler vor zwei Jahr­zehn­ten die Klein­kunst nach Un­ter­was­ser hol­te, ha­be man ihn aus­ge­lacht – ver­mut­lich we­gen sei­ner lan­gen Haa­re, sagt er, si­cher aber auch we­gen sei­ner Träu­me. Mar­tin Sai­ler war ein Frem­der im Tog­gen­burg und ein Frem­der in der Klein­kunst­sze­ne. Doch die Kul­tur­sze­ne auf dem Land zu eta­blie­ren, sei kein gros­ses Pro­blem ge­we­sen. Viel­leicht ge­ra­de, weil er den Exo­ten­bo­nus ge­habt ha­be, mut­masst Sai­ler.

Trotz­dem muss­te er das Pro­jekt wäh­rend der ers­ten drei Sai­sons kom­plett selbst fi­nan­zie­ren, denn För­der­bei­trä­ge wur­den da­mals vor al­lem auf kom­mu­na­ler Ebe­ne und eher an eta­blier­te In­sti­tu­tio­nen ver­ge­ben – wenn man al­so ei­nen Na­men hat­te. Mar­tin Sai­ler hat­te zwar lan­ge Haa­re und gros­se Träu­me, aber noch kei­nen Na­men. Heu­te ist es im­mer noch nicht leicht, an re­gel­mäs­si­ge För­der­gel­der zu kom­men, ob­schon die Kul­tur­för­de­rung viel­fäl­ti­ger und nach­hal­ti­ger or­ga­ni­siert ist, auch über neue Platt­for­men zur Un­ter­stüt­zung Kul­tur­schaf­fen­der. Sai­lers Zelt hin­ge­gen ist mitt­ler­wei­le zu 85 Pro­zent ei­gen­fi­nan­ziert. Und er hat sich in­zwi­schen ei­nen Na­men ge­macht. So sei 2023 sein bes­tes Ge­schäfts­jahr ge­we­sen – «ever!» –, er­zählt Sai­ler. 2024 hin­ge­gen ha­be das Ge­schäft un­ter der Bau­stel­le der neu­en Tal­sta­ti­on der Berg­bahn in Un­ter­was­ser ge­lit­ten. Hier­für muss­te er sein Zelt Ab­bau­en und im Stein­bruch Star­ken­bach auf­bau­en.

Über die Jah­re hat der Mann, der seit 2016 für die SP im St.Gal­ler Kan­tons­rat sitzt, die Kul­tur­för­de­rung mit­ge­formt, hat bei­spiels­wei­se die IG Kul­tur des Kan­tons­rats, die er prä­si­diert, ge­grün­det und sich für re­gio­na­le För­der­platt­for­men ein­ge­setzt. «Kul­tur kos­tet, aber die Re­gio­nen pro­fi­tie­ren von den Ver­an­stal­tun­gen. Die­se Wert­schöp­fung ver­su­che ich im­mer wie­der auf­zu­zei­gen.» Klar, wer nach Un­ter­was­ser geht, isst viel­leicht in der na­he­ge­le­ge­nen Beiz, Künst­ler:in­nen über­nach­ten in Ho­tels und für den rei­bungs­lo­sen Ab­lauf ei­nes Events sind lo­ka­le Tech­ni­ker:in­nen und Lo­gis­tik­un­ter­neh­men nö­tig.

Pa­tent Ochs­ner in Wild­haus

Auch für den Neu­start in Wild­haus braucht es Geld. Die­ses soll der kürz­lich ge­grün­de­te Ver­ein «Kul­tur- und Event­haus Zel­tai­ner» be­schaf­fen. 1,5 Mil­lio­nen der to­tal 2,5 Mil­lio­nen Fran­ken Bau­kos­ten sind be­reits ge­spro­chen wor­den, be­stä­tigt Sai­ler. Rund 380'000 Fran­ken da­von kom­men aus dem Lot­te­rie­fonds, zu­dem ha­ben sich ver­schie­de­ne Stif­tun­gen, Fir­men, der Ver­ein Süd­kul­tur und die Ge­mein­de Wild­haus-Alt St.Jo­hann am Pro­jekt be­tei­ligt. Ein Crowd­fun­ding mit Start En­de Fe­bru­ar soll wei­te­re 200'000 Fran­ken ein­brin­gen. Der Rest soll mit ei­ner Hy­po­thek fi­nan­ziert wer­den. Künf­tig wird der Ver­ein das Ge­bäu­de an den In­iti­an­ten Sai­ler ver­pach­ten. Ein Teil der lau­fen­den Be­triebs­kos­ten soll letzt­end­lich über die Ver­mie­tung der neu­en Räum­lich­kei­ten be­zahlt wer­den.

Star­ten wird die Sai­son im Neu­bau 2026, so­fern die Bau­ar­bei­ten plan­ge­mäss im Spät­herbst 2025 be­gin­nen. Ne­ben dem ge­wohn­ten Pro­gramm wer­den dort künf­tig mehr Bands auf­tre­ten als bis­her, denn statt bis­her rund 160 Per­so­nen kön­nen im Neu­bau rund 600 Per­so­nen ste­hend Kon­zer­ten lau­schen. Am liebs­ten Pa­tent Ochs­ner, da­von träumt der mitt­ler­wei­le kurz­haa­ri­ge Mar­tin Sai­ler schon ei­ne Wei­le. Bis­her hät­ten sie nicht bei ihm im Zelt ge­spielt, da es schlicht­weg zu we­nig Platz ge­habt ha­be. Die­ses Pro­blem sei ja im Neu­bau ge­löst, sagt Sai­ler, al­ler­dings wür­de für die Ga­ge dann wo­mög­lich doch das Geld feh­len.