Happy Birthday

Im Septemberheft erinnert sich Saiten-Kolumnistin Liliia Matviiv an die Balkonnachmittage mit ihrer besten Freundin und Bon Jovi. Und an ihren Geburtstag, den sie seit dem Krieg in der Ukraine nicht mehr wie früher feiern kann.
Von  Liliia Matviiv
Liliia Matviiv, 1988, stammt aus Lviv in der Ukraine und ist Journalistin, Essayistin und Sozialaktivistin. (Bild: Ueli Steingruber)

Wir sassen auf dem Balkon. Ich und meine beste Freundin, wir waren 17 und wir sprachen über Dinge, über die man nur auf einem Balkon sprechen kann. Aus dem grossen weissen Windows-98-Computer in der Wohnung brüllte Bon Jovi. Und wir hatten Kirschen. Was kann besser sein als Kirschen im Sommer?

Wir sprachen leise, während alle Rock-Hits von der CD im Winamp abgespielt wurden (weiss noch jemand, was das ist?).

Diese Mädchengespräche fanden am Vorabend meines Geburtstags statt. Wir scherzten, dass mein Geburtstag wie ein Festival sei, das einen Monat lang gefeiert wird, bis ich alle Freunde getroffen habe. Und wir trafen uns absichtlich nacheinander: Für ein Picknick, für Kuchen, weil es eben einen Anlass gab. Was für eine geile Tradition das war!

Nun wurde ich 35, ganz allein. Ich kannte kaum jemanden in St. Gallen und es war richtig mies, zu dieser Zeit in einer völlig fremden Umgebung allein zu sein, während alle meine Freunde und Verwandten über die ganze Welt verstreut sind.

Dann erfuhr ich, dass es in der Schweiz allgemein nicht üblich ist, den Geburtstag gross zu feiern. Es gibt spezielle Angebote, um etwas zu unternehmen, man kann sich einen Tag freinehmen, aber es ist nicht wirklich etwas Besonderes. Aber wisst ihr, ich habe gesehen, wie die Augen meiner Schweizer Freund:innen aufleuchteten, als ich mal zu ihrer Geburtstagsfeier Schokolade mitbrachte. Und wie man sich über eine einfache selbst gemalte Karte freute. Es geht um die Wärme.

Seit dem Krieg habe ich so traurige Zeiten durchgemacht wie nie zuvor. Daher habe ich mir dieses Jahr vorgenommen zu feiern. Ich wollte meinen schönsten Mantel anziehen und alles tun, was ich mag. Denn so klingt das Leben. It’s now or never.

Das Leben, das alles überwindet – Schmerz, Verzweiflung, Verluste. Den Berg bezwingt der Gehende. In diesem Jahr hat sich mir etwas Metaphysisches eröffnet: Zum ersten Mal habe ich buchstäblich gespürt, dass sich Menschen freuen, dass es mich gibt. So viele Menschen haben geschrieben, gratuliert, angerufen, von überall her. So einfach es auch scheinen mag, mir wurde klar: Es ist nicht alles umsonst gewesen. Das zählt.

… Dieses Jahr feiert auch Saiten seinen 30. Geburtstag. Ich freue mich, dass ich das Glück habe, Teil von etwas Grossem, richtig Coolem zu sein. Teil einer ganzen Gemeinschaft, einer so kreativen, intellektuellen und freundlichen, die eine so wichtige Arbeit für Jahre und kommende Generationen leistet. Seitdem ich hier schreibe, habe ich tolles Feedback von so vielen verschiedenen Menschen zu diesem Magazin bekommen. Lehrer:innen, Musiker:innen, Student:innen, Ärzt:innen – alle sind so ehrlich begeistert von dem, was das Team des Magazins seit über drei Jahrzehnten leistet. Wie schön, dass es so etwas in St. Gallen gibt.

Lasst uns gemeinsam feiern. Alles Gute zum Geburtstag, Saiten – und alles Gute zum Geburtstag mir! 🙂

 

Liliia Matviiv, 1988, stammt aus Lviv in der Ukraine. Die Journalistin, Essayistin und Sozialaktivistin ist im Frühling 2022 in die Schweiz gekommen und lebt derzeit in St. Gallen. Ol’ha Gneupel hat den Text übersetzt.