«Häufig wird man aussortiert»

Aramis Navarro ist ein Sonnenkind. Nicht nur wegen des spanischen Bluts, das in den Adern des fünfundzwanzigjährigen Rapperswiler Künstlers fliesst. Aramis tut, was Aramis gern tun möchte, und wirkt dabei erstaunlich gelassen und entspannt. Ein Sonnenkind ist er deshalb, weil dieser Pfad, dem er seit einigen Jahren folgt, sich bisher als weniger steinig herausstellt, als es derartige Pfade für gewöhnlich sind.
Aramis‘ Kunst – seine Bilder und Skulpturen – haben ihm in den knapp drei Jahren, seit er sich professionell damit beschäftigt, ein Renommee beschert, von dem viele junge Künstler träumen. Im Jahr 2014 hat er den Vorkurs zur Kunstschule absolviert. Heute lebt er von seiner Kunst, stellte an der diesjährigen Art Basel im Messeturm aus und fährt am Sonntag nach Berlin, wo Werke von ihm an der Art Berlin Contemporary gezeigt werden, eine Initiative von Berliner Galerien, die zeitgenössische internationale Kunst nach Berlin bringen will. Eineinhalb Jahre nach Abschluss des Vorkurses ist man bereits international auf Aramis Navarro aufmerksam geworden.
Diplomlos glücklich
«Wenn man bei Ausschreibungen oder Wettbewerben etwas einreicht oder sich um einen Kulturförderbeitrag bewirbt, dann ist es schon ein Nachteil, wenn man nicht über ein Diplom verfügt», sagt Navarro. «Häufig wird man dann einfach aussortiert.» Dennoch macht sich der Weitestgehend-Autodidakt um seine Zukunft keine Sorgen. Er spielt zwar mit dem Gedanken, eine Bewerbung an die Royal Academy of Arts in London zu schicken. Aber der Verzicht auf die diplombringende Ausbildung war eben ein bewusster.
«Ich dachte nach dem Vorkurs, ich könnte mehr profitieren, wenn ich drei Jahre für mich im Atelier arbeite, als wenn ich in dieser Zeit die Kunstschule besuche.» Beeinflusst bei seinem Entscheid wurde Navarro auch von der Diplomausstellung der Absolventen der Zürcher Hochschule der Künste. «Ich will niemandem zu nahe treten. Aber ich fand schon, dass man den unterschiedlichen Arbeiten ansehen konnte, dass sie an derselben Schule entstanden waren.»
Techniken würden an der Hochschule sowieso kaum mehr gelehrt. Dafür müsse man als Handlanger bei einem Künstler im Atelier anheuern. Auf die Suche nach seinem eigenen Ausdruck und Stil wollte sich Navarro aber ohne Anleitung machen.
Jo Mi Ro mit Werken von Flora Frommelt, Johannes Vollenweider und Aramis Navarro, Elektrizitätswerk Rapperswil-Jona.
Öffnungszeiten:
Foyer: Montag – Freitag 07.15 – 12.00 Uhr / 13.00 – 17.00 Uhr
Dieselhalle Samstag/Sonntag 14.00 – 17.00 Uhr
An den Wochenenden sind die Künstlerin und Künstler jeweils anwesend.
Kulturnacht 10. September 2016, 17.00 – 24.00 Uhr
Musikalischer Rundgang: 17.00 Uhr / 19.30 Uhr / 21.30 Uhr
Finissage: 25. September 2016, 15.00 Uhr
Künstlergespräch und Rundgang mit Hedi K. Ernst
Humor als roter Faden
Zu Navarros Stil gehört der Humor. Er zieht sich durch Bilder und Skulpturen und die Titel der Kunstwerke. KopfzerbRECHNER heisst die Skulptur, auf deren Schultern ein Zählrahmen als Kopf sitzt, ManifeSTIER die mächtige Stierskulptur. Und Zi(eh)garette ist der Titel eines Ölbilds, das eine Schubkarre aus Zigaretten zeigt, die Zigaretten geladen hat.
Navarro verfügt über einen humorvollen, wachen Geist, der sich mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Seine Freundin fragt sich, was in aller Welt ihn an einem Boulevard-Frauenmagazin so interessieren kann, bis er es endlich weglegt und erklärt, er habe eine Idee für ein neues Werk. Eine Bilderserie widmete er Versprechern, die Leuten aus seinem Freundeskreis herausgerutscht waren. Und so sind auch Navarros Werke nicht nur schön fürs Auge. Sie bieten zusätzlich wohl bekömmliche Geistesnahrung.
«Gegenstände mit Seele»
Navarro ist ein Material-Fetischist. Nicht nur zieht er seine Leinwände auf handgemachte Rahmen auf und mischt er seine Ölfarben eigenhändig aus Pigmenten, wie man das früher machte. Er besucht auch Brockenhäuser, Flohmärkte und Abbruchhäuser, wo er sich die Bauteile für seine Skulpturen zusammensucht. «Zu Abbruchhäusern kommen jeweils ein paar Freunde mit. Wir sammeln dann schon einmal eine halbe Tonne Material, das in mein Lager wandert», meint er schmunzelnd.
«Mich interessieren Gegenstände mit Seele, die irgendwie energiegeladen sind.» Häufig sind das Gegenstände mit Geschichte. Die langen Beine des ManifeSTIER bestehen aus alten Kutschenbalken. Meist schmückt er seine Skulpturen, deren Einzelteile über eine altersbedingte Patina verfügen, mit weissen Linien. «Einerseits um die Patina zu kontrastieren, andererseits symbolisieren die Linien auch eine Sträflingskluft.»
Freigeist in Sträflingskluft
Das Motiv des Gefangenseins mutet bei einem Freigeist wie Navarro fast absurd an. Denn er ist einer, der sich wie wenige andere den gesellschaftlichen Zwängen widersetzt. Viel eher passt da, dass die Skulpturen trotz massiger Materialien und der oftmals verwendeten Querlinien federleicht wirken. Das gefällt nicht nur immer mehr Kunstliebhabern und Sammlern in der Schweiz. Auch die EAF, die Enter Art Foundation, wurde auf ihn aufmerksam. Eine Kuratorin aus New York besuchte ihn in seinem Atelier.
Es handelt sich bei der Stiftung um eine internationale Plattform für zeitgenössische Künstler aus aller Welt. Anders als Galerien, die Kommissionen von bis zu 70 Prozent für sich beanspruchen, fliesst bei der EAF der gesamte Erlös an die Künstler.
Die EAF hat Navarro an die Art Basel gebracht. Sie führt ihn am Sonntag nach Berlin. Es ist ein weiterer Schritt für einen jungen Schweizer Künstler, der mit Talent, Schaffenskraft, Intelligenz und Visionen gesegnet ist. Und zu alledem ist Aramis Navarro ein richtig sympathischer, bescheidener Mann – eine Eigenschaft, die dem Künstler sicher hilft, den gewählten Pfad zu ebnen.