Einer meiner neuen Tischnachbarn sagte mir letztens «Ich habe dich ein bisschen beobachtet, und du guckst in diesem Parlament immer drein wie Alice im Wunderland». Abgesehen davon, dass kein Ü50-Mann einer jungen Frau sagen sollte, dass er sie «ein bisschen beobachtet hat», stimmt das schon: Es ist ein Wunderland. Ein Wunder, dass ich das machen darf. Und wundersam, wie ich das alles lernen soll.
Anna Rosenwasser in ihrer letzten «Nebenbei gay»-Kolumne.
SavoirSocial, der Dachverband für die Berufsbildung im Sozialbereich, spricht davon, dass man als Sozialarbeiter:in oder Sozialpädagog:in einen aktiven Beitrag für eine lebendige Gesellschaft leiste, in der alle ihren Platz haben. Entspricht dies den Tatsachen? Will die Gesellschaft überhaupt, dass alle einen Platz haben in der Gesellschaft? Oder nicht doch eher einen klar zugewiesenen Platz am Rand, wo man niemanden stört?
Bianca Schellander über burnoutgefährdete Sozialarbeitende im Schwerpunkt «Soziale Arbeit unter Druck» im Januarheft.
Die menschenverachtende Brutalität nationalsozialistischer und stalinistischer Verbrechen haben wir in unserem kollektiven Gedächtnis in der Rubrik «Geschichte» abgelegt. Geschichte jedoch wiederholt sich, wie sich nicht zuletzt an Plänen deutscher rechtsextremer Kreise für eine Massendeportation von Menschen mit Migrationsgeschichte in ein unbestimmtes afrikanisches Land zeigt – man spricht gar von einer «Wannseekonferenz 2.0».
Franziska Spanner in ihrer Besprechung des Stücks Kallocain am Theater Konstanz.
Also muss Sex and the City warten. Zuerst wird überlebt, als Fels in einem Meer aus Tränen und Traumata. Die monatlichen Deadlines dieser Kolumne werden Verpflichtungen sein, nicht primär dazu, einen Text zu liefern, eher dazu, nochmals ein Heft lang am Leben zu bleiben. 24/7 Traumacore halt.
Mia Nägeli in ihrer ersten 24/7 Traumacore-Kolumne.
Doch etwas lief schief. Es wurde mir klar, als das Dröhnen vom Morgen jetzt wesentlich lauter wurde. Es war eine Luftangriffswarnung. Der allerschlimmste Klang auf Erden. Man vergisst ihn nie wieder, selbst wenn nur einmal gehört. Da habe ich endlich verstanden, dass es kein Traum war. Etwas Schreckliches war vorgefallen.
Liliia Matviiv in ihren Erinnerungen an den 24. Februar 2022 im Februar-Heft.
Die Gallenstadt will vorwärtskommen, jaja, sie schafft jetzt wie verrückt Begegnungszonen, Blumentröge, Tafeln und alle zehn Meter ein Notknopf, falls sich jemand begegnungsunfähig oder sonstwie unwohl fühlt, lange wird es nicht mehr dauern, bis man verzweifelt die wenigen Stellen sucht, wo die Stadt noch Stadt und nicht zur Begegnungszone verdammt ist.
Charles Pfahlbauer jr. in seiner letzten Kolumne «Jede Eiche war einmal eine Eichel»
Im Stadtbild sind einige dieser Lichtspieltheater noch immer präsent. Es ist wie mit Kirchen oder Sportstadien: Auch wenn sie ihren Zweck längst verloren haben, scheint es, als würden sie bloss pausieren. Als könnten sie jederzeit wieder in Betrieb genommen werden.
Andreas Kneubühler über die Kinostadt St.Gallen im März-Schwerpunkt zu 100 Jahren Palace .
Anita Zimmermann ist nun blank. Manchmal sind auch die Nerven blank. Die freiwillige Kollekte hat wenig eingebracht. Der Finanzierungsplan ist aus dem Gleichgewicht geraten. Oder er war einfach zu wenig wichtig, weniger wichtig als das, was im «Himmel Helvetia» alles möglich geworden ist. Der Traum von fairen Löhnen für Kulturarbeit bei den Macher:innen bleibt vorderhand ein Traum. Dafür ist der Traum von mehr Sichtbarkeit für das, was Kunst in St.Gallen kann, Wirklichkeit geworden.
Ursula Badrutt über Anita Zimmermann und ihr Projekt Himmel Helvetia.
Zeitgenössisch ist Reinfrank nicht zuletzt, wo er mit der Seichtigkeit gewisser Selbstbehauptungen in Kunstmarkt und Kreativindustrien in Konflikt tritt. Seine Performance des Alltags, die zugleich Performance im Alltag meint, ist radikaler, aber auch viel feiner als solche Begriffshülsen. Sein Werk zeigt, wo die Gegenwart hingehen könnte, würde sie sich für ihre eigenen Begriffe interessieren.
Michael Felix Grieder über den verstorbenen St.Galler Künstler Hermann Reinfrank.
Ja: Manchmal sieht man aus dem Fenster einen Baum und kann sich aufbauen an seinem ruhigen Dastehen, seinem tief ins Erdreich reichenden Wurzelwerk, seinem Ragen in den Himmel, seinem weitverzweigten Überstehen der Winterzeit. Und manchmal leuchtet ein Buch, gibt Hoffnung, stiftet einen Stern.
Florian Vetsch im Online-Artikel über Steff Signers Uraufführung des Wilden Ritts in Winterthur.
Dass über einen Schutz erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand einigermassen objektiv diskutiert werden kann, liegt auf der Hand. Erst mit der Zeit schärft sich der Blick und wir verstehen besser, was das Besondere einer Stilepoche ist. Der Betonbrutalismus als Beispiel kann heute «brutal schön» sein, wie es auf einem der Plakate in der Ausstellung heisst. Und die Postmoderne mit ihren Kreisen und Dreiecken hat Gestaltungselemente hervorgebracht, die wir heute vielleicht witzig finden.
René Hornung über die nächste Baudenkmal-Generation.
Wichtig war, dass von an Anfang an alle Beteiligten an eine übergeordnete Idee glaubten: daran, dass sich durch qualitative und quantitative Kulturinformation die Situation der Kulturschaffenden verbessern und die Kultur selbst entwickeln kann. Das hat uns inspiriert. Heute denke ich: Wenn es von Anfang an kommerziell funktioniert hätte, hätten wir nie eine so breite Unterstützung erfahren. Viele spürten: Da sind Leute am Werk, die machen das aus Leidenschaft und Idealismus.
Roman Riklin erinnert sich zusammen mit Bruder Adrian im Aprilheft zum 30-Jahr-Jubiläum von Saiten an die Saiten-Anfänge.
So viel zum Klischee «Deutschland war nie eine grosse Kolonialmacht»: Das Haus Habsburg kontrollierte durch seine Herrschaft über die iberischen Königreiche und deren Überseegebiete bis weit ins 17. Jahrhundert ein eigentliches transatlantisches Weltreich. Man könnte auch sagen: Das Deutsche Reich war vermutlich nie mehr so nah an der Weltherrschaft wie in dieser Zeit.
Roman Hertler über St.Gallens frühkoloniale Verflechtungen.
Unanständig, unchristlich und auch etwas anrüchig: Das waren die queeren Ikonen des 20. Jahrhunderts – und wurden deswegen gefeiert. Sie lebten ein Leben abseits von konservativen Moralvorstellungen und waren damit Vorbild für alle, die nicht in einem familiären Reproduktionsapparat landen wollen. Diven wie Marlene Dietrich oder Judy Garland wurden von der queeren Community unsterblich gemacht.
Andi Giger in der Besprechung des Stücks Game Over Play Forever von Sebastian Ryser und Lars Wolfer.
«Ich erwarte, dass die Massnahmen, die auf diese Rüge folgen müssen, auch von bürgerlichen Parteien mitgetragen werden. Denn es soll beim allgemeinen Konsens bleiben: Wir wollen die Menschenrechte einhalten.»
Klimaseniorin Pia Hollenstein im Interview zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach die Schweiz aufgrund nicht eingehaltener und zu tief angesetzter klimapolitischer Ziele diverse Menschenrechte verletze.
Die Strasse führt an einem grossen Parkplatz vorbei – Yachten, Schnellboote. Es wird gehämmert und lackiert, Fitmachen für die Sommersaison. Nicht die Boote, die man zwingend mit Lampedusa in Verbindung bringt, denke ich.
Marguerite Meyer in der April-Flaschenpost aus Lampedusa.
Mit allen reden – der Rückgriff auf diese ominöse «Meinungsfreiheit», wie ihn auch Regez, Sellner und andere pflegen, gehört zum Einmaleins der rechtspopulistischen Diskursstrategien. Sie fungiert letztlich als Deckmantel für rassistische, sexistische und faschistische Äusserungen.
Corinne Riedener im Online-Beitrag über die Verbindungen eines mittlerweile ausgeschlossenen Ostschweizer Jung-SVPlers zu rechtsextremen Gruppierungen.
Auf der Fahrt mit einem roten Renault 4 gehörte der Bahnhof Thusis jedesmal als Haltestelle fix dazu. Dort bekam ich eine Raketenglace für 60 Rappen und für Nane gab es ein gut beleuchtetes WC. Dann ging es weiter auf der Autobahn, Nane mit zwei Kissen unter ihrem Hintern und mit Stecknadelpupillen, ich mit der Raketenglace auf der Rückbank, dazu die Stereoanlage auf voller Lautstärke.
Sohn Jan erinnert sich in Wolfi Steigers Nachruf auf Nane Geel an die Fahrten mit seiner Mutter ins Tessin.
Ein riesiger Wermutstropfen ist jedoch, dass die Schweiz das Zusatzprotokoll nicht ratifiziert hat. (…) Sie hat Angst davor, angeklagt zu werden. Das finde ich peinlich für ein Land, das in seiner Selbstwahrnehmung fortschrittlich ist.
Behindertenrechtsaktivistin Sina Eggimann über die mangelnde Umsetzung der von der Schweiz vor zehn Jahren mitunterzeichneten UN-Behindertenrechtskonvention.
Es wäre viel zu schade, die Strassen allein unter dem Gesichtspunkt der Mobilität zu betrachten. Zu gross sind die Flächen, die sie in innerstädtischen Gebieten einnehmen. Zu stark ist ihre Prägekraft für die Gestalt unserer Städte.
Niklaus Reichle in seinem Plädoyer im Juniheft für eine vielfältige Nutzung des innerstädtischen Strassenraums
Wenn (Wirtschafts-)Journalismus sich auf Verlautbarungen beschränkt, wird er entbehrlich. Für das Umschreiben von Medienmitteilungen braucht es keine Redaktoren. Kritisches Nachfragen gehört zum journalistischen Handwerk. Nicht nur beim Thema Stadler.
Markus Rohner übt Kritik an der Berichterstattung des «St.Galler Tagblatts» über Stadler Rail.
Doch das K-Wort mag er für sich nicht. Dasselbe gilt für Vergleiche mit Frank Zappa. Trotzdem war er jahrelang bekannt als «Zappa der Ostschweiz». Ja, was wären Künstler ohne jene, die über sie schreiben …
Corinne Riedener in ihrer Besprechung des neuen Buchs über (Infra-)Steff Signer im Juniheft.