Grosse Kapelle wieder offen für Hindus
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Es ist ein trüber, kühler Herbsttag, ziemlich genau vor einem Jahr. Auf dem St.Galler Friedhof Feldli tummeln sich Dutzende Personen vor dem «konfessionsneutralen Abschiedsraum». So lautet der beamtendeutsche Name des kleinen Saals, der der hinduistischen und anderen Glaubensgemeinschaften in St.Gallen zur Verfügung steht. Die Menschen auf dem Vorplatz finden keinen Platz im Innern, wo die hinduistische Abschiedszeremonie für Sri Anandarajah Kovinthapillai stattfindet, der vier Jahrzehnte in St.Gallen gelebt, gearbeitet und eine Familie grossgezogen hat. Viele Trauergäste, teils von weit angereist, haben St.Gallen mangels Platz bereits wieder verlassen, lange bevor der Verstorbene zum Abschluss der Zeremonie in einem feierlichen Umzug hinüber ins Krematorium getragen worden ist.
Im Gegensatz zu draussen ist es im Abschiedsraum stickig, schwül, es riecht nach Räucherstäbchen, Ölen und Menschen. Vorne ist der Verstorbene aufgebahrt, unter einem weissen Baldachin, verziert mit grossen Palmblättern. Der Priester spricht unablässig Gebete, während die nächsten Angehörigen um den Sarg schreiten und rituelle Waschungen vornehmen. Dicht gedrängt stehen und sitzen die Trauernden, es ist kaum ein Durchkommen. Einige weinen leise. Nagenthan Kovinthapillai, der Sohn des Verstorbenen, berichtet später, dass während der mehrstündigen Zeremonie im überfüllten, schlecht klimatisierten Raum eine Frau ohnmächtig geworden sei.
Dabei hätte es auch anders sein können. Als die Trauerfamilie um die Nutzung der grossen Feldli-Kapelle angefragt hatte, wurde ihr dies zunächst bewilligt. Es stellte sich heraus, dass dies ein Fehler in der Stadtverwaltung war, da eine neue Mitarbeiterin nicht gewusst hatte, dass die grosse Kapelle seit der Sanierung 2019 der hinduistischen Glaubensgemeinschaft nicht mehr zur Verfügung steht. Die Nutzungsbewilligung wurde kurzerhand wieder entzogen.
Für die Trauerfamilie war das mehr als frustrierend. Er sei sehr aufgebracht gewesen und habe viele Telefonate und Gespräche mit Behörden und anderen Friedhöfen geführt, berichtet Kovinthapillai später beim Kaffee im «Blumenmarkt». Doch genützt hat es nichts. Die Einladungen für die Trauerfeier waren bereits in die ganze Schweiz und bis nach Übersee verschickt worden, die Flüge waren gebucht.
Seit 2019 galt: Hindus und Buddhist:innen nur im Abschiedsraum
Rund zwei Monate später, es war Anfang 2023, kamen bei einem tragischen Autounfall ein Vater und sein Sohn ums Leben. Es war absehbar, dass auch für diese Beerdigungen viele Mitglieder der tamilischen Community in der Schweiz anreisen würden. Für sie sind Trauerzeremonien auch wichtige Momente des gemeinschaftlichen Zusammenkommens. Für die grosse Kapelle gab es allerdings von Anfang an eine Absage.
Jeyakumar Thurairajah ist Stadtparlamentarier bei den Grünen und hat versucht, sein Möglichstes zu unternehmen, damit die zu erwartende Menschenmenge für die Abschiedszeremonie inklusive entsprechendes Verkehrsaufkommen irgendwie gemanagt werden konnte. Es war aber nicht die Stadt, sondern die katholische Kirche, die Hand bot. Sie hat ermöglicht, dass die Kirche der Ökumenischen Gemeinde Halden für die Zeremonie geöffnet wurde. Es sei eine sehr emotionale Beerdigung gewesen, erinnert sich Thurairajah. Und nebst der Trauer schwang auch viel Frust darüber mit, dass man die grosse Kapelle im Feldli für einen bestimmten Teil der steuerzahlenden Bevölkerung partout nicht zugänglich machen wollte.
Solche Platznöte bei hinduistischen Trauerfeiern waren in anderen Schweizer Städten, wo solche durchgeführt werden, nie ein grosses Thema. Es schien sich hier um ein spezifisch sanktgallisches Problem zu handeln. Dahingehend äusserten sich zumindest einige Trauergäste auf dem Vorplatz des konfessionsneutralen Abschiedsraums während der eingangs erwähnten Trauerfeier.
Gerüche und heikle Böden
Adrian Stolz ist Leiter von Stadtgrün St.Gallen und damit auch von der städtischen Friedhofsverwaltung. Er erläutert die Gründe, die zu dieser Situation geführt hatten. Bis zur Sanierung der bestehenden Friedhofsgebäude auf dem Friedhof Feldli 2019 war es üblich, dass hinduistische Abschiedsfeiern in der grossen Kapelle durchgeführt wurden.
«Die traditionellen Rituale führten in der Kapelle zu Geruchsemmissionen und Flecken auf den Böden. Darum wurde während der Zeremonien Plastik ausgelegt und im Anschluss an die Abdankung wurde jeweils länger gelüftet», erläutert Stolz. So habe die Kapelle an den folgenden Tagen nur beschränkt für andere Abdankungen zur Verfügung gestellt werden können.
Dies sei für alle Seiten eine unbefriedigende Lösung gewesen, weshalb man sich in der Planung zu den Sanierungsmassnahmen der Friedhofsgebäude für die Einrichtung des konfessionsneutralen Abschiedsraumes entschieden habe. Offenbar seien damals – Adrian Stolz war damals noch nicht bei der Stadtverwaltung tätig – auch Gespräche mit verschiedenen Glaubensgemeinschaften geführt worden, aber wenn man Details erfahren wolle, müsste man dem vertiefter nachgehen. Medial berichtet wurde, dass die Glaubensgemeinschaften zufrieden mit dem Raumangebot seien. An den beiden hinduistischen Feiern klang es anders. Aus Sicht der Stadt schien damit aber alles geregelt: Hinduistische Rituale mit Rauch und Ölungen nur noch im kleineren Abschiedsraum.
Dass dieser mit seiner Kapazität von 70 Personen für eine durchschnittliche hinduistische Abschiedszeremonie niemals ausreicht, hätte man aber schon damals ahnen können. Jeyakumar Thurairajah nimmt hier auch die tamilische Gemeinschaft nicht von einer gewissen Kritik aus. Die Glaubensgemeinschaften, darunter auch Hindupriester, seien von der Stadt zu Gesprächen eingeladen worden. Man habe wohl auch auf Seiten der Hindus die üblicherweise etwas grösseren Menschenmengen mitbedacht und vielleicht auch etwas vorauseilend alle Vorschläge der Stadt abgenickt.
Den Frust darüber, dass sich die Menschen ärgerten, wenn auf der einen Seite der Abschiedsraum komplett überfüllt ist und auf der anderen Seite die grosse Kapelle mit einem Fassungsvermögen von 250 Personen leersteht und viele im Freien herumstehen müssen, kann Stadtgrünleiter Adrian Stolz nachvollziehen. Diesen Frühsommer ist es daher zu Gesprächen gekommen, an denen Stadtgrün, die Friedhofsleitung und auch Jeyakumar Thurairajah als Fürsprecher der hinduistischen Gemeinschaft beteiligt waren.
Thurairajah wie Stolz berichten vom positiven Gesprächsverlauf und dem gegenseitigen Verständnis, das die beiden Seiten einander entgegenbrachten. So konnte man sich darauf einigen, dass, sofern die Kapelle nicht bereits anderweitig gebucht ist, nun auch wieder Hindus darin Platz nehmen dürfen. Es müssen allerdings gewisse Regeln eingehalten werden.
Die zeremoniellen Rituale finden nach wie vor im kleineren Abschiedsraum statt, wo besser gelüftet und der Boden leichter gereinigt werden kann. Die grosse Kapelle dient zur Live-Übertragung via Grossbildschirm, wenn dies von der Trauerfamilie gewünscht wird. Diese muss das technische Gerät selber organisieren und bezahlen und ist ausserdem dafür verantwortlich, dass sich die Menschen in der grossen Kapelle an weitere Regeln halten: Es darf darin weder gegessen noch getrunken werden. Ein entsprechendes Merkblatt muss von der Trauerfamilie unterschrieben werden. Dafür lässt man sie nicht mehr draussen im Regen stehen.
Politik wirkt im Hintergrund
Mit diesem Kompromiss kann Thurairajah sehr gut leben. «Ich bin froh, konnten wir auf diese Weise eine gütliche Einigung finden», sagt er. «Und ich bin glücklich, in einer Stadt zu leben, in der so eine Lösung möglich ist und niemand ausgeschlossen wird.»
Ganz selbstverständlich war es allerdings nicht, dass es zur Einigung kam. Hätten Thurairajah und andere Mitglieder der Grünen-Fraktion sich nicht gegenüber Stadt und Friedhofsverwaltung bemerkbar gemacht, wäre es wohl noch zu vielen solchen Einzelfällen gekommen, die am Ende frustrierte Trauerfamilien hinterlässt.
Thurairajah hat an der eingangs erwähnten Abdankung Unterschriften gesammelt, mit denen man den Stadtrat auf die Raumnot aufmerksam machen wollte. Über 500 Unterschriften von Menschen aus der ganzen Schweiz sind so zusammengekommen. In Vorbereitung war ausserdem ein Vorstoss im Stadtparlament. Dieser konnte nun geschreddert werden, ohne dass er überhaupt eingereicht wurde.
An der Wahlfeier des Stadtparlamentspräsidiums Anfang Jahr hat Jeyakumar Thurairajah unter anderem die Stadträt:innen Sonja Lüthi, Markus Buschor und Maria Pappa auf die Angelegenheit angesprochen. Auch seitens der Stadtregierung dürfte man sich für eine ausserparlamentarische und weniger öffentlichkeitswirksame Beilegung des Konflikts eingesetzt haben. Der Vorwurf der Diskriminierung wäre wohl sehr rasch im Raum gestanden, hätte das Parlament darüber beraten müssen.
Stadtpräsidentin Pappa schreibt auf Anfrage: «Natürlich ist es dem Stadtrat wichtig, dass würdige Abschiedsrituale auch in St.Gallen für andere Kulturen möglich sind. Deshalb wurde auch im Friedhof Feldli dieser zeremonielle Raum erstellt, damit im Sinne der Gleichberechtigung und des Respekts ein individueller Ort ohne Einschränkungen zur freien Benützung zur Verfügung gestellt wird. Abdankungen für grössere Gesellschaften, welche einen anderen Abschiedsritus feiern möchten, wird immer dieser Abschiedsraum zur Verfügung gestellt. Dieser Abschiedsraum kann über längere Zeit gebucht werden – auch für mehr als einen halben Tag – was bei der Kapelle organisatorisch schwieriger sei. Dies bedeutet gleichzeitig nicht, dass man Menschen mit anderen Kulturen auf diesen Raum ‹abschieben› möchte und die Kapelle nicht mehr für sie zur Verfügung steht. In der Kapelle müssen einfach wiederum gewisse Regeln beachtet werden.»