, 5. Februar 2018
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Grenzenlos sexistisch

Der Kunstkiosk hat die Themen Sexismus und sexueller Missbrauch aufgenommen. «Und plötzlich schob mir jemand seine Hand in meine Hose» hiess die Ausstellung von Miriam Schöb, die nur drei Tage lang im Kulturkonsulat zu sehen war. von Viktoria Koelle

Miriam Schöb (rechts) an der Vernissage. (Bilder: Fabio Antonio Costa)

Miriam Schöb, eine junge engagierte Künstlerin aus Staad (SG), eröffnet am Freitag ihre Ausstellung zum Thema Sexismus im 21. Jahrhundert mit den Worten: «Ich bin Feministin und ich kann es nicht fassen, dass vor allem auch Frauen der Meinung sind, wir bräuchten heutzutage keinen Feminismus mehr.»

Im Konsulat, der derzeitigen Location des St.Galler Kunstkiosks, zieht sich ein Papierbanner auf Augenhöhe schwarz-weiss durch den Raum durch. Text und Bild verfliessen zu einem angenehmen harmonischen Bild aus weiss, grau und schwarz. Die Schriftzüge ordnen sich ins Bildgeschehen ein, und bis man den ersten visuellen Eindruck überwunden hat, scheint das Werk von Miriam, nicht zuletzt durch die comicartigen Bildausschnitte, eher wie eine postmoderne Inneneinrichtung.

Liest man die Texte zu den Bildern, wird einem aber rasch bewusst: Das ist keine ästhetische Wandzierde. Die Texte und Ausführungen sind Schilderungen von Frauen, die Erfahrungen mit Sexismus oder im speziellen mit sexuellem Missbrauch gemacht haben.

Miriam Schöb: «Ich bin Feministin und ich kann es nicht fassen, dass vor allem auch Frauen der Meinung sind, wir bräuchten heutzutage keinen Feminismus mehr.»

Ursprünglich als Umfrage angelegt, wollte Miriam Schöb zum Projektbeginn im Herbst 2017 Erfahrungsberichte von Frauen sammeln, die aufgrund ihres Geschlechts erniedrigt oder ungleich behandelt wurden. Kurze Zeit später wurde die viral gegangene Metoo-Kampagne initiiert, was laut Miriam einen massgeblichen Einfluss auf die 60 Beiträge des Projekts hatte. Durch den Einfluss der Metoo-Kampagne haben viele ihrer Befragten vor allem von sexuellem Missbrauch geschrieben, obwohl Schöb ursprünglich generell nach sexistisch-aufgeladenen Situationen fragte.

Als Medium wählte die Künstlerin eine Kartonrolle, weil diese eine Analogie zur inhaltlichen Grenzenlosigkeit des Sexismus darstellt, wie sie sagt. Die Grenzenlosigkeit des Sexismus äussere sich durch die ständige Fortentwicklung, neue Konstellationen und das Ineinanderfliessen von situativen Begebenheiten, die das Wesen des Sexismus ausmachten.

So greift Schöb eines der meistdiskutierten Themen unserer Zeit auf: Sie ordnet Erzählungen von sexuellem Missbrauch auf ihrer Kartonrolle direkt neben unangebrachten Kommentaren von Freundinnen und Freunden nach einem sexistischen Vorfall – dabei verwischt die Hierarchie zwischen den Erzählungen der Betroffenen. Ein gänzlich ungewohntes Gefühl, da man natürlich dazu neigt, eine Vergewaltigung als schlimmer einzuordnen als das Erlebnis einer Person, die begrapscht wurde. Für Empörung sorgen dennoch auch Kommentare wie «Hättest halt nicht mit ihm auf die Toilette gehen müssen», obwohl direkt daneben eine andere Person schildert, wie sie anal vergewaltigt wurde.

Beim Lesen wird das Leid der Betroffenen spürbar, und es wird klar: Sexismus existiert nach wie vor in unserem Alltag. Durch die Brille des Alltagsleids wird der kritisch diskutierte Feminismus in ein neues Licht gerückt: Es geht eben nicht nur um sexuellen Missbrauch und Lohnungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Der Sexismus hat sich über Jahrhunderte hinweg in unser Alltagsverhalten eingeschlichen, und die Frage ist nun, wie wir als Gesellschaft diese unwürdige Ungerechtigkeit aus unseren Leben schaffen.

Miriam Schöb macht aufmerksam auf die verschiedenen Ausprägungen, die Sexismus annehmen kann, und lässt keinen Zweifel daran, dass ihr Werk eine Anklage ist. Die Kunst übernimmt hierbei die Rolle des Sprachrohrs, das dazu in der Lage ist, ohne Schuldzuweisung sexistisches Verhalten zu sanktionieren.

Miriam Schöbs Beitrag ist keine leicht verdauliche Kost, und mit diesem gesellschaftskritischen Werk einer jungen Künstlerin ist der Kunstkiosk eher politisch unterwegs. Ein relevantes Werk aus St.Gallen für die Sexismus-Debatte, denn es macht deutlich: Sexismus wird sowohl von Männern als auch von Frauen reproduziert.

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