«Grenfell tower couldn’t burn me out»

Rap ist wiedermal in aller Munde: In Amerika gewinnt Kendrick Lamar als erster Rapper überhaupt den Pulitzer-Preis, in Deutschland haben Kollegah und Farid Bang den umstrittenen Echo in der Kategorie Hip-Hop/Urban National abgestaubt. Umstritten darum, weil den beiden Battlerappern Antisemitismus vorgeworfen wird (mehr dazu hier). Zwischenzeitlich wurde der Echo abgeschafft.
So viel (gute oder schlechte) Publicity ist natürlich ein Segen für das mittlerweile über 40 Jahre alte Genre, die Diskussionen darüber können aber bisweilen auch unbequem werden, nicht zuletzt da plötzlich Hinz und Kunz eine Meinung zum Business haben. «Sexistisch! Homophob!», «Inhaltsleer!», «Gewaltverherrlichend!» oder eben «Antisemitisch!» sind die vielgehörten Vorwürfe. Achtung Spoiler: Das sind keine Breaking News. Aber natürlich trotzdem stets die Schlagzeile wert – und das Spiessbürgertum kann sich wiedermal das Maul zerreissen.
In vielen Fällen ist die Kritik ja berechtigt, in vielen anderen Fällen aber nicht. Es zeugt nicht gerade von Fachkompetenz, das ganze Genre unter Generalverdacht zu stellen, denn die Szene ist heute so fragmentiert wie noch nie und bietet schon lange auch queeren, feministischen und politisch sehr pointierten Künstlerinnen und Künstlern Platz. Im Rap gab es schon vergleichsweise früh, anders als in anderen Genres, den sogenannten conscious Rap, dessen Exponentinnen und Exponenten sich kritisch mit der Gesellschaft und Themen wie Rassismus, Sexismus und struktureller Gewalt auseinandersetzen. Kendrick Lamar führt also strenggenommen nur eine alte Tradition weiter, zugegeben sehr virtuos.
Und von wegen frauenfeindlich: Queen Latifah, MC Lyte, Missy Elliott, Lil’ Kim, Foxy Brown oder Lauryn Hill haben die patriarchale Rapszene in den späten 80ern und frühen 90ern bekanntlich recht gut aufgemischt. Aktuell machen diesen Job unter anderem Lady Leshurr, Stefflon Don, Little Simz, Ana Tijoux, Rebeca Lane, Haiyti, SXTN oder Nadia Rose.
Sie alle setzen sich nicht nur für die Frauen, sondern auch für mehr Queerness, gegen sexuelle Gewalt, Diskriminierung jeglicher Couleur und Ungleichheit ein. Und dann gibt es noch all jene, die dem Genre des LGBTQ-Raps angehören, darunter Mykki Blanco, Le1f, Zebra Katz, Angel Haze, Young M.A., Princess Nokia, Kate Tempest, Speech Debelle, Cakes da Killa, Sokee und viele andere. Das erste «PeaceOUT World Homo Hop Festival» fand übrigens 2001 in Oakland, Kalifornien statt.
Das alles immer und immer wieder zu betonen, weil viele «Genre-Fremde» nur die Punchlines der Prolo-Rapper sehen (wollen) und viele Medienschaffende einfach eine Schlagzeile nach der anderen raushauen (wollen), ist mühsam. Nach den vielen Diskussionen um antisemitische Lines, Homophobie und Sexismus tut es darum richtig gut, dass im Mai im Palace gleich zwei engagierte, fortschrittliche, intelligente Rapperinnen zu Gast sind: Flohio aus London (in Zusammenarbeit mit Rap History St.Gallen) und Danitsa aus Genf.
Flohio, die im anderen Leben Funmi Ohio heisst und als Grafikdesignerin arbeitet, zog als Kind mit ihren Eltern von Nigeria nach London. Sie zählt zu den vielen jungen Grime-Hoffnungen aus UK, wobei diese Schublade weder inhaltlich noch formal gross genug ist für die schlagfertige 25-Jährige. Afrobeats spielen bei ihr eine wichtige Rolle, aber auch Südstaatenflow, eine Prise Industrial und da und dort technoide Elemente. Ihre erste EP Nowhere Here veröffentlichte sie im Juni 2016, die zweite wird in diesem Jahr erwartet.
Flohio: 11. Mai, Palace St.Gallen, Support: Rap History DJ-Team
Flohios Texte sind kraftvoll, poetisch und nicht selten ziemlich persönlich. Im Track My World des Londoner Duos Good Colony etwa, auf dem sie die Vocals liefert, geht es um den Zusammenhalt in der Community und einen engen Freund, der gestorben ist. Und auf Bands, ihrer jüngsten Veröffentlichung, rappt sie über die kapitalistische Raum- und Sozialpolitik Londons und deren Folgen: «Landlord flows, get evicted quick / Now you’re doing road / Chat about me? yes I turn it round / Love my sound, you can’t turn this down / Grenfell tower couldn’t burn me out / And I send mad love to who’s mourning now.»
Verglichen mit Flohio bräuchte Danitsa wohl nicht nur eine Schublade, sondern gleich einen ganzen Schrank, am besten begehbar, jedenfalls müsste es da Platz haben für Rap, Trap, Soul, Reggae, R’n’B und allerhand andere urbane Klänge – und natürlich für die aussergewöhnliche Stimme der in Paris geborenen und heute in Genf lebenden 23-Jährigen.
Wer in jener legendären Feitagnacht im Januar am Ein-Jahr-Jubiläumsfest im Konsulat an der St.Galler Frongartenstrasse war, dürfte sich gut an Danitsa erinnern: Ihr Debütalbum Ego lief rauf und runter in der Saiten-Etage, vor allem der Track Captain, in dem die frisch gebackene Swiss Music Award-Gewinnerin (Best Act Romandie) davon singt, wie sie ihr «Live Boat» selbstbestimmt durchs Leben steuert und man gefälligst schwimmen lernen soll, wenn man sich mit ihr anlegt.
Auf Ego gibt es viele tolle Tunes: Hoover zum Beispiel, eine trappige Abrechnung mit falschen Freundschaften. Oder Seven Up, das Boombap-Trap-Feature-Stück mit Di-Meh und Slimka von der SuperWakClique. Oder Signs, ein clubbiges, bassiges Irgendwas, das zum Tanzen und Mitsingen einlädt. Und wo wir grad dabei sind: Eine der amüsantesten Nummern auf dem Album heisst Repo Men. Klingt wie eine Coverversion von Stayin’ alive, entpuppt sich aber als selbstkritische Betrachtung des Lebens über die eigenen Verhältnisse: «Every time I hear a knocking at the door, I worry it’s the repo man (der Gerichtsvollzieher).»
Danitsa: 25. Mai, Palace, Support: DJ Burrburrito
palace.sg
Dieser wird wohl nicht so schnell anklopfen bei Danitsa, wenn sie so weitermacht. Und auch Flohio hat gute Chancen, ihren Brotjob als Grafikerin irgendwann quittieren zu können und von der Musik zu leben, sofern das ihr Plan ist. Gut zu wissen jedenfalls, dass es diese Frauen gibt, die die männerdominierte Rap-Szene weiter aufmischen – wie es andere vor ihnen getan haben.
Dieser Beitrag erschien im Maiheft von Saiten.