Greidolken und podartschen

Der französische Surrealist Henri Michaux wird dreissig Jahre nach seinem Tod in einer Lesung gewürdigt – am Dienstag Abend im Kult-Bau in St.Gallen.
Von  Peter Surber

«Ergib dich, mein Herz. / Wir haben genug gekämpft. / Und mein Leben soll stillstehn, / wir waren nicht feige, / wir haben getan, was wir konnten.» So lakonisch beginnt das Gedicht «Nausea… oder kommt der Tod?» – vor dreissig Jahren ist sein Autor Henri Michaux (1899–1984) gestorben. Dies nimmt das neue Team von Noisma im St.Galler Kult-Bau zum Anlass, das literarische Schaffen des einzigartigen Künstlers zu würdigen. Noisma im Kult-Bau startet mit dem Anlass heute abend zugleich in die zehnte Saison.

michaux_2In der Lesung kommen, wie die Veranstalter mitteilen, drei Aspekte seines Werks besonders zum Zug: das Surreale, das Absurde und die Auslotung der Drogenwelten. Lautréamonts «Gesänge des Maldoror» waren für den jungen Michaux eine Initiation. Seine grosse Asienreise, die ihn zu Beginn der 30er-Jahre nach Indien, Indonesien, China und Japan führte, vertiefte seine mystische, fast mönchische Spiritualität. In den 60er-Jahren machte Michaux seine Meskalin-Experimente, aus denen Texte und Zeichnungen hervorgingen, bekannt. In St.Gallen zeigte die Galerie Erker seine Arbeiten.

«Michaux reist in seinen Sprachen: Linien, Worte, Farben, Pausen, Rhythmen», schrieb Octavio Paz über Michaux. «Und er scheut sich nicht, einem Wort das Rückgrat zu brechen, wie der Reiter, der nicht zögert, ein Reittier zu Tode zu hetzen. Um wo anzukommen? In diesem Nirgendwo, das überall ist und hier. Eine Vehikel-Sprache, doch auch eine Messer-Sprache und eine Grubenlampe. Eine Brenneisen-Sprache und eine Bandagen-Sprache, eine Nebelsprache und ein Nebelhorn im Nebel. Spitzhackenhieb gegen den Fels und Funke in tiefer Nacht. Die Worte werden wieder Werkzeuge… Es handelt sich jedoch um eine paradoxe Nützlichkeit, da die Worte nicht mehr im Dienst der Kommunikation stehen, sondern des nicht Kommunizierbaren. Ein unmenschliches und vielleicht übermenschliches Unternehmen.»

Mit diesen Wort-Werkzeugen stellte Michaux nicht zuletzt seine Übersetzer vor knifflige Aufgaben. Paul Celan hat Michaux kongenial übersetzt, aber auch andere wie Kurt Leonhard, der sich vom wortspielerischen Gedicht «Le grand Combat» (Der grosse Kampf) zu den fantastischsten Wortschöpfungen inspirieren liess:

 

Der grosse Kampf

Er greidolkt ihn und podartscht ihn zu Boden,
er rampft und rippert ihn bis zum Verdreucheln,
er wickullt und stauchöbt ihn und fluddert ihm die Hoduskeln;
er stibüntet ihn, walzundet ihn,
mannackt ihn Rack auf Ritsche und Rick auf Ratsche.
Endlich entkorkoballistert er ihn…

 

Im Original lautet der Anfang: «Il l’emparouille et l’endosque contre terre; il le rague et le roupète jusqu’à son drâle…». Und so geht es weiter, eine Französischlektion der besonderen Art, ein Kampf auf Leben und Wort – ein grosses Sprachvergnügen. Mehr davon heute abend im Kult-Bau.

Henri Michaux: Gong bin ich – zum 30. Todestag von Henri Michaux. Mit Daniel Fuchs, Clemens Umbricht, Florian Vetsch und Corinne Riedener. 28. Oktober 20 Uhr, Kult-Bau, Konkordiastrasse 27, St.Gallen. Infos: kultbau.org