Gratiseintritt ins Museum
Wir sassen also so da, mein Mami und ich, in meinem Schaffhauser Lieblingsklub. (Im Taptab, für Neugierige.) Es ist Jahre her und damals fanden noch viel mehr Poetry Slams statt; an diesem, zum ersten und letzten Mal, trat einer meiner tausend Brüder auf.
Wir hatten es uns gerade erst bequem gemacht, als eine Slammerin die Bühne betrat. Eine gute Bekannte von mir, mit der ich sogar mal ein Date hatte. Ich beugte mich kurz zu meinem Mami und sagte «Hihi, mit ihr hatte ich mal was.» Mein Mami lehnte sich ebenfalls leicht zu mir, unser Blick je noch auf die Bühne gerichtet. «Hihi», machte sie.
Das war es. Hihi. Das war alles, was mein Mami zu meinem Coming-Out sagte. Sie fragte nicht: «Aber du hast doch drölf männliche Exen?», sie sagte auch nicht: «Ha!, das dachte ich mir schon immer!» Sie fands einfach witzig, dass ich, ihre damals knapp 20-jährige Tochter, ihr erzählte, dass ich mal was hatte mit der Person, die grad auf der Bühne stand. Manchmal ist es eben nicht nur ein Coming-Out. Sondern ein Letting-In.
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Anna Rosenwasser, 1990 geboren und in Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Zürich. Sie arbeitet als Geschäftsführerin für die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und als freischaffende Journalistin.
Ich liess mein Mami also rein in diese Info, dass ich bisexuell bin, ich liess sie drin spazierengehen wie eine Museumsbesucherin, in der Hoffnung, dass sie die Exponate nicht mit wüsten Slogans besprayt. Tat sie nicht. Stattdessen wurde sie zur stolzen Museumswächterin.
Sie verfolgte meinen LGBT-Aktivismus interessiert (in den Zeitungen und am Fernsehen, das mit dem Internet ist ihr zu neumödig). In ihrem Alltag erzählte sie so begeistert davon, dass sich reihenweise Leute bei ihr outeten. Und sie lernte dazu, mit grosser Neugierde, über ein Thema, das ihrer Generation kaum ans Herz gelegt wurde. Mein Mami nahm sich das erst recht zu Herzen.
Nicht alle Menschen wollen aus ihrer sexuellen Orientierung ein Museum machen. Und nicht alle geben ihren Eltern einen Gratiseintritt – in der Angst, unsere Mütter und Väter würden das Museum boykottieren. Das passiert; oft.
Wenn ich junge Queers trösten will, die sich von ihren Eltern unverstanden fühlen, sage ich manchmal: Als deine Eltern frisch erwachsen waren, lasen sie das Wort Homosexualität nur in Verbindung mit dem Tod. Gib ihnen Zeit, das abzutrainieren. Sag nie einfach nur «Mami, ich bin lesbisch» oder «Papi, ich bin bi», sondern sag auch, dass es dich glücklich macht. Manche Eltern verwechseln das Museum mit einem Gruselkabinett. Weil sie es nicht anders gelernt haben.
Aber warte nur, bis sie mal eintreten. Sich von dir durch die Galerie führen lassen (ausser natürlich durch die nicht jugendfreie Abteilung). Sich im Innenhof niederlassen und realisieren: Was für ein Glück, dass wir hier sein dürfen.
Dieser Beitrag erschien im Märzheft von Saiten.