Göttliche Schelmengeschichte
In seinem neuen Dokumentarfilm «L'Apollon de Gaza» macht sich der Genfer Regisseur Nicolas Wadimoff auf die Suche nach einer mythenumrankten antiken Apollo-Statue.
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Das Gebiet der heutigen Stadt Gaza ist einer der ältesten besiedelten Orte am Mittelmeer. Schon unter den ägyptischen Pharaonen um 1500 v. Chr. befand sich hier eine Hafenstadt, die Teil des Reiches war. Später wurde die Stadt von Babyloniern, Philistern, Persern und schliesslich von Alexander dem Grossen erobert.
Zu Beginn unserer Zeitrechnung war das heutige Gaza Teil des römischen Reiches. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ist Gaza ein Paradies für Archäologen, es gibt sogar eigens ein Ministerium für Altertümer – das gleich auch noch das Ministerium für Tourismus ist.
Doch seit 2007 die islamistische Hamas die Macht an sich riss und daraufhin Israel – und Ägypten – als Reaktion den Gazastreifen vollständig abriegelten, ist das Gebiet nicht nur eines mit der höchsten Bevölkerungsdichte weltweit (1,9 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner auf 360 Quadratkilometern), sondern auch das grösste Gefängnis. Und macht regelmässig Schlagzeilen durch kriegerische Auseinandersetzungen.
Die schwersten ereigneten sich Ende 2008/Anfang 2009, als die israelische Armee mit der «Operation gegossenes Blei» den Gazastreifen während drei Wochen bombardierte und auch mit Bodentruppen angriff. Fast 1500 Tote und schwerste Zerstörungen waren die Folge.
Apollo taucht auf und verschwindet
Der Genfer Regisseur Nicolas Wadimoff, der bereits 2005 mit L’accord einen ersten Dokumentarfilm über den Israel-Palästina-Konflikt realisiert hatte, reiste 2009, kurz nach Ende der Kampfhandlungen ins zerbombte Gaza und drehte dort die bewegende Dokumentation Aisheen, Still Alive in Gaza. Sie zeigte das Leben der Menschen, vor allem der Kinder, und ihre Versuche, wieder so etwas wie Normalität zu finden.
Er habe nach jenem Film das Gefühl gehabt, etwas Unvollendetes bei den Leuten in Gaza zurückgelassen zu haben, sagte Wadimoff kürzlich in einem Interview. So war er elektrisiert, als er 2014 von einer archäologischen Sensation in Gaza las. Es handelte sich um eine 2000 Jahre alte lebensgrosse Bronzestatue von Apollo, dem griechischen Gott der Sonne und der Schönheit. Ein Fischer habe sie im Meer vor Gaza gefunden, sie mit nach Hause genommen, doch wenig später habe sie die Hamas-Regierung beschlagnahmt, hiess es, und seitdem wurde sie nie mehr gesehen. Das einzige, was von ihr existiert, sind einige Handybilder, die sie auf einer bunten Decke liegend zeigen.
L’Apollon de Gaza:
ab 5. Dezember im Kinok St.Gallen
Wadimoff reist also 2017 nach Gaza und macht sich auf die Suche nach Leuten, die diesen Apollo gesehen haben und vielleicht sogar etwas über ihren Verbleib wissen. Zu Beginn begibt sich der Regisseur zu einem Archäologen in Ost-Jerusalem und will von diesem eine Einschätzung. Und was dieser Mann sagt, gilt schliesslich für die ganze weitere Spurensuche: «Das Problem ist: Der Apollo befindet sich auf einem anderen Planeten – denn seit 2014 können wir Palästinenser aus Israel und aus der Westbank nicht mehr nach Gaza.»
Hommage an das Fabulieren
In der Folge bieten unterschiedlichste Akteure in Gaza immer abenteuerlichere Geschichten und Theorien über die Statue und ihren Verbleib herum: Sie sei in Wirklichkeit von Beduinen im Sinai gefunden und dann durch einen der Tunnels nach Gaza gebracht und dort ins Meer geworfen worden, weil die Besitzer ihren Ursprung verschleiern wollten. Für diese Theorie spricht immerhin, dass die Statue nicht lange im Meer gelegen haben konnte, denn auf den Fotos erkennt man kaum Korrosion.
Ein anderer der Befragten lacht auf die Frage nach dem Apollo laut heraus, gibt sich überzeugt, es handle sich um eine plumpe Fälschung. Doch so einfach ist es auch nicht, denn ein anderer Protagonist, ein Händler von Antiquitäten und archäologischen Fundgegenständen – und gleich auch noch deren Hersteller – bekräftigt, er könne problemlos eine derartige Statue herstellen, die uralt aussehe. Aber niemals in dieser Grösse. Denn dafür gebe es in Gaza nicht genügend Bronze.
Dafür gibt es genügend Geschichten. Und je länger dieser vergnügliche Film dauert, desto mehr wird er zu einer Hommage ans Fabulieren. Und man fragt sich am Ende, ob unter diesen sympathischen Menschen im grössten Gefängnis der Welt vielleicht doch jemand ist, der die Wahrheit erzählt. Oder ob es so ist, wie jemand gegen Ende des Films meint: Es sind die Geschichten, die bleiben.