Go all the way #31

Heimisch geworden im fremden Land: In ihrem neuen Tagebuchbeitrag aus Georgien erzählt Ruth Wili von ihren Erfahrungen mit dem «Daheim» und von einem Abschied.
Von  Gastbeitrag

Ich sitze auf der Wolldecke am Boden, links an meinem Bein liegt Mimi ausgestreckt, Pluto rechts, Homer vor mir eingerollt. Streichle meine ruhenden Sanftlinge. Mir laufen die Tränen übers Gesicht, nicht traurige, einfach bewegte. Eben habe ich Aaron und Carmen verabschiedet. Tetris neues Leben fängt an.

Gestern, als Carmen vom Telefonat mit dem Tierarzt zurückkam, ist Schritt für Schritt klargeworden, dass der Aufbruch ansteht. Der Tierarzt meinte, nach der Impfung müssten sie sicher 12 Tage warten bis zur Kastration. Wir machten Auslegeordnung. Weitere 12 Tage bei mir allein, bis die Kastration erfolgt? Oder jetzt abnabeln und die Kastration in Tbilisi machen lassen? Klar ist, wenn sie weiter bleiben, gibt es ein paar Dinge zu justieren im Zusammenleben. Mittlerweile bricht hier mehrmals täglich der mittlere Irrsinn aus, weil beide Hunderunden getrennt stattfinden und die Hunde entsprechend in der Wohnung das Zusammensein feiern. Und wenn wir ZweibeinerInnen nicht «Rette sich wer kann» spielen wollen, müssen wir echt radikal Ruhe einfordern. Machbar, aber fühlt sich nicht organisch an. Gleichzeitig ist klar, dass Carmen und Aaron langsam ihren eigenen Rhythmus mit Tetri entdecken wollen.

Zeit für den Aufbruch

Wir sitzen gemeinsam bei einem Eintopf und befühlen die Optionen. Wenn sie hierbleiben, dann will ich, dass wir eine Hunderunde am Tag gemeinsam machen, damit die Ausgelassenheit draussen gelebt sein kann. Und ich möchte, dass mein/unser Daheim nicht einfach nach dem Motto funktioniert: «Draussen leben mit Tetri birgt noch einige Herausforderungen, also Unterkriechen und Auftanken». Sondern dass es tatsächlich mit einem klaren Entscheid zu soundsolangem gemeinsamem Leben einhergeht. Ich und meine Hunde leben hier, und dies ist unser Daheim. Was nicht bedeutet, dass viele Sachen gemeinsam stattfinden müssen, es geht mir vielmehr darum, dass alle, die da sind, den Ort anreichern, nicht nur zum Tanken nutzen.

Carmen und Aaron verstehen, was ich meine. Und ich kann nachvollziehen, was in ihnen vorgeht: Ich bin einfach schneller im Erfassen, was mit den Hunden, auch was mit Tetri, ist. Mein Wort hat, auch wenn ich es an Tetri kaum mehr wende, andere Gültigkeit; ich sei wie eine Lehrerin für sie und es sei nicht einfach mit mir zugegen, ihre volle Verantwortung für Tate zu übernehmen. Tate, so heisst er inzwischen liebevoll. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich ihnen alles, was ich weiss, mitgebe in der Zeit, die sie bei mir sind, und das fühlt sich auch weiter stimmig an. Aber ich verstehe, dass, auch wenn ich mich an Tate nicht mehr selber wende, sondern ihnen sage, was ich wann warum tun würde, es dennoch ein «Ich bin schneller» bleibt.

Camen und Aaron entscheiden: Es ist Zeit, dass sie Drei in ihr eigenes Leben aufbrechen. Alles weitere wird sich fügen. Super!

Sie beginnen, ihre Sachen zu packen, und ich warte in der Küche darauf, meine Hunde vor der Abendrunde zu füttern. Warte, weil: Drei von vieren zu füttern ist unbekömmlich. Und die Abendrunde will gemacht sein, ehe die Dämmerung anbricht. Die Wirkung der Dämmerung ist so gewaltig auf meine beiden Jäger. Und hier ist gewaltig was los: Die Schakale fangen an, rundum in den Hügeln zu heulen. Sind wir dann noch draussen, habe ich Hunde, die bis in die letzte Haarspitze angespannt sind vor Aufregung.

Bei mir rutscht: Aufbrechen ja, aber das Hier-und-jetzt, das ist ein Hals-über-Kopf und an unseren Hunden vorbei. Ich spreche es an, frage, ob wir nicht jetzt die Hunde füttern und dann eine gemeinsame Abendrunde drehen wollen. So können die Hunde sich noch einmal in aller Fülle des Viererrudels austoben, und Carmen und Aaron haben morgen alle Zeit der Welt, zu packen, aufzubrechen und sich, wo immer es stimmt, neu einzurichten.

Eine letzte Runde

Wir schlendern gemeinsam noch einmal den wunderschönen Weg über dem Fluss aufwärts. Ich geniesse die Fülle, die uns mit den vier Tieren so natürlich umgibt. Tate ist aufgetaut, seit er vor fünf Wochen bei uns einzog. Von einem vom Unfall angeschlagenen Hund voller Ungeziefer, der vor allem klein Mimi liebt, zum strahlend weissen, äusserst sozialen Alle-zum-Spiel-Einlader. Wir sitzen am Fluss, und die beiden zeigen mir essbare Pflanzen, die ich noch nicht kenne, wir lassen das Quartett spielen, bis alle Zunge bei Fuss sind. Auf dem Rückweg dürfen wir die allerersten wilden Feigen am Wegrand ernten. Vor uns in Abendlicht getauchte gelb und orange Wolken über dem Taleinschnitt.

Daheim liegen alle Hunde bei mir im Schlafzimmer und ich gehe sie einzeln streicheln, erzähle ihnen vom bevorstehenden Abschied. Tetri, der eigentlich seine Lieblingsstelle auf den Kacheln im Flur hat. Samthund – ich danke ihm für die wunderschöne gemeinsame Zeit, für sein Vertrauen, für alles, womit er uns beschenkt hat, allem voran seine Ruhe und sein hoch soziales Wesen. Ich freue mich, wie er und seine beiden Menschlinge zusammenwachsen und einander zu lieben begonnen haben! Spreche in seine inzwischen wieder behaarten Ohren und verspreche ihm, dass ich ihn loslassen werde, und dass ich seine Freundin Mimi halten werde, wenn sie ihn vermisst. Natürlich auch meine beiden Jungs, nur: die Verbindung zwischen Mimi und Tetri ist speziell. Dass ich ihm und den Seinen alles Liebe wünsche. Als ich aufstehe, ruft Carmen ihn und Tate geht selbstverständlich zu ihr und mit ihr in ihr Zimmer.

Und jetzt sind sie weg. Wir haben Tschüss gesagt, werden einander nicht suchen, auch wenn sie möglicherweise die nächsten Tage noch in oder um Qeda verbringen. Ich weine. Fühle mich weich und friedvoll. Dankbar, wie alles sich gefügt hat, und wie der Abschied rund sein durfte und stimmt. Kurzer Anflug von: oh nein, als ein für Qeda so typischer Sturzregen herniedergeht. Ich müsste doch… Ich muss grinsen. Es ging um den Aufbruch! Was ist da ein Regen.

Ruth Wili, Jahrgang 1981, war bis Ende 2016 als Inspizientin am Theater St.Gallen tätig. Anfang 2017 ist sie aufgebrochen zu einer Fussreise von St.Gallen ans Schwarze Meer. Mit dabei: ihr Hund Homer – sowie Pluto, in Bulgarien zugelaufen, und seit neustem Mimi und Tetri, die Hunde Nummer drei und vier. Auf saiten.ch berichtet Ruth Wili von ihren Erfahrungen im Sehnsuchtsland Georgien.