Gewerbepolizei I
Man vergisst so schnell.
2006 wars, als der Ärger über die Abteilung Bewilligungen der Stadtpolizei – kurz Gewerbepolizei – ihren Höhepunkt erreicht hatte. Eine der Folgen war ein Vorstoss der SP-Stadtparlamentarierinnen Bettina Surber und Rahel Gerlach. Sie schrieben: «Mit Einreichung des Bewilligungsgesuchs wird ein oft langwieriges und undurchschaubares Verfahren eingeleitet. Bewilligungen werden erst nach einem langen Hin und Her erteilt. Bei der Gewerbepolizei scheint gar die Praxis vorzuherrschen, Gesuche grundsätzlich negativ zu beurteilen.»
So gross war der Ärger quer durch alle politischen Lager, dass das Postulat im Stadtparlament ohne Gegenstimme überwiesen wurde. Das war im November 2006. Lange drei Jahre liess sich der Stadtrat Zeit. Vor zwei Wochen veröffentlichte er dann gleich einen 50-seitigen Bericht zum Thema «Öffentlicher Raum – Grundsätze und Massnahmen».
Was hat der Stadtrat in 38 Monaten herausgefunden? Beispielsweise dies: «Veranstalterinnen und Veranstalter erhalten die Bewilligung zur Nutzung des öffentlichen Grundes in der Regel unkompliziert, rasch und kostengünstig»
Aha.
«Aus heutiger Sicht drängt sich keine grundsätzliche Änderung des Bewilligungssystems auf.»
Soso.
War da nicht noch was? Ein kleiner Bundesgerichtsentscheid? Bei dem die Stadt verloren hat? Natürlich wird der im Bericht nicht verschwiegen. Bloss ein bisschen versteckt. In der Fussnote unten an der Seite. Die GSoA musste durch alle Instanzen klagen, bis feststand, dass in der Stadt St.Gallen Unterschriften ohne Bewilligung der Gewerbepolizei gesammelt werden dürfen. Wie überall sonst halt.
Was steht alles nicht im Bericht?
In St.Gallen müssen Strassenmusiker den Gewerbepolizisten zur Probe vormusizieren. Seit 2005 können sie sich dafür erst ab 13.30 Uhr anmelden, weil sich andernorts gezeigt hat, dass dann die Zahl der Gesuche markant zurückgeht. Das hat übrigens gewirkt: 2004 wurden 547 Bewilligungen ausgestellt, 2008 noch 298.
Die Gewerbepolizei gebärdete sich als politische Polizei. Sie erteilte Bussen für die Teilnehmenden an einem von vielen Passanten gar nicht wahrgenommenen CD-Ballet; Bussen für Laienschauspieler von Aktiv Unzufrieden; Bussen für ein bisschen Langsamverkehr von Velofahrern.
All diese Verfahren wurden später von den Untersuchungsbehörden eingestellt.
Oder sie übte sich in Hinhalte-Taktik. Etwa bei der Bewilligung für das Jubiläumsfest des Schwarzen Engel. Zuerst wurden «Immissionen» geltend gemacht, die der Anwohnerschaft nach dem St.Gallerfest nicht zugemutet werden könnten. Dem nächsten Gesuch des Engels lag die Zustimmung sämtlicher Anwohner bei. Es wurde aus «präjudiziellen Gründen» abgelehnt. Erst im dritten Anlauf wurde dann gnädigerweise mitgeteilt, dass sich die Bewilligung «im vorliegenden Fall für dieses Jahr ausnahmsweise noch einmal rechtfertigen lässt».
Heute hört man solche Geschichte nicht mehr. Hat der Stadtrat doch Recht? Oder sind alle bloss eingeschüchtert und riskieren nichts mehr? Das könnte man annehmen, wenn man daran denkt, dass Kulturschaffende und Veranstalter seit sieben Jahren vergeblich ein weniger restriktives Plakatierkonzept fordern.
Es gibt eine andere Lehre: Politischer Druck wirkt.
Das zeigte exemplarisch vor einigen Jahren ein Streit um die Plakatierung an der Grabenhalle. Plötzlich seien dort nur noch kommerzielle Plakate zu sehen gewesen, erzählte Pius Frey von der IG Graben 2006 in einem Artikel in «Saiten». Auf den Wänden der Aktionshalle habe man nicht einmal mehr für die eigenen Veranstaltungen werben können. Auf eine Intervention bei der Gewerbepolizei sei man deren Chef Walter Schweizer «in arrogantestem Ton» abgekanzelt worden. Die IG Graben wandte sich daraufhin direkt an den damaligen Stadtpräsidenten Heinz Christen. Das wirkte: Wie «ein umgekehrter Handschuh» sei der Beamte danach gewesen, bilanzierte Frey.