«Empathie ist ein Gewaltblocker»

Hanno Loewy, Leiter des Jüdischen Museums Hohenems, spricht im Interview über die Ausweglosigkeit im Nahostkonflikt, Hoffnungsschimmer in Zeiten einer erstarkenden FPÖ und seine Freude über die Verleihung des Rheintaler Kulturpreises an «sein» Haus.

Hanno Loewy, fotografiert von Andri Vöhringer

Sai­ten: An der Rhein­ta­ler Kul­tur­preis­ver­lei­hung zum «Gol­di­ga Törg­ga» hat man ih­nen oben­drauf den ori­gi­na­len Spa­zier­stock von Paul Grünin­ger über­reicht. Sind Sie über­haupt ein Spa­zier­gänger?

Han­no Loe­wy: Mei­ne Frau und ich ge­hen sehr viel wan­dern, aber eher in un­weg­sa­me­rem Berg­ge­lände, wo ich in der Re­gel sta­bi­le­re Stöcke da­bei­ha­be.

Wo be­fin­det sich Grünin­gers Stock jetzt?

Im Mo­ment liegt er noch zu­hau­se auf dem Kla­vier. Er wird ver­mut­lich bald als Leih­ga­be an ei­ner Aus­stel­lung über Flucht im Rhein­tal im Mu­se­um Pre­st­egg in Altstätten zu se­hen sein und dort ei­nen ers­ten Eh­ren­platz ha­ben.

Der Preis der Rhein­ta­ler Kul­tur­stif­tung ging 2024 erst­mals nach Öster­reich und erst­mals nicht an ei­ne Per­son, son­dern an ei­ne In­sti­tu­ti­on. Was be­deu­tet Ih­nen der Kul­tur­preis als Lei­ter der aus­ge­zeich­ne­ten In­sti­tu­ti­on?

Nor­ma­ler­wei­se gilt ja der Pro­phet nix im ei­ge­nen Land. Of­fen­bar wer­den das Jüdi­sche Mu­se­um Ho­hen­ems (JMH) und sei­ne Ar­beit aber auch in un­se­rer un­mit­tel­ba­ren Re­gi­on wahr­ge­nom­men, auch wenn wir manch­mal her­aus­for­dernd sind und schwie­ri­ge Fra­gen stel­len. Das ist sehr be­we­gend. Na­türlich ha­ben wir auch vie­le in­ter­na­tio­na­le Gäste. Aber die Men­schen in un­se­rer Nach­bar­schaft sind uns – ne­ben den Nach­kom­men der Ho­hen­em­ser Jüdin­nen und Ju­den – na­türlich be­son­ders wich­tig.

Wie ha­ben Sie die Preis­ver­lei­hung in Heer­brugg An­fang No­vem­ber er­lebt?

Der Abend war aus­ge­spro­chen lus­tig und an­ge­nehm. Die Mu­sik von Karl Ka­ve & Du­ri­an war der Ham­mer, ei­ne ech­te Ent­de­ckung für uns. Das hat so gut ge­passt, die­se Brücke zwi­schen St.Gal­len und Wien, so wie Mi­lo Rau auch die­se Brücke dar­stellt. Denn je­ne, um die es in un­se­rem Pro­jekt haupt­sächlich geht – die Men­schen, die En­de der 30er-Jah­re hier in Ho­hen­ems über die Gren­ze flüchte­ten –, wa­ren zu ei­nem sehr gros­sen Teil jüdi­sche Pro­le­ta­ri­er:in­nen aus Wien, Schuh­ma­cher, Ta­pe­zie­rer, Schnei­der:in­nen, auch vie­le Fleisch­hau­er und so wei­ter. Die­se Leu­te hat­ten oft ei­nen ost­eu­ro­päischen Hin­ter­grund und wa­ren vor, während und nach dem Ers­ten Welt­krieg nach Wien ge­flüchtet. Sie sind das Gros der Men­schen, die da­mals il­le­gal und oft mit­tel­los in die Schweiz ein­reis­ten.

Es ist ei­ne hübsche Iro­nie, dass das Jüdi­sche Mu­se­um ei­nen Kul­tur­preis mit dem Na­men «Gol­di­ga Törg­ga» – be­nannt nach dem aus der Türkei ein­ge­führ­ten Rhein­ta­ler Ri­bel­mais – be­kommt.

Das hat uns sehr amüsi­ert. Das JMH ist ja wohl ei­nes der ers­ten Mu­se­en in der Re­gi­on über­haupt, das sich mit dem The­ma zeit­ge­nössi­scher Mi­gra­ti­on be­schäftigt hat. Und der gröss­te Teil der Ar­beits­mi­grant:in­nen, die seit den 1970er-Jah­ren nach Vor­arl­berg ka­men, stammt eben aus der Türkei.

Der Preis geht ja nicht «nur» an das Mu­se­um, son­dern auch ein biss­chen an Sie. Sie lei­ten das JMH jetzt im­mer­hin seit 20 Jah­ren. Wie sind Sie als Frank­fur­ter da­mals über­haupt im be­schau­li­chen Ho­hen­ems ge­lan­det?

Nach Ho­hen­ems zu kom­men, hat­te schon ei­ne ge­wis­se Lo­gik. Ich bin in Frank­furt auf­ge­wach­sen und ha­be da in den 90er-Jah­ren das Fritz Bau­er In­sti­tut, ein Stu­di­en- und Aus­stel­lungs­zen­trum zum The­ma Ho­lo­caust, auf­ge­baut. Ziem­lich rasch nach der Gründung des JMH 1991 ha­ben wir in Frank­furt er­fah­ren, dass es in Ho­hen­ems ein span­nen­des, manch­mal fre­ches und of­fen­si­ve Fra­gen stel­len­des Mu­se­um gibt, das an The­men in­ter­es­siert ist, die uns auch in Frank­furt be­weg­ten. So schick­ten wir un­se­re Wan­der­aus­stel­lun­gen in der Re­gel auch nach Ho­hen­ems. Als mei­ne Frau und ich in die­sem Zu­sam­men­hang 1994 erst­mals nach Ho­hen­ems fuh­ren, fan­den wir den Ort schon ir­gend­wie span­nend. Es war Win­ter, wir sind durch den Schnee spa­ziert und ha­ben am Fun­ken­sonn­tag ei­ner «He­xen­ver­bren­nung» bei­gewohnt. Wir ha­ben al­so auch merk­würdi­ge Din­ge ge­se­hen (lacht).

Und das hat euch da­zu be­wo­gen her­zu­zie­hen?

Vor al­lem ha­ben wir den Mut und die Klug­heit die­ses Mu­se­ums be­wun­dert in die­sem da­mals noch ziem­lich tris­ten Ho­hen­ems, wo die Sat­tel­schlep­per mit­ten durch das Zen­trum fuh­ren. Mitt­ler­wei­le kann man hier gut fla­nie­ren, es hat sich ei­ni­ges zum Gu­ten ve­rändert. Und Ho­hen­ems war na­he an den Al­pen, mit de­nen mei­ne Frau und ich un­ab­hängig von­ein­an­der Fe­ri­en­er­in­ne­run­gen aus der Kind­heit ver­ban­den. Ab 1994 mach­ten wir dann mit un­se­ren Kin­dern je­des Jahr Ur­laub in Sa­pün-Dörf­ji, das war un­ser Bul­ler­bü in den Ber­gen. Und auf dem Weg lag im­mer Ho­hen­ems.

Wie wur­den Sie Lei­ter des JMH?

Ei­gent­lich hätte ich im Herbst 2003 bloss ei­ne Eröff­nungs­re­de für ei­ne Aus­stel­lung hal­ten sol­len. Doch der Som­mer hat­te wei­ter­rei­chen­de Ent­schei­dun­gen mit sich ge­bracht. Im Frühling wur­de die Stel­le des Mu­se­ums­lei­ters aus­ge­schrie­ben, ich be­warb mich und er­hielt nach zwei In­ter­views den Zu­schlag. So ka­men wir im Ok­to­ber 2003 zum Schnup­pern hier­her.

Wuss­ten Sie, dass Sie so lan­ge hier­blei­ben würden?

Uns war schon be­wusst, dass das hier vor­erst kein Ab­lauf­da­tum kennt. Wir wuss­ten aber nicht, wie lan­ge wir es hier aus­hal­ten würden. Ent­schei­dend war auch, dass mei­ne Frau bald ei­ne gu­te Stel­le am Gym­na­si­um in Bre­genz fand. Wir konn­ten uns gut auf das Le­ben hier und die Ge­sell­schaft mit all ih­ren Wi­der­sprüchen ein­las­sen, teils viel­leicht fast et­was zu gut.

Wie mei­nen Sie das?

2009 gabs so ei­nen Schlüssel­mo­ment. Da­mals war Wahl­kampf in Vor­arl­berg und der FPÖ-Spit­zen­kan­di­dat und Lan­des­rat führ­te ei­ne hef­ti­ge, aus­länder­feind­li­che Kam­pa­gne. Be­ra­ten wur­de die Vor­arl­ber­ger FPÖ da­mals übri­gens vom SVP-Spin­dok­tor Alex­an­der Se­gert. Sie galt bis da­hin ei­gent­lich im­mer als der prag­ma­ti­sche wirt­schafts­li­be­ra­le Teil der Par­tei und we­ni­ger als ideo­lo­gisch auf­ge­la­de­ner Par­tei­f­lügel um Jörg Hai­der. Wir als Mu­se­um ha­ben dem FPÖ-Spit­zen­kan­di­da­ten ein paar kri­ti­sche, auch iro­ni­sche Fra­gen ge­stellt zu sei­nen Pla­ka­ten, zum Bei­spiel zu je­nem, auf dem stand, dass es El­tern­geld nur für «hei­mi­sche Fa­mi­li­en» ge­ben sol­le, um die an­geb­li­che is­la­mi­sche Über­frem­dung ein­zu­dämmen. Wir frag­ten, wer für ihn «hei­misch» sei, und ga­ben ver­schie­de­ne Ant­wor­ten zum An­kreu­zen. Sei­ne Re­ak­ti­on dar­auf war, mir an ei­ner TV-Wahl­ver­samm­lung aus­zu­rich­ten, dass ich mich als «Exil­ju­de aus Ame­ri­ka», der ein hoch­sub­ven­tio­nier­tes Mu­se­um be­trei­be, hier mal nicht in die in­ne­ren An­ge­le­gen­hei­ten und in den Wahl­kampf ein­mi­schen sol­le.

Wie hiess der Po­li­ti­ker?

Das war Die­ter Eg­ger. Heu­te ist er Bürger­meis­ter von Ho­hen­ems und hat sich ziem­lich ge­wan­delt. Da­mals flog er auf­grund die­ses Eklats aus der Lan­des­re­gie­rung, der da­ma­li­ge Lan­des­haupt­mann von der ÖVP hat die Zu­sam­men­ar­beit mit der FPÖ ver­wei­gert, weil man die Aus­sa­ge nicht zu­rück­neh­men woll­te. Später, als Eg­ger ent­schied, Bürger­meis­ter von Ho­hen­ems wer­den zu wol­len, hat er sich öffent­lich und in al­ler Form bei mir ent­schul­digt. Das war, hat­te ich den Ein­druck, durch­aus auf­rich­tig und ernst ge­meint. Seit­dem fällt er nicht mehr mit frem­den­feind­li­cher Agi­ta­ti­on auf, im Ge­gen­teil: Er ist manch­mal in Flücht­lings­fra­gen of­fe­ner und an­er­ken­nen­der als man­che Po­li­ti­ker:in­nen an­de­rer Par­tei­en. Und er hat er­kannt, dass das Jüdi­sche Mu­se­um und das gan­ze jüdi­sche Vier­tel wich­ti­ge Im­pul­se für die Stadt­ent­wick­lung ga­ben.

Entschuldigung

Die­ter Eg­gers öffent­li­che Ent­schul­di­gung an Han­no Loe­wy im aus­zugs­wei­sen Wort­laut: «Im Wahl­kampf 2009 kam es von mei­ner Sei­te zu ei­ner Äus­se­rung Ih­nen ge­genüber, de­ren Trag­wei­te mir da­mals nicht voll be­wusst war. Es steht und stand mir zu kei­ner Zeit zu, Ih­nen das Recht, sich po­li­tisch in die­sem Land zu äus­sern, in ir­gend­ei­ner Form ab­zu­spre­chen. Es ist mir kei­nes­falls dar­um ge­gan­gen, Res­sen­ti­ments zu be­die­nen. Mei­ne Äus­se­rung war aber miss­ver­s­tänd­lich und un­an­ge­bracht. Ich ha­be Sie und vie­le an­de­re Men­schen da­mit ver­letzt. Ich möchte mich da­her in al­ler Form bei Ih­nen für die­se Äus­se­rung ent­schul­di­gen und hof­fe, dass Sie mei­ne Ent­schul­di­gung an­neh­men.»

Das Mu­se­um hat hier in der Pro­vinz ei­ne an­de­re Wir­kung, als wenn es im «ro­ten» Wien ste­hen würde.

Es gibt in Wien auch ein Jüdi­sches Mu­se­um, aber das ist et­was an­de­res. Als das JMH in den 90ern in die Kri­se ge­riet – un­ter an­de­rem auch, weil sich kei­ne Lei­tung fand, die auch hier woh­nen woll­te –, hat man ein neu­es Leit­bild er­ar­bei­tet. Dar­in steht: «Das Mu­se­um hat ei­ne in­te­grie­ren­de und ir­ri­tie­ren­de Funk­ti­on.» Es steht auch dar­in, dass das Mu­se­um mit Iro­nie und Selbst­iro­nie ar­bei­ten soll. Das hat mich schon über­zeugt, als ich das JMH noch von aus­sen be­trach­te­te. Die­se Schu­le der Zwei­deu­tig­keit war schon ent­wi­ckelt im Haus.

Mi­lo Rau hat in sei­ner Lau­da­tio an­ge­tönt, dass die FPÖ – seit die­sem Jahr erst­mals stärks­te po­li­ti­sche Kraft in Öster­reich – dem Mu­se­um ei­ni­ges Un­ge­mach be­rei­tet hat. Was hat er da­mit ge­meint?

Al­so die FPÖ be­rei­tet ei­nem ja ganz all­ge­mein viel Un­ge­mach. Früher gab es im­mer mal wie­der An­grif­fe aufs Mu­se­um und Ver­su­che, das JMH auf die Rol­le ei­nes bra­ven Hei­mat­mu­se­ums zu­recht­zu­stut­zen. Als man in Vor­arl­berg dar­an ging, die Er­rich­tung von Mo­scheen zu er­schwe­ren, hak­ten wir ein. Die Be­gründung war, Ge­bäude müss­ten «orts­ty­pisch» sein. Wir ha­ben da­mals meh­re­re Ver­an­stal­tun­gen da­zu ge­macht, wie man «orts­ty­pi­sche Mi­na­ret­te» bau­en könn­te. In­ter­es­sant war später, dass mit der Ent­schul­di­gung von Die­ter Eg­ger ein Stück weit ei­ne an­de­re Qua­li­tät von Dis­kus­sio­nen möglich wur­de. Das Mu­se­um und auch sei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Hal­tung wur­de nicht mehr in­fra­ge ge­stellt.

Den­noch: Der Rechts­po­pu­lis­mus er­starkt, nicht nur in Öster­reich.

Das ist si­cher kei­ne öster­rei­chi­sche Ei­gen­heit, wenn man nach Frank­reich, Deutsch­land, nach Un­garn oder jetzt in die USA schaut. Das ist ja so spoo­ky: Man macht ge­zielt Stim­mung mit ei­ner Ideo­lo­gie, an die man sel­ber of­fen­bar nur teil­wei­se glaubt. Denn ge­ra­de auch in Vor­arl­berg ist man drin­gend auf Ar­beits­kräfte aus dem Aus­land an­ge­wie­sen. Das weiss auch die wirt­schafts­na­he FPÖ. Und trotz­dem wird ge­hetzt und auf die Pfle­ge der Tra­di­tio­nen als wich­tigs­tes In­te­gra­ti­ons­mo­ment ge­pocht, ein­zig zum Macht­er­halt, weil man da­mit ge­gen je­den Sinn und Ver­stand po­la­ri­sie­ren und mo­bi­li­sie­ren kann – und das er­folg­reich. Das Pro­blem ist, dass da­mit ständig ei­ne Bom­be ge­la­den wird, von der man nicht weiss, ob sie ein­mal hoch­geht.

Die Auf­merk­sam­keit des Mu­se­ums rich­tet sich auch auf die Ge­gen­wart. Wird in Zei­ten ei­nes es­ka­lie­ren­den Krie­ges in Ga­za und im Li­ba­non ein sol­cher Ak­tua­li­täts­be­zug für ein Mu­se­um wie das JMH noch dring­li­cher?

Das Mu­se­um ver­hielt sich schon im­mer po­li­tisch, aber nicht ta­ges­po­li­tisch. Wir son­dern nicht ständig ir­gend­wel­che Pres­se­erk­lärun­gen ab. Ab und zu nut­zen wir un­se­re So­cial-Me­dia-Ka­näle, wo wir zum Bei­spiel Lek­türe­emp­feh­lun­gen zu ak­tu­el­len The­men ver­lin­ken. Ei­ne Aus­nah­me war der 7. Ok­to­ber 2023. Da ha­ben wir zu­sam­men mit dem In­sti­tut für Is­la­mi­sche Theo­lo­gie der Uni­ver­si­tät Inns­bruck ei­ne Erk­lärung ab­ge­ge­ben, die weit­her­um be­ach­tet wur­de. Es hat sonst nicht vie­le ge­mein­sa­me Erk­lärun­gen aus wis­sen­schaft­li­chen Be­rei­chen ge­ge­ben, die sich mit dem Is­lam und dem Ju­den­tum be­fas­sen. Un­se­re Erk­lärung war auch die Ba­sis für die Bil­dungs­ar­beit, die wir in der Fol­ge auf­bau­ten. In Schul­klas­sen und Ju­gend­zen­tren ha­ben wir Ge­spräche ge­führt so­wie Lehr­per­so­nen und an­de­re Er­wach­se­ne wei­ter­ge­bil­det oder be­ra­ten. Über 1100 Per­so­nen ha­ben in den sechs Mo­na­ten nach dem 7. Ok­to­ber an un­se­ren Pro­gram­men teil­ge­nom­men.

Ha­ben die Ge­spräche ge­fruch­tet bei den Ju­gend­li­chen, die sich teils auf den Pau­sen­höfen blu­ti­ge Pro­pa­gan­da­vi­de­os hin und her schi­cken?

Ich glau­be, im Gros­sen und Gan­zen schon. Nicht im­mer. In ei­nem Ju­gend­zen­trum gab es schon mal ei­ne ver­schwo­re­ne Grup­pe, die die Sa­che Pa­lästi­nas zu ih­rer ei­ge­nen ge­macht hat. Die wa­ren zu kei­nem Ge­spräch be­reit und dann ging halt nichts. Aber sol­che Vor­komm­nis­se, bei de­nen man nicht we­nigs­tens ir­gend­wie ins Ge­spräch kam, blie­ben die Aus­nah­me. Und das ist das Wich­tigs­te: Es ist schon ein we­sent­li­cher Er­folg, wenn man ein Be­wusst­sein da­für schafft, dass man über das The­ma re­den kann und muss, dass un­ter­schied­li­che Blick­win­kel dar­auf aus­zu­hal­ten sind und dass die Rea­li­tät nicht so ein­sei­tig ist. Es gibt auf bei­den Sei­ten so viel von der Pro­pa­gan­da ge­woll­te Des­ori­en­tie­rung, die jeg­li­che Ge­spräche ver­hin­dert, dass man zu bei­den Sei­ten kri­ti­sche Di­stanz hal­ten muss. Der gan­ze post­ko­lo­nia­le Dis­kurs zum Bei­spiel, der ja durch­aus mal le­gi­ti­me The­men und wich­ti­ge kri­ti­sche Po­si­tio­nen her­vor­brach­te, ist mitt­ler­wei­le zu ei­nem Iden­ti­täts­dis­kurs ver­kom­men, den ich per­sönlich po­li­tisch eher rechts als links ver­or­te.

Sie spre­chen die un­re­flek­tier­te Über­nah­me von Ha­mas-Pro­pa­gan­da in ge­wis­sen lin­ken Krei­sen an?

Jüdin­nen und Ju­den ha­ben im­mer in Pa­lästi­na ge­lebt. Und im 19. Jahr­hun­dert ha­ben sich Men­schen al­ler Cou­leur dort nie­der­ge­las­sen. Sie al­le ha­ben ein Recht, dort zu le­ben. Ge­wis­se Leu­te le­gen ih­ren po­li­ti­schen For­de­run­gen aber die iden­ti­täre Be­haup­tung zu­grun­de, Pa­lästi­na sei so­zu­sa­gen na­türli­cher­wei­se ein ur-ara­bi­sches Land, in dem Jüdin­nen und Ju­den Frem­de sei­en. «Sied­ler-Ko­lo­nia­list:in­nen», die dort ei­gent­lich nicht hin­ge­hören. Die Fol­ge sind Ver­trei­bungs­fan­ta­sien: Pa­lästi­na müsse vom Wes­ten, vom Im­pe­ria­lis­mus, vom Zio­nis­mus be­freit wer­den.

Bei so viel Be­griffs­un­schärfe wird je­de De­bat­te un­möglich.

Ja, es wer­den so vie­le Dis­kur­se mit­ein­an­der ver­mischt und mo­ra­lisch auf­ge­la­den, dass al­len, die wi­der­spre­chen, mit Ag­gres­si­on be­geg­net wird. Mi­lo Rau hat in Wien ei­nen Pro­zess ver­an­stal­tet, bei dem auch ei­ne jüdi­sche Ak­ti­vis­tin und ein BDS-Ak­ti­vist (sie­he In­fo­box) als Zeug:in­nen ein­ge­la­den wa­ren. Bei­de ver­wei­ger­ten sich je­dem Dia­log, ha­ben ih­re State­ments ab­ge­le­sen und sind ge­gan­gen. Sie stan­den wohl auch un­ter Grup­pen­druck, der in­di­vi­du­el­le Aus­ein­an­der­set­zung nicht to­le­riert. Sie hiel­ten es nicht für nötig, der an­de­ren Per­son we­nigs­tens zu­zu­hören, weil sie über­zeugt sind, im Recht zu sein. Die­se Ge­sprächs­ver­wei­ge­rung ist ei­ne Form von Ge­walt, die zwangs­läufig wei­te­re Ge­walt­for­men nach sich zieht. Das ist ein Grund­pro­blem in die­sem Kon­flikt. Auf bei­den Sei­ten übri­gens!

BDS

Die so­ge­nann­te BDS-Be­we­gung (Boy­kott, Dive­st­ment, Sank­tio­nen) ist ei­ne trans­na­tio­na­le Kam­pa­gne, die den Staat Is­ra­el wirt­schaft­lich, kul­tu­rell und po­li­tisch iso­lie­ren will. 2005 for­mu­lier­te sie ih­re Zie­le, dar­un­ter die For­de­rung, dass Is­ra­el die «Ok­ku­pa­ti­on und Ko­lo­ni­sie­rung al­len ara­bi­schen Lan­des» be­en­den und «Grund­recht sei­ner ara­bisch-pa­lästi­nen­si­schen Bürger auf vol­le Gleich­heit» an­er­ken­nen müsse. Die For­schung ist ge­teil­ter An­sicht, ob die For­de­run­gen an­ti­se­mi­tisch sei­en. Führen­de Köpfe der Be­we­gung be­strei­ten das Exis­tenz­recht Is­ra­els.

Wel­che Nach­rich­ten er­rei­chen Sie aus dem Kon­flikt­ge­biet von Fa­mi­lie und Freund:in­nen?

Ich ha­be nicht mehr vie­le Ver­wand­te in Is­ra­el. Aber ich ha­be sehr vie­le Freund:in­nen, mit de­nen ich in Kon­takt ste­he. Sie wer­den an­ge­sichts der po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Is­ra­el kom­plett de­pres­siv. Ei­ne gros­se Re­si­gna­ti­on macht sich breit, und wer kann, ver­sucht für sich oder zu­min­dest die Kin­der ir­gend­wie eu­ro­päische Pässe zu or­ga­ni­sie­ren. Früher ha­ben noch vie­le den My­thos vor sich her­ge­tra­gen, Is­ra­el sei ein si­che­rer Ha­fen für al­le Jüdin­nen und Ju­den und die­sen müsse man ver­tei­di­gen.

Dass Is­ra­el kein si­che­rer Ha­fen mehr ist, ist nicht nur den Be­dro­hun­gen von aus­sen ge­schul­det.

Die in­ner­is­rae­li­sche Dy­na­mik trägt ih­ren Teil da­zu bei. Und es wird nicht bes­ser. Auch nicht da­durch, wenn man die gan­ze Zeit so tut, als sei Is­ra­el bloss das Op­fer. Vie­le, die ich ken­ne, wol­len nur noch weg, weil sie die De­mo­kra­tie in Ge­fahr se­hen. Die is­rae­li­sche De­mo­kra­tie­be­we­gung war gross, be­ein­dru­ckend gross und sie ist es bis heu­te. Aber ein Gross­teil da­von kämpft im­mer noch für ei­ne «jüdi­sche De­mo­kra­tie», oh­ne zu rea­li­sie­ren, dass da­mit das ei­gent­li­che Pro­blem der is­rae­li­schen De­mo­kra­tie ver­drängt wird. Man kann nicht für ei­ne Vier­fünf­tel-De­mo­kra­tie kämp­fen oder – wenn wir den Ga­za-Strei­fen und die West­bank da­zu­rech­nen, qua­si «from the ri­ver to the sea» – ei­ne hal­be De­mo­kra­tie. Denn es le­ben dort gleich vie­le jüdi­sche Is­rae­li wie ara­bi­sche Pa­lästi­nen­ser:in­nen. Doch so­lan­ge es auf bei­den Sei­ten kei­ne Be­reit­schaft da­für gibt, dass al­le Men­schen dort gleich­be­rech­tigt und sou­ve­rän mit­ein­an­der le­ben können, kommt man ei­ner Lösung des Kon­flikts nicht näher. Un­ab­hängig da­von, ob es zwei Staa­ten sind oder nicht. Wer «Pal­es­ti­ne will be free» skan­diert, will die Ver­trei­bung der Jüdin­nen und Ju­den. Und um­ge­kehrt ist die an­hal­ten­de und ag­gres­si­ve jüdi­sche Be­sied­lung der West­bank ein deut­li­ches Si­gnal, dass man an ei­ner ech­ten Zwei­staa­ten­lösung kein In­ter­es­se hat. Is­ra­el will das West­jor­dan­land schlu­cken und das wird un­um­kehr­bar sein.

«Man tut so, als ob man Gott wäre. Aber Gott ist nicht im Spiel.»

Ha­ben Sie die Hoff­nung auf ei­ne Zwei­staa­ten­lösung auf­ge­ge­ben?

Ich muss ge­ste­hen, ich glau­be nicht mehr dar­an. Ich glau­be, dass ei­ne Art von Teil­sou­ve­räni­tät nötig sein wird. Viel­leicht ir­gend­wie nach Schwei­zer Vor­bild, wo die Kan­to­ne ei­ne kul­tu­rel­le Sou­ve­räni­tät be­sit­zen, aber zum Bei­spiel kei­ne mi­li­täri­sche. Man kann mir vor­wer­fen, das sei il­lu­so­risch und na­iv. Na­türlich ist das heu­te weit weg von der Rea­li­tät. Kei­ne Il­lu­si­on ist aber, dass die Be­sied­lung der West­bank wei­ter­geht und weit und breit nie­mand in Sicht ist, der dies ernst­haft ver­hin­dert. Das Re­sul­tat ist ein Staat un­ter is­rae­li­scher Sou­ve­räni­tät. Die Fra­ge ist nur, was ist das für ein Staat. Und die­se Fra­ge zu stel­len, ist über­haupt nicht na­iv, son­dern rea­lis­tisch. Es gibt Ne­bel­ker­zen, nai­ve Vor­schläge, man könn­te ja ein paar Ge­bie­te ab­tau­schen, ein biss­chen um­sie­deln und die Land­kar­te neu zeich­nen. Man tut so, als ob man Gott wäre. Aber Gott ist nicht im Spiel. Aus­ser Ge­walt und Bürger­krieg kommt da­bei nichts raus, das zei­gen al­le his­to­ri­schen Bei­spie­le. Wenn man die Sied­ler:in­nen ge­walt­sam zu­rück­ho­len woll­te, gäbe es ei­nen in­ner­is­rae­li­schen Bürger­krieg. Und ei­ne ech­te, gleich­be­rech­tig­te Zwei­staa­ten­lösung oh­ne vol­le pa­lästi­nen­si­sche Sou­ve­räni­tät – zu der wohl auch ei­ne ei­ge­ne Ar­mee ge­hörte – würde auf ara­bi­scher Sei­te nie­mand ak­zep­tie­ren. Al­so, das sind nur Il­lu­sio­nen, Täuschungs­ma­növer.

Mit der ak­tu­el­len is­rae­li­schen Re­gie­rung scheint kei­ne Lösung möglich.

Das ist ja nicht ein­mal der Punkt. Es wird auch wie­der an­de­re Re­gie­run­gen ge­ben. Die Fra­ge ist, ob sie an­de­re Vi­sio­nen hat. Lan­ge leb­te man in der Il­lu­si­on, es ge­be so et­was wie ei­nen Sta­tus quo, den es zu ver­tei­di­gen gel­te. Die­ser Sta­tus quo war aber ei­ne schie­fe Ebe­ne. Nein, ich ha­be kei­ne Hoff­nung, dass sich ir­gend­wann ei­ne ernst­haf­te Zwei­staa­ten­lösung mit vol­ler Sou­ve­räni­tät um­set­zen lies­se. Nie­mand will das wirk­lich, aus­ser Po­li­ti­ker:in­nen in Eu­ro­pa, die sich da­mit trösten und da­vor schützen wol­len, der Rea­li­tät ins Au­ge zu se­hen. Die Au­to­no­mie­ge­bie­te un­ter is­rae­li­scher Kon­trol­le wären lang­fris­tig so et­was wie ein Ban­tu­stan. Das wäre nur ei­ne neue Form des Kon­flikts. Kommt hin­zu, dass der Kon­flikt von aus­sen kräftig an­ge­heizt und bei­den Sei­ten das Ge­fühl ge­ge­ben wird, sie hätten das Vor­recht, dort zu le­ben. Wenn bei­de Sei­ten hin­ge­gen ak­zep­tie­ren würden, dass bei­de Be­völke­run­gen, die ja in sich to­tal viel­fältig sind, das Recht ha­ben, dort gleich­be­rech­tigt zu le­ben, wäre das ein ers­ter Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. Aber im Mo­ment steu­ern al­le ein­fach im­mer wei­ter in die Sack­gas­se hin­ein.

Die Stim­men von aus­sen hel­fen hier auch we­nig, bei­spiels­wei­se wenn der Schwei­zer alt Grünen­na­tio­nal­rat Ge­ri Müller die Bot­schaft der Ge­sell­schaft Schweiz-Pa­lästi­na ver­tei­digt, dass der Ha­mas-Führer und Haupt­ver­ant­wort­li­che für die Ter­ror­at­ta­cken vom 7. Ok­to­ber, Ya­hya Sin­war, ei­ne Iko­ne des Wi­der­stands sei.

Das sind al­les Leu­te, die, aus wel­chen Gründen auch im­mer, ihr Ego da­mit auf­pum­pen, Öl ins Feu­er zu gies­sen. Ein an­de­res Bei­spiel ist der deut­sche Ex-Grünen­po­li­ti­ker Vol­ker Beck, der Präsi­dent der Deutsch-Is­rae­li­schen Ge­sell­schaft. Der macht ge­nau das­sel­be, nur auf der an­de­ren Sei­te.

Wo­her kommt der Man­gel an Em­pa­thie für das Leid der Ge­gen­sei­te, über den der­zeit viel ge­schrie­ben und ge­spro­chen wird?

Em­pa­thie ist ein Ge­walt­blo­cker. Den muss man aus­schal­ten, wenn man den Kon­flikt am Le­ben er­hal­ten will.

Vie­len scheint es leicht zu fal­len, den Ge­walt­blo­cker aus­zu­schal­ten.

Bei­de Sei­ten be­die­nen sich di­ver­ser De­le­gi­ti­mie­rungs­stra­te­gien. Die ei­nen sa­gen, die Jüdin­nen und Ju­den sei­en Sied­ler-Ko­lo­nia­lis­ten und Ver­schwörer hin­ter den Welt­mäch­ten, die an­de­ren sa­gen, oh­ne die jüdi­sche Sied­lungs­tätig­keit hätte sich das zu­vor dünn be­sie­del­te Ge­biet gar nicht zu ei­nem so pro­spe­rie­ren­den Land ent­wi­ckelt und in der Fol­ge so vie­le Ara­ber:in­nen an­ge­lockt. Bis hin zur völlig ab­stru­sen, aber in vie­len Köpfen vor­han­de­nen Be­haup­tung, Pa­lästi­na sei ein Land oh­ne Volk ge­we­sen, oder de­nen, die glau­ben, das Land sei den Ju­den von Gott ver­spro­chen wor­den und bas­ta. Die­se De­le­gi­ti­mie­rungs­stra­te­gien wen­den auch je­ne an, die den Kon­flikt­sei­ten von aus­sen den Rücken stärken.

Was kann ein Mu­se­um, das knapp 3000 Ki­lo­me­ter von Is­ra­el ent­fernt liegt, da­ge­gen un­ter­neh­men? Was kann es zur Kon­flikt­lösung bei­tra­gen?

Wir können den Blick frei­le­gen auf Rea­li­täten, die heu­te aus ideo­lo­gi­schen Gründen zu­ge­schüttet sind. Ich fin­de, un­se­re ak­tu­el­le Aus­stel­lung über ara­bisch-jüdi­sche Iden­ti­täten ist ein sehr gu­tes Bei­spiel für un­se­re in­te­grie­ren­de und ir­ri­tie­ren­de Her­an­ge­hens­wei­se. Sie zeigt, dass ara­bi­sche und jüdi­sche Kul­tu­ren kei­nes­wegs im­mer ein Ge­gen­satz wa­ren. Sie zeigt aber auch ei­nen Aspekt auf, der im post­ko­lo­nia­len Dis­kurs ger­ne aus­ge­blen­det wird: Dass eben nicht al­le Jüdin­nen und Ju­den aus Eu­ro­pa ka­men, son­dern dass un­ge­fähr die Hälf­te der jüdi­schen Be­völke­rung Is­ra­els ara­bi­sche und per­si­sche Wur­zeln hat und da­mit kul­tu­rell ähn­li­che wie die Pa­lästi­nen­ser:in­nen, die auch nicht al­le aus dem Land sel­ber stam­men, son­dern oft aus Ägyp­ten, Sy­ri­en, Li­ba­non, Jor­da­ni­en, Iran, Irak, Ma­rok­ko, Sau­di-Ara­bi­en. Die­se ara­bi­schen und per­si­schen Jüdin­nen und Ju­den ha­ben ih­rer­seits oft ge­nug auch ei­ne Ge­schich­te von Ver­trei­bung er­lebt. Ih­re meist un­frei­wil­li­ge Mi­gra­ti­on nach Is­ra­el wur­de dann wie­der­um pro­pa­gan­dis­tisch ins Po­si­ti­ve ge­dreht: «Sei nicht trau­rig, dass du Bag­dad ver­las­sen muss­test, sei froh, jetzt hier im ge­lob­ten Land zu sein!» Und da­mit hat man ih­nen auch in Is­ra­el ih­re Ge­schich­te und Kul­tur ge­nom­men.

«Für die arabischen Jüdinnen und Juden gibts keine Rückfahrkarte. Und so wählen sie mehrheitlich rechtsnational.»

Was be­deu­te­te das für die ara­bi­schen Ju­den und Jüdin­nen?

Sie gal­ten lan­ge und teils bis heu­te als Ju­den und Jüdin­nen zwei­ter Klas­se. Das trug we­sent­lich zur in­ner­is­rae­li­schen Ge­spal­ten­heit bei. Je­ne mit eu­ro­päischen Wur­zeln, die eher als li­be­ral gel­ten, hat­ten und ha­ben teils nur Ver­ach­tung für die ara­bi­schen Jüdin­nen und Ju­den übrig. Sie ha­ben zu­min­dest we­sent­lich bes­se­re Chan­cen auf ei­nen EU- oder sonst ei­nen west­li­chen Pass, sie ha­ben ei­nen Plan B, falls es in Is­ra­el ein­mal gar nicht mehr geht. Für die ara­bi­schen Jüdin­nen und Ju­den gibts kei­ne Rück­fahr­kar­te. Und so wählen sie mehr­heit­lich rechts­na­tio­nal. Aus ih­rer Sicht sind die li­be­ra­len eu­ro­päischen Jüdin­nen und Ju­den ver­ant­wor­tungs­lo­se Spin­ner, die ab­hau­en sol­len, wenn sie sich nicht an der Ver­tei­di­gung ih­res Lan­des be­tei­li­gen wol­len.

Zu­rück in un­se­re Grenz­re­gi­on: Am Al­ten Rhein ist ein neu­es Ge­denk- und Ver­mitt­lungs­zen­trum an­ge­dacht, ein «Schwei­zer Me­mo­ri­al für die Op­fer des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus». Der Kan­ton St.Gal­len hat sich beim Bund da­für be­wor­ben. Das JMH spielt da­bei ei­ne wich­ti­ge Rol­le.

Für uns ist es ge­wis­ser­mas­sen die Wei­ter­führung un­se­res 100 Ki­lo­me­ter lan­gen Fahr­rad­wegs mit den di­ver­sen Hörsta­tio­nen, wo man Ge­schich­ten von Ge­flüchte­ten und Flucht­hel­fer:in­nen er­fährt. Die­ser ent­stand während der Co­ro­na­zeit, als wir uns nebst den Führun­gen dem Rhein ent­lang wei­te­re Out­door-Ak­ti­vi­täten ein­fal­len las­sen muss­ten. 2022 wur­de der Rad­weg eröff­net, 2023 ha­ben wir das Buch da­zu präsen­tiert. Während wir noch am Buch ar­bei­te­ten, mel­de­te sich der Kan­ton St.Gal­len bei uns. Man über­le­ge sich ei­ne Be­wer­bung für das ge­plan­te Schwei­zer Me­mo­ri­al für die NS-Op­fer, ob sich das Mu­se­um in ir­gend­ei­ner Form be­tei­li­gen wol­le.

Was war die Ant­wort?

Wir fan­den die Idee ei­nes Me­mo­ri­als, das über blos­se sym­bo­li­sche Ges­ten hin­aus­geht, grund­sätz­lich span­nend. Und wir wa­ren uns ei­nig, dass das ei­gent­li­che The­ma die­ser Zeit für die Schweiz der Um­gang mit Ge­flüchte­ten ist. Nicht nur – aber viel­leicht erst recht – aus Sicht ei­nes Grenz­kan­tons. Das hat man im Kan­ton auch so ge­se­hen. So kam es zu ei­ner Ko­ope­ra­ti­on, an der auch der Schwei­ze­ri­sche Is­rae­li­ti­sche Ge­mein­de­bund we­sent­lich be­tei­ligt ist. Wir ha­ben vor gut ei­nem Jahr mit Bar­ba­ra Thimm ei­ne Per­son ein­stel­len können, die sich als Pro­jekt­lei­te­rin mit dem gren­züber­schrei­ten­den Ver­mitt­lungs­ort am Al­ten Rhein be­schäftigt. Sie ist für uns ein ab­so­lu­ter Glücks­fall, sie hat schon viel­fälti­ge Er­fah­rung in Ge­denks­tätten­ar­beit und zu­letzt et­wa am Geno­ci­de Me­mo­ri­al in Phnom Penh mit­ge­wirkt.

Wie ist der Stand heu­te?

Im Som­mer ha­ben wir in St.Gal­len ei­ne Ta­gung mit 100 Teil­neh­men­den ver­an­stal­tet. Das war ein High­light. Sie fand in je­nen Hoch­schul­räum­en statt, wo da­mals die Men­schen aus dem The­re­si­en­stadt-Trans­port un­ter­ge­bracht wor­den wa­ren. Auf der Ta­gung ka­men schweiz­weit wich­ti­ge Ak­teu­re mit­ein­an­der ins Ge­spräch. Na­türlich gibt es un­ter­schied­li­che In­ter­es­sen, aber man hat sich po­li­tisch mitt­ler­wei­le auf ein Denk­mal in Bern und ein Ver­mitt­lungs­zen­trum in Die­pold­sau ge­ei­nigt. Die ent­spre­chen­de Kul­tur­bot­schaft soll­te der Bun­des­rat im De­zem­ber ver­ab­schie­den. Dann kann die kon­zep­tio­nel­le Aus­ar­bei­tung im Ja­nu­ar be­gin­nen. Ein Teil da­von wird si­cher ei­ne Aus­stel­lung in ei­nem Ge­bäude un­mit­tel­bar an der Gren­ze sein. Im Zen­trum steht die Ge­schich­te der Ge­flüchte­ten, hier an der Gren­ze. Aber es geht zu­gleich um die Ge­schich­te al­ler Schwei­zer Gren­zen in je­ner Zeit, um den Um­gang der Schwei­zer Ge­sell­schaft mit Flucht und Asyl, um Flucht­hel­fer:in­nen und Be­hörden, aber auch um die Öffent­lich­keit je­ner Jah­re. Und um das Er­le­ben der Grenz­land­schaft, mit Ver­bin­dung zum Hörweg an den Rad­rou­ten, der sich dort ent­lang zieht.

Und wo­hin steu­ert das JMH in Zu­kunft?

2026 ge­he ich in Ren­te, wo­hin das Mu­se­um da­nach steu­ert, müssen mei­ne Nach­fol­ger:in­nen ent­schei­den. Ich wer­de je­den­falls nicht am Ses­sel kle­ben blei­ben, das tut we­der mir noch dem Ses­sel noch dem Mu­se­um gut. Was si­cher­lich an­steht, sind bau­li­che Mass­nah­men. Wir ha­ben letz­tes Jahr erst­mals über 20'000 Gäste ver­zeich­net und die­ses Jahr wer­den es nicht we­ni­ger sein. Räum­lich stos­sen wir da lang­sam an Gren­zen und wir müssen uns über­le­gen, wo man noch an- oder aus­bau­en könn­te. Die­ser Pro­zess ist in Gang ge­setzt und, bis ich pen­sio­niert wer­de, hof­fent­lich auch auf dem Weg.

 

Ak­tu­el­le Son­der­aus­stel­lung im JMH
«Yal­la–Ara­bisch- jüdi­sche Be­rührun­gen»: bis 24. Au­gust

Be­frei­ung und Scham – Ho­lo­caust-Ge­denk­tag mit Han­no Loe­wy: 27. Ja­nu­ar, 18 Uhr, Mu­se­um Pre­st­egg, Altstätten. Ab Au­gust 2025 gibt es eben­da in Zu­sam­men­ar­beit mit dem JMH ei­ne Son­der­aus­stel­lung über die Zeit des Zwei­ten Welt­kriegs im St.Gal­ler Rhein­tal.

jm-ho­hen­ems.at