«Get back to where you once belonged»

Seit 30 Jahren stehen The Roman Games aus Rorschach auf der Bühne. Das soll mit einem Konzert vor dem Treppenhaus gefeiert werden und am 14. August in der Kleberei Rorschach. Ex-Mariaberg-Booker Marco Kamber hat sich mit Games-Frontmann Roman Elsener unterhalten.
Von  Marco Kamber
The Roman Games 2020: Peter Niedermaier, Roman Elsener, Thomas Gschwend, Christoph Walzl. (Bild: pd)

Heute Abend spielen The Roman Games mit und um Roman Elsener ein Konzert auf der «Piazza» vor dem Treppenhaus Rorschach. Es ist ein Heimkehr-Konzert im wahrsten Sinne. Der Rorschach/New Yorker Journalist hat den Schlüssel seiner Wohnung in Brooklyn noch am Bund, freut sich aber, in der gegenwärtigen Situation in Rorschach wieder vermehrt Fuss zu fassen. «Alles was New York für mich ausmachte, gibt es zur Zeit nicht mehr», sagt er.

Ein Gespräch zu den letzten Jahren und Monaten von zwei Ausland-Rorschachern, denen die Hafenstadt am Herzen liegt, über das Rückkehren, die Misere und das Potential von Gross- und Kleinstädten – und Musik, die passende Metaphern liefert.

Marco: Wir trafen uns zum ersten Mal vor elf Jahren, und zwar im Mariaberg, wo ich damals Konzerte veranstaltete. Du warst gerade im Land, es war um Weihnachten. Nach einem Drink dann dein Versprechen: Man könne dich jederzeit in New York besuchen. Zusammen mit Niklaus, meinem damaligen Mariaberg-Booker-Kollegen und zwei Stangen Duty Free Marlboros als Gegenleistung für die Loge, landeten wir im Hochsommer.

Roman: Ich teilte die Wohnung in Williamsburg, Brooklyn, damals mit der Sängerin Kerry Kennedy und dem Bassisten Christian Bongers. Musik war allgegenwärtig, in den zahlreichen Clubs, aber auch in langen Jam-Nächten in unserer Stube. Dann wurde Williamsburg von einem Bau-Boom überrollt. Die neuen Mieter wollten ihre Ruhe – die meisten Live-Clubs sind unterdessen zu. Die Szene ist weiter gezogen nach Bushwick – und dann mit dem Lockdown im März ganz verschwunden.
Wie und wann sie wohl wieder erwachen wird? Wer es sich leisten kann, hat die Stadt verlassen und lebt mit Kind und Kegel im Sommerhaus am Beach oder im Grünen. Was die Metropole ausmachte – das diverse, lebendige Kulturleben, in dem sich die ganze Welt in die Arme läuft – gibt es einfach nicht mehr.

Marco: Ein harter Kontrast zu meinem ersten Besuch in New York. Ich hatte nur eine abstrakte Ahnung, was mich erwarten würde, wusste aber als Fan vieler New Yorker Bands, dass ich in ein Mekka reise. So war es dann auch: Beim ersten Frühstück trafen wir zufällig den Gitarristen von Adam Green, der ein Jahr vorher bei deren Konzert und Aufenthalt in Rorschach vor Frau Togni demonstrieren musste, dass er auch wirklich schwimmen konnte. Jeffrey Lewis sass am anderen Tag allein an einer Bar mit einem Glas Whiskey. Wir waren auf einer Party in einer Lagerhalle, wo der heute zurecht gehypte und in der BLM-Bewegung sehr aktive Devonté Hynes (heute Blood Orange) noch seltsame Indiefolk-Lieder spiele. Du gingst die Woche The Church hören, und wir sahen an einem Nachmittag beim Battery Park The Pains of Being Pure at Heart. Dass deine Hausgenossen, die «zwei Schwestern mit dem elenden Katzengejaul», wie du sie nanntest, CocoRosie waren, löste bei mir fast eine Fan-Psychose aus. Die von mir fabrizierte Wunderwelt wurde plötzlich ein bisschen zu real.

 

Das Quintett ROOM in New York City, 2006: Bernd Figner, Jean-Cosme Delaloye, Martial Vivot, Roman Elsener, Jan Haux. (Bild: pd)

Roman: Die Nullerjahre waren musikalisch eine spannende Zeit in New York: The Strokes waren gross und alle ihre Freundinnen und Freunde starteten auch eine Band. Ich war mit dem Quintett ROOM unterwegs und veranstaltete einen wöchentlichen Liveabend im «Delancey» an der Houston Street. Oft gelang es mir auch Schweizer Musiker unterzubringen, die auf Besuch kamen – von St.Crisco (später die Stahlberger-Band) über Disco Doom, Taimashoe bis zu den Painhead, einer der besten und langlebigsten Bands, die je aus Rorschach kamen und gerade jetzt wieder ein Video am Start haben, dass viral gehen sollte!

 

Marco: Letztens habe ich bei mir zuhause die Platte «Songs for Drella» von Lou Reed und John Cale gefunden, die ich bei meinem Besuch in einem Plattenladen in Williamsburg gekauft hatte. Das Album ist eine Ode an deren Freund Andy Warhol. Der Song «Small Town» ist die perfekte Metapher für mein Wegziehen aus Small Town, oder später Small Country. Und vielleicht hat auch mein spätjugendlicher Besuch New Yorks mich unterschwellig dazu bewegt, später selber das Weite zu suchen. Wie war das bei dir eine halbe Generation früher?

 

Roman: Ich habe Rorschach immer gern gehabt, die Reiselust war weniger der Smalltown am Bodensee zu verschulden, sondern engstirnigen Schweizern und dem Wunsch, den Horizont zu erweitern. Mein Plan war es, nach Australien oder Neuseeland zu ziehen, wo damals so viel gute Musik her kam: The Church, The Go-Betweens, Crowded House, The Saints… Ich war kein grosser Fan von Amerika und auch kein Stadtmensch. Dann kam das Angebot, bei der New Yorker Staats-Zeitung zu arbeiten. Die Stadt hat mich mit offenen Armen empfangen und nicht mehr losgelassen.

Nächstes Konzert: 14. August, Kleberei Rorschach

kleberei.ch

In Freeport auf Long Island, wo Lou Reed aufgewachsen ist, habe ich übrigens später für eine andere deutschsprachige Zeitung gearbeitet, die «Amerika Woche». Ich weiss nicht, ob das die Smalltown ist, die er besingt – es ist auf jeden Fall ein Kaff, aus dem man schleunigst raus muss! Als Gegenstück zu Smalltown steht für mich Get Back von den Beatles.

 

Mit ihnen hat musikalisch für mich alles begonnen – ich wurde im gleichen Jahr geboren wie Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band und The Roman Games entstanden aus der John Lennon Memorial Band, in der wir vor 30 Jahren zu Lennons zehntem Todestag Beatles-Lieder spielten. Und davon träumten, eigene Songs wie Lennon/McCartney zu schreiben.

Marco: Dann schliessen die Beatles mal wieder den Kreis – gerade mit ihrem Song?

Roman: «Get back to where you once belonged» passt gut zu meiner gegenwärtigen Lage, nun wo ich einen Schritt zurück nach Rorschach gemacht habe – auch wenn ich das andere Bein noch in New York habe.

Marco: Viele «Expats», auch um mich herum in Amsterdam, überlegen sich gegenwärtig den Rückzug nach wo immer sie einmal hingehörten. Man sagt, die gegenwärtige Situation verlangsamt alles, kann aber auch beschleunigen – nämlich Entscheidungen in Richtung Einfachheit, Sicherheit, oder zumindest weg von Unsicherheiten bezüglich dem Morgen.

 

KINO, eine Sovjet-Rockband die ich in der Zeit des öfteren gehört habe. Следи за собой – «Gib Acht auf dich», eigentlich ein eher generischer «Take care»-Song, der aber in der gegenwärtigen Zeit wieder ausgegraben und wegen einer Zeile, die Epidemien besingt, von vielen wieder zitiert wurde.

Roman: Dass es mich jetzt wieder nach Rorschach zieht, hat nicht nur mit Unsicherheiten, die die amerikanischen Politik unter Trump und das Coronavirus schafft, zu tun. Mit dem Älterwerden verschieben sich auch die Interessen ein wenig: Ich muss nicht mehr mit hunderten von gleichgesinnten Punks «Hey ho, let’s go» brüllen in einem überfüllten, stickigen Club, nicht mehr jeden Abend durch die Strassen streifen, immer auf der Suche nach der nächsten guten Geschichte. Ein Waldspaziergang oder ein Schwumm im See, Sternegucken am Lagerfeuer mit der Gitarre sind mir lieber. Und in diesem direkten Vergleich hat Rorschach die Nase vorn.

Marco: Die aktuelle Situation könnte ja Trigger sein, der das Grossstadtkonzept in Frage stellt. Kulturell liegen Grossstädte brach, und man geistert wie durch einen Freizeitpark, wo Attraktionen und Achterbahnen abgeschaltet sind. Vielleicht könnte die physische Grossstadtinfrastruktur sogar überflüssig werden. Arbeiten ist immer weniger ortsgebunden und Menschenansammlungen sind online möglich. Es scheint irgendwie, als achte man das Land wieder mehr, und das Potential das es birgt. Es bleibt alles gleich, aber trotzdem finden Verschiebungen statt. Wie Tocotronic schon früh mal besangen.

 

Roman: Wäre es nach Kolumban gegangen, wäre Rorschach die Stadt und St.Gallen das Dorf geworden. Rorschach hat Geschichte und Zukunftspotential. Das spielt im grossen Rahmen natürlich auch keine Rolle. Wie werden Städte sein, wenn sich die Pandemie gelegt hat? Alles vergessen und rein ins Getümmel? Werden sich die Reichen in keimfreien Dörfern abschotten wie im dystopischen Roman Globalia des französischen Diplomaten Jean-Christoph Rufin? Oder kommt die Menschheit etwas zur Ruhe? Freut sich wieder über handgemachte Musik, zimmert Möbel und zieht selber Gemüse? Fischt und segelt, statt im Internet zu surfen? Geht als Real Human Being auf lange Bergwanderungen? Auch dann hat Rorschach bessere Karten als New York.

 

Über New Yorker Freunde beim Label High Moon Records ist die Zusammenarbeit meiner Partnerin Michaela Müller mit Anna Samo und dem Singer/Songwriter Ryan Martin zustande gekommen. Der Song hat mir vor dem Lockdown-Frühling nicht viel gesagt. Jetzt – zusammen mit der beherzten New York Hommage, die Michaela und Anna geschaffen haben –, schlägt er ganz feine Saiten an.

Marco: Ich versuche mir vorzustellen, wie das Video von Michaela und Anna in Verbindung mit dem Song vor einem Jahr wahrgenommen worden wäre – Real Human Being und eine so weiche, zerbrechliche visuelle Ode an eure brausende Stadt. 
Es ist schwierig, eine Playlist zu erstellen, die nie mit gegenwärtigen Themen in Verbindung steht. Deshalb: Dein Soundtrack des Jahres?

Roman: Den passenden Soundtrack zur fiktiven Globalia-Dystopie liefern die Psychedelic Furs mit No One. Die Furs waren 1980 eine der coolsten Bands je, mit den besten Texten und Hooks. 28 Jahre musste man warten auf ein neues Album, jetzt ist es hier – Beweis (und Motivation), dass man auch mit dieser Art von Musik mit Stil und in Würde altern kann.