Gentrifizierungs- Fürze

Die Podiumsdiskussion zum Bahnhof Nord zeigte eine Politik, die sich selber aufgegeben hat – und eine offensichtliche Unzufriedenheit in der St.Galler Bevölkerung.
Von  Michael Felix Grieder

Das vom Heimatschutz organisierte Podium «Bahnhof Nord – Wie weiter?» war in vielen Dingen erhellend, konnte aber die Titelfrage kaum befriedigend beantworten. Nicht unwesentlich dabei war, dass Stadträtin Patrizia Adam sich darauf beschränkte, ihre komplizierten Aufgaben als Chefin der Baudirektion zu betonen oder gar nichts zu sagen.

Sätze wie «Da ich ja Juristin bin, weiss ich die Antwort [auf diese juristische Frage] nicht», sähten erste Zweifel an der Echtheit der Veranstaltung, schliesslich wird in der Lokremise sonst auch Theater gespielt. Die Neuigkeit des Tages, dass der Hogar Español ein halbes Jahr länger im Klubhaus wirten darf, wurde zufälligerweise nur Stunden zuvor kommuniziert von der Stadt; ein Glücksfall, wie Diskussionsleiterin Kathrin Hilber leicht ironisch bemerkte.

Mit dieser Neuigkeit wollte Frau Adam wohl auch trumpfen und kündigte an, dass man jetzt eine gemeinsame Lösung suche, die von vier Architekturbüros im Studienwettbewerb geplant werde. Ob diese vier aus St.Gallen kommen, weiss die Stadträtin nöd.

Wenn man sich nun fragt, wer davon sonst noch wissen könnte, wenn nicht unsere Baudirektorin, nehme man nochmals das nachmittägliche Communiqué mit folgenden Sätzen zur Hand: «Anschliessend an diese Planung werden die Familienausgleichskassen ihr Projekt für ein Geschäftshaus selbständig weiterverfolgen. Die Stadt wird für ihr Teilgebiet im östlichen Arealteil die Abgabe an einen Investor angehen, wobei auch öffentliche Nutzungen einbezogen werden sollen». – Eine etwas umständliche Formulierung für: Wir haben noch nicht entschieden, wer uns über den Tisch ziehen darf.

Aus dem Publikum wird gefragt, warum in aller Welt die Stadt nicht von ihrem Vorkaufsrecht beim Klubhaus Gebrauch gemacht habe, dann müssten jetzt kaum Gespräche geführt werden und die Stadt könnte freier planen. Weil «zu teuer» und der Unterhalt «unhaltbar», antwortet Adam. Eine schon fast dreiste Aussage: Die 1.5 Millionen fürs Klubhaus hätte St.Gallen vermutlich schon bei der Weihnachtsbeleuchtung wegsparen können. «Zu teuer» sind andere Projekte. Allerdings: Die Initiative zum Erhalt des Klubhauses wurde so vermieden. Man wird hier für blöd verkauft.

Adam will «ein möglichst gutes Ende» fürs Quartier finden, wobei man ihr das vermutlich glauben darf. Ein würdiger Tod also? Harakiri am Verhandlungstisch, oder doch lieber das Ende der politischen Stadt? Dabei waren an ebendiesem gutbesuchten Podium genügend Stimmen zu hören, die noch nicht resigniert haben und ihre Träume und Ideen aussprechen.

Architekt Thomas K. Keller zum Beispiel wünscht sich mehr Excellence im Bahnhof Nord, schliesslich werteten zerstückelte Bauten wie Leopard und KV Ost den Standort Lokremise eher noch ab, findet er, was ja nicht das Ziel sei. Nur beim Esprit dürfe man nicht sparen. Adam versteht Thomas‘ Argument und erinnert: «mir sind aber nöd elei» – da sind noch Bauherren und so. Politik habe aber doch immer mit Überzeugungsarbeit zu tun, mahnt Kathrin Hilber vom Heimatschutz.

Der Zürcher Städteplaner Michael Güller sieht hinter dem Bahnhof vor allem das grosse Potenzial. Man müsse dabei immer an die Fussgängerströme und Veloparkplätze der Zukunft denken, was bei der FHS nicht (oder zu wenig) geschehen sei. Da werden sich irgendwann rauchende Studierende mit Pendlerströmen den knappen Vorplatz teilen müssen.

Beim Exkurs in andere Städte macht Güller eine interessante Feststellung zu Zürichs Europaallee: Will man Leben im Quartier, reicht es nicht, in den EG’s ein paar Cafés zu platzieren. Man komme nicht daran vorbei, an ein gewisses Grundsubstrat zu denken. Es gehe darum, einen Mikrokosmos zu schaffen, mindestens zu ermöglichen.

Genau das ist es, was im Bahnhof Nord nicht passiert. Der Quartierverein wartet seit Monaten auf einen Fussgängerstreifen und eben: Das lebendige Klubhaus muss voraussichtlich weichen. FHS-Verwaltungsdirektor Carlo Höhener bemerkt mehrmals, dass man sich primär um akute eigene Probleme kümmern wolle. In Bälde würden die Räume im FHS-Neubau nämlich nicht mehr genügen, neue müssten her und möglichst direkt daneben.

Welche Leute denn mit einem Klubhaus-Ersatz angesprochen werden sollen, welche Visionen Adam hierbei habe, fragt das Publikum. Hotels vielleicht, Läden und Cafés, so ihre Antwort. Dass Hotels auch «Leute» sind, ist zwar neu – sonst sind sie doch immer Personen, juristische –, aber es war bei weitem nicht ihre schrägste rhetorische Wendung des Abends. Da gab es zum Beispiel auch Leute, «die sich noch selbst gehören» (Hauseigentümer) oder «guten Groove im Bahnhof-Nord Quartier».

Inwieweit Leblosigkeit und guter Groove miteinander übereinstimmen, wurde nicht erläutert an der Diskussion. Wäre das Ganze eine Theaterproduktion gewesen, gewisse Rollen hätten total übertrieben gewirkt. Trotz einiger Lacher verlassen viele Besucherinnen und Besucher die Veranstaltung kopfschüttelnd.