, 30. April 2022
keine Kommentare

Gemeinsam der Welt trotzen

Das neue Tanzstück des St.Galler Panorama Dance Theaters trägt einen schlichten Titel: «42». Dabei geht es dem fünfköpfigen Ensemble um nichts weniger als die grossen und kleinen Sinnfragen. Premiere war in Winterthur. Von Marlen Saladin

Auf dem Spielplatz des Lebens: Szene aus dem neuen Stück des Panorama Dance Theaters. (Bilder: Tanja Dorendorf)

In Douglas Adams‘ Per Anhalter durch die Galaxis ist 42 die Zahl, die ein Supercomputer auf die Frage nach dem Sinn des Lebens als Antwort errechnet hat. In Fangemeinschaften des Buches rund um den Globus ist viel über den Sinn dieser Zahl gerätselt und nach den komplexesten Erklärungen gegriffen worden.

Laut Adams selbst ist die Bedeutung aber – nichts. Eine zufällig festgelegte Zahl, die ihm passend vorkam. Wahrscheinlich ist es gerade diese Banalität, die einer Vielzahl von Antworten Platz gibt: ein Leerraum, in dem sich verschiedenste Interpretationen, Antworten und Spielarten der grossen Sinnfrage sammeln.

Das Panorama Dance Theater unter Leitung von Tobias Spori (Choreographie) und Ann Katrin Cooper (Regie) hat denn auch eher die Frage als die Antwort aufgegriffen: die Frage nach dem Sinn des Lebens – oder, etwas verdaulicher, die Frage, was das Leben sinnvoll macht. 42 Menschen wurden im Vorfeld dazu befragt. Ihre Antworten fliessen ins Tanzstück ein, manchmal als hörbare (aber kaum verständliche) Tonaufnahmen, viel eher aber als Inspiration und Unterbau. So heisst es im Programmtext, dass die Gruppe die erhaltenen Antworten «weiterspielt».

Das «Nichts» füllt sich

Wie Adams‘ Fans, die in der Zahl 42 eine klare Message suchen, sitzt man zuerst auch im Theatersaal: Die Augen suchen das Halbdunkel ab, registrieren die Objekte – dreieckiger Kasten, grosser weisser Ball, Korkgranulat-Haufen –, folgen wachsam und interrogativ den Bewegungen der Tanzenden, die sich aus ihrer Vereinzelung heraus und aufeinander zuzubewegen scheinen.

Immer versucht man als Zuschauerin, die Abläufe zu lesen: Warum steht der Tänzer allein da und macht abgehackte Bewegungen? Was «heisst» das? Die Antwort ist hier aber nicht, wie bei Adams, ein lapidares «Nichts».

Panorama Dance Theater: 42.

30. April ev Kirche Teufen
4. und 5. Mai Walzhalle Basel
7. Mai Stuhlfabrik Herisau
9. und 10. Mai Lokremise St.Gallen

panorama-dancetheater.com

Eine Antwort – oder viel eher ein Raum der möglichen multiplen Beantwortungen, des Wiedererkennbaren, durch das man sich angesprochen fühlt – öffnet sich, sobald man sich auf das Gesehene und die eigenen Assoziationen einlässt: Der dreieckige Kasten wird dann zu einer grossen Schaukel; der Haufen Korkkörner ein Sandkasten; wir sind auf einem grossen Spielplatz. Aus dem Lautsprecher ertönen Kinderstimmen. Eine Tänzerin öffnet sich eine Lücke im Sand und stellt sich hin, und wir sehen eine Frau, die sich inmitten des Tumults ihren Raum nimmt, in ihren eigenen Innenraum eintritt, sich hier uns zeigt.

Dann wieder liegt ein anderer Tänzer verzweifelt auf dem «Waldboden», das Gesicht in den Dreck gepresst. Oder der grosse weisse Ball bringt Momente der Leichtigkeit und des Humors, wenn ein Tänzer sich darüber wirft, sich seinem Rollen anvertraut, sich vom Wackeln tragen lässt.

Egon Gerber, Elina Kim, Giulia Tornarolli, Victor Rottier und Sebastian Zuber machen sich die Objekte zu eigen, ziehen sie in die Abläufe mit ein. Dabei ist es eindrücklich zu sehen, wie kooperativ sie den Bühnenraum betanzen. Sie tragen einander, kommen genau rechtzeitig angerannt und fangen einen fallenden Körper auf; sie halten den Ball, damit er für einen Moment zu einer stabilen Sitzgelegenheit wird.

Oft ist die Stimmung spielerisch, oft kippt sie ins Panische – wenn aus dem Schaukelspiel ein verzweifelter Versuch wird, die Balance nicht zu verlieren –, dann wieder kommt es zu Momenten leidenschaftlicher Begegnung.

Gemeinschaftlich unterwegs

Im Wechsel von Gruppensequenzen und Solos lernen wir die einzelnen Tänzerpersönlichkeiten kennen, und jede bekommt im Laufe des Abends eine ganz individuelle Kontur. Auffällig, trotz Momenten der Vereinzelung, zieht sich eine gewisse Wärme und ein Gestus der Gemeinschaftlichkeit durch den Abend und erreicht im gemeinsam gesungenen Lied seinen Höhenpunkt. Das ist keine kitschige Antwort auf die emotionalen Wirren der vergangenen Stunde – dafür sind die Stimmen zu intensiv, die Körper zu verschwitzt, die Gesten zu erschöpft –, sondern ein Festhalten aneinander wie auf hoher See.

Dieser Tanzabend gibt keine Antwort auf die Frage nach irgendeinem Sinn. Er zeigt vielmehr, was das Leben mit uns macht. Wie wir manchmal auf seinen Wellen tanzen und manchmal von seinen Klippen stürzen.

Impressum

Herausgeber:

 

Verein Saiten
Gutenbergstrasse 2
Postfach 2246
9001 St. Gallen

 

Telefon: +41 71 222 30 66

 

Hindernisfreier Zugang via St.Leonhardstrasse 40

 

Der Verein Saiten ist Mitglied des Verbands Medien mit Zukunft.

Redaktion

Corinne Riedener, David Gadze, Roman Hertler

redaktion@saiten.ch

 

Verlag/Anzeigen

Marc Jenny, Philip Stuber

verlag@saiten.ch

 

Anzeigentarife

siehe Mediadaten

 

Sekretariat

Isabella Zotti

sekretariat@saiten.ch

 

Kalender

Michael Felix Grieder

kalender@saiten.ch

 

Gestaltung

Data-Orbit (Nayla Baumgartner, Fabio Menet, Louis Vaucher),
Michel Egger
grafik@saiten.ch

 

Saiten unterstützen

 

Saiten steht seit 30 Jahren für kritischen und unabhängigen Journalismus – unterstütze uns dabei.

 

Spenden auf das Postkonto IBAN:

CH87 0900 0000 9016 8856 1

 

Herzlichen Dank!