Gastgeber mit Leib und Seele

Zum zweiten Mal innert eines guten Monats haben sich kürzlich Angehörige der St.Galler linksautonomen Szene der 1980er-Jahre im Friedhof Feldli versammelt. Am 12. April hatten sie sich von Anita Nane Geel verabschieden müssen, am 21. Juni nahmen sie Abschied von Hampe Hohl (1953–2024).
Beide haben auf ihre jeweils eigene Art und Weise den Kampf gegen kleinbürgerliche Enge und für Freiräume in Güllen, wie St.Gallen von der Bewegung genannt wurde, mitgeprägt.
Vom Bündnerhof in den Schwarzen Engel
Hanspeter Hohl oder Hampe (unter Bündnern Hampa, im St.Galler Dialekt ab und zu auch Hampi) ist eng mit der Geschichte der Beizen der St.Galler Alternativszene verknüpft. Er war Wirt im legendären Bündnerhof. Er gehörte danach zu den Gründer:innen des Schwarzen Engels, und von den Personen aus der Gründungszeit arbeitete er dort mit Abstand am längsten. Er war jahrelang regelmässig im Engel im Service anzutreffen. Viele werden sich an sein Markenzeichen erinnern: die auf seine Grösse massgeschneiderte schwarze Lederschürze.
Hampe war sein Leben lang Gastgeber mit Leib und Seele. Er blieb im grössten Stress freundlich und zugänglich. Er konnte es auch mit schwierigen Gästen, von denen es nicht wenige gab. Er konnte zwar sehr dezidiert sein, wenn er fand, ein Gast habe nun genug intus. Wenn er jemanden aus dem Lokal bugsieren musste, war es aber Teil von Hampes Credo als Beizer, dieser Person ihre Würde zu lassen. Genau so wie es ihm immer ein Herzensanliegen war, im Engel am Weihnachtsabend, an dem damals alle anderen Restaurants geschlossen waren, jenen eine Stube zu bieten, die sonst keine hatten.
Vielfältig interessiert und engagiert
Es wäre aber falsch, Hampe auf die Rolle als Beizer der Alternativszene zu reduzieren. Er war ungewöhnlich belesen, vielfältig interessiert und engagiert. In jungen Jahren kam er weit herum – in den 1970ern trampend bis Afghanistan, in den 80ern nach Kuba, Jamaika und zum Arbeitseinsatz ins revolutionäre Nicaragua. Auch wegen der so gesammelten Erfahrungen arbeitete er in der Zentralamerika-Gruppe St.Gallen, dem ZAG, mit. Bis zuletzt war er am ursprünglich vom ZAG initiierten Rojinegro-Solidaritätsjassen zur Unterstützung von Projekten in Lateinamerika beteiligt.
Hampe sei ein «freundlicher, neugieriger Mann» gewesen, mit dem man leicht ins Gespräch gekommen sei, erinnert sich der aus St.Gallen stammende und heute in Wien lebende Schriftsteller Bruno Pellandini: «Hampe hatte etwas Vornehmes an sich, er war zurückhaltend, ein aufmerksamer Zuhörer, der die anderen reden liess, bevor er seine eigene Sicht kundtat, die oft einer völlig anderen Wahrnehmung entsprang, und wenn er etwas zu sagen hatte, warf er es niemals einfach in die Runde, er tat dies immer mit einer gewissen Scheu und zugleich aus einer ihm eigenen Bestimmtheit heraus, sehr ehrlich, sehr persönlich.»
Ein Leben mit überraschenden Wendungen
Hanspeter Hohl ist, wie an der Abdankung Robert Mähr in einer Biografie festhielt, als zweites von fünf Kindern im Bündner Ferienort Arosa aufgewachsen. 1968, als er 15 Jahre alt war, starb sein Vater, der ihm viel bedeutet hatte: Er war Buchdrucker, Gewerkschafter, Naturfreund und Forellenfischer, Jasser, humorvoller Appenzeller und stolzer Familienvater. Sein früher Tod bedeutete für Hampe statt des Besuchs der Kanti Chur eine Lehrstelle bei der Winterthur-Versicherung in Bern. Hier kam er im Gaskessel erstmals mit der Jugendbewegung in Kontakt, deren Ideale sein Leben prägen sollten.
Nach Abschluss der Lehre arbeitete Hampe in Montreux. 1975 zog er erstmals in die weite Welt, was damals für viele neben den langen Haaren zum Lebensstil gehörte. Hampe trampte mit wenig Geld bis nach Kabul und Herat. Mit 23 kehrte er in die Schweiz zurück und landete in St.Gallen, in einer WG im Krontal bei zwei Freunden aus Arosa. Eher aus Zufall kam er zu seiner ersten Beiz, dem «Toggenbürgli» in St.Fiden. Dieser Ausflug in die Gastronomie hat sein Leben ebenfalls geprägt.
Die Liebe seines Lebens
Ende der 1970er-Jahre trafen sich Linke und Autonome in der Spanischen Weinhalle an der Ecke der Kugel- und Löwengasse. Wie Robert Mähr sich erinnerte, war das ein Ort, an dem man für wenig Geld trinken und hitzige Diskussionen über eine bessere Welt führen konnte. Hier wurde Hampe auf Leonie, die junge Frau aus Altstätten aufmerksam, die zur Liebe seines Lebens werden sollte. Hampe träumte damals von einem Treffpunkt für die Szene. Erst getarnt als verlobtes Paar mit Leonie konnte er nach Absagen für andere Beizen den Bündnerhof pachten und gründete 1982 das erste Restaurantkollektiv in St.Gallen.
Als Alternativbeiz funktionierte der Bündnerhof drei Jahre lang, dann wurde der Pachtvertrag gekündigt. Trotz dieser nur kurzen Zeit schrieb sich dieser Freiraum unter anderem dank der speziellen Atmosphäre und dem herrschenden offenen Geist in die Stadtgeschichte ein. Später wurde der Bündnerhof an der Bleichestrasse 7 zusammen mit vielen anderen Häusern im Bleicheli für die Neubauten der Raiffeisen-Bankengruppe abgebrochen. Quasi als Nachfolgeprojekt wurde 1986 die Genossenschaft Schwarzer Engel verwirklicht. Hampe Hohl war – natürlich – bei der Gründung dabei.
Als Arbeitsbrigadist in Nicaragua
Im Oktober 1986 fuhren Hampe und Leonie nach Malaga um Spanisch zu lernen. Danach bereisten sie drei Monate lang das sozialistische Kuba, lebten auf Jamaika und landeten schliesslich in Nicaragua, wo nach einer Revolution gerade ein blutiger Bürgerkrieg tobte. Hampe blieb ein gutes Jahr und half in einer Arbeitsbrigade Infrastrukturprojekte zu verwirklichen oder die Kaffeeernte einzubringen. Nach seiner Rückkehr stieg er im Restaurantkollektiv des Schwarzen Engels ein.
In der Kollektivbeiz war Hampe in seinem Element. Gleicher Lohn für alle, egal für welche Arbeit, und kein Chef. Hampe glaubte an die Eigenverantwortung und an das kreative und unternehmerische Mitwirken aller Beteiligten. Er wurde nicht müde, dieses Ideal zu vertreten. Auch wenn es in der Praxis gerade wieder einmal anders lief und im – letztlich immer abgewendeten – Chaos zu enden drohte. So ist es nur logisch, dass Hampe später auch im «Gnossi» arbeitete und sich beim Umzug ins grössere Lokal, in den heutigen Stadtladen an der Katharinengasse, voll engagierte.
Politisches und kulturelles Engagement
Als Mitglied der Zentralamerika-Gruppe (ZAG) war Hampe Teil der linksautonomen Bewegung in St.Gallen. Er engagierte sich mit Leidenschaft für Rojinegro, das Spenden eines Tageslohns für Zentralamerika, oder für das Projekt «Waffen für El Salvador». Zweimal war er in El Salvador vor Ort im Einsatz – einmal als Wahlbeobachter, einmal als Unterstützer bei der Koordination von Erdbebenhilfe. In St.Gallen engagierte sich Hampe auch im Verein für billigen Wohnraum und war im Umfeld der Hecht-Besetzung an der Jahreswende 1988/89 sehr aktiv.
Hampe war auch ein Musikliebhaber. Regelmässig war er zusammen mit anderen St.Gallerinnen und St.Gallern am Jazzfestival Willisau anzutreffen. 1992 war Hampe – neben Walter Siering und Martina Leu – auch an der Gründung der Sauton Ltd beteiligt. Die Musikagentur spezialisierte sich auf Avantgarde-Musik aus den USA und dem ehemaligen Ostblock. Sie organisierte legendäre Konzerte für Liebhaber schräger Musik, die allerdings selten die Grabenhalle wirklich füllten. Es sei Musik gewesen, die einem die Ohren habe schlackern lassen, erinnert sich Bruno Pellandini. Die originelle und witzige Werbung für diese Konzerte (einmal etwa auf dem Rücken einer Jacke), die vor allem von Steff Schwald kreiert wurde, ist vielen bis heute in guter Erinnerung.
In der letzten Phase seines Arbeitslebens hat Hampe als Taxifahrer für den Invalidenverband Procap gearbeitet. Auch diesen Job führte er mit Begeisterung aus, bis er 2017, gesundheitlich gezeichnet durch eine Suchtkrankheit, den Fahrdienst endgültig aufgeben musste. «Zeitlebens hat sich Hampe für andere eingesetzt und hat seine Visionen konsequent umgesetzt», hält Robert Mähr in seiner Würdigung fest. «Am Schluss war sein Körper müde, und es war eine Erlösung, als er am 25. Mai nach einem zweiten Herzstillstand für immer von uns gegangen ist.»